Thomas de Maizière: Die Kunst guten Führens

© Franziska Pilz
0

Führen will gelernt sein. Das wissen nicht nur Eltern, sondern auch Spitzenpolitiker und Spitzenmanager wie Thomas de Maizière und Karl-Ludwig Kley. In ihrem im Herder-Verlag erschienenen Buch „Die Kunst guten Führens. Macht in Wirtschaft und Politik“ reflektieren die beiden Freunde über Bedingungen, in denen Führung in den beiden Gesell­schaftssphären funktionieren, stellen Unterschiede fest und plädieren für gegenseitige Offenheit. Dass beide über Führungskompetenzen verfügen, wird wohl niemand bestreiten. Während Karl-Ludwig Kley bei der Lufthansa AG, bei BMW AG oder E.ON SE an den Schalthebeln saß, bekleidete Thomas de Maizière als Chef des Bundeskanzleramts, Bunde­s­innenminister und Bundesverteidigungsminister höchste politische Posten.

Auch unserer Region ist der gebürtige Bonner seit über 30 Jahren eng verbunden, lebt seit langem in Dresden und war von 2009 bis 2021 der direkt gewählte Bundes­tags­abgeordnete des Landkreises Meißen. Im Oktober verabschiedete er sich nun aus dem Bundestag. Doch Stillstand ist nicht seine Sache und so wurde er bereits im selben Monat als neuer Präsident des Evangeli­schen Kirchen­tages vorgestellt. Wir haben mit dem 67-Jährigen über die vielen Facetten gesprochen, die gutes Führen ausmachen.

Top: Herr de Maizière, Ihr vorheriges Buch hieß „Regieren: Innen­ansichten der Politik“. Nun liegt das Buch über gutes Führen großer Institutionen vor. Offenbar nimmt die Reflektion über Ihre Arbeit einen besonderen Stellen­wert in Ihren Veröffentlichungen ein?

Thomas de Maizière: In der Tat. Es ist ja so, dass viele Menschen zwar glauben zu wissen, wie Politiker arbeiten. Aber sie sehen sie in der Realität nur, wenn sie irgendwo vorfahren oder wenn sie eine Rede halten. Aber das Kerngeschäft – das Führen eines Ministe­riums, Verhandlungen, die Vorbereitung von Presseauftritten oder internationale Ge­spräche – sehen die Wenigsten. Deshalb war es mir ein Anliegen, diese Prozesse von innen heraus im Sinne eines Werkstattberichts deutlich zu machen. Sonst bleibt das Berichten über diese Prozesse Journalisten vorbehalten, die aber auch keine echten Einblicke haben. Daher die beiden Bücher, zunächst über das Regieren und dann über das Führen großer Institutionen. Und ja, wer nicht über sich selbst reflektiert, der kann auch nicht gut führen.

Thomas de Maizière / © Franziska Pilz

Top: Was war die Intention für die Entstehung des Buches, warum ausgerechnet mit Karl Ludwig Kley und was wollten Sie mit dem Buch bewirken?

Thomas de Maizière: Herr Kley und ich sind befreundet. Wir haben uns aber auch oft gestritten. Er meinte, wir Politiker hätten keine Ahnung, wie schwierig es ist, neue Gesetze in der Wirtschaft umzusetzen und welche Kos­ten dabei entstehen. Und ich sagte, die Füh­rungskräfte in der Wirtschaft wüssten nicht, welchen Sachzwängen Politiker unter­­liegen und dass wir ans Gemein­wohl denken müssen. Daraufhin haben wir beschlossen, über das Verhältnis von Führung in beiden Welten mittels eines Buchprojekts zu reflektieren. Dabei woll­ten wir uns nicht auf Führungsstile konzentrieren, sondern stattdessen auf die Bedingungen von Führung in Politik und Wirtschaft.

Top: Haben sich denn diese Bedingungen geändert in der Zeit, in der Sie Führungspositionen bekleideten?

Thomas de Maizière: Viele Grundlagen sind sicher gleich, aber verändert haben sich in der Politik vor allem zwei Dinge: die Geschwindigkeit und die öffentliche Beobachtung. Die Ge­schwin­digkeit von Entscheidungen ist sehr groß geworden, obwohl sie vielen Bürgerinnen und Bürgern trotzdem zu langsam vorkommt, wie wir in der Corona-Krise zuletzt immer wieder feststellten. Es müssen Partner, Länder, Kommunen und Öffentlichkeit mit einbezogen und Beteiligungsformate ermöglicht werden. Und trotzdem müssen am Ende schnelle Ent­schei­dungen stehen. Die Politik ist internationaler geworden, vor allem bei großen Themen wie Steuer, Klima, Sicherheit oder Mobilität. Politiker können auch auf nationaler Ebene nicht mehr Entscheidungen treffen, ohne die internationalen Bezüge zu bedenken.

Top: Führungskräfte in der Politik müssen sich heute auch weitaus mehr öffentlich verantworten als früher….

Thomas de Maizière: Die öffentliche Beobach­tung hat in der Politik natürlich schon immer eine große Rolle gespielt. Doch heute, im Zeitalter sozialer Netzwerke und ständiger Kommentierung, ist dieser Faktor noch einmal stark gestiegen. Ich sage das nicht, um die Verhältnisse zu bedauern. Wer sich damit nicht arrangieren kann, ist falsch am Platz. Oder wie Gerhard Schröder es ausdrückte: ‚Wer kocht, der muss die Hitze des Herdes aushalten.‘

Top: Wie bewerten Sie diese Veränderungen im Kontext der Wirtschaft?

Thomas de Maizière: In der Wirtschaft ist der internationale Druck ebenfalls größer geworden, wie Herr Kley im Buch feststellt. Auch die Anforderungen an Gemeinwohlverträglichkeit und Compliance spielen eine größere Rolle. Die Bürokratiedichte ist gestiegen. Aber die öffentliche Beobachtung von Spitzen­managern ist wesentlich geringer ausgeprägt als bei Spitzen­politikern.

Top: Das Buch funktioniert ja zunächst als Gegenüberstellung von Führung in Politik und Wirtschaft. Was sind wesentliche Unterschiede?

Thomas de Maizière: Die Unterschiede beginnen schon damit, wie man in ein Amt kommt. In der Politik können etwa Konstel­lationen innerhalb einer Partei beim Erlangen einer Füh­rungsposition eine entscheidende Rolle spielen. In der Wirt­schaft ist dagegen in aller Regel das Leistungsprinzip dominant bei der Besetzung von Posten. Das heißt nicht, dass die Personal­entscheidungen in der Politik schlechter sind. Politiker brauchen aber auch noch andere Eigenschaften als nur Fach­kenntnis. Das kann dann zu Skepsis bei der Bewertung des jeweils gegenüberstehenden Bereichs führen.

Thomas de Maizière / © Franziska Pilz

Top: Wie löst man diese Konflikte auf?

Thomas de Maizière: Mit Dialog. Im gemeinsamen Teil des Buches führen Herr Kley und ich an, dass man miteinander reden soll, Verständnis zeigt und die Bedingungen kennenlernt, unter denen Führung in der anderen Sphäre funktioniert.

Top: Sind Wechsel von Führungspositionen von der Politik in die Wirtschaft unter diesen Bedingungen denkbar?

Thomas de Maizière: Sie sind sehr selten, zumindest in Deutsch­land. Ich meine damit nicht Politiker, die als Lobbyisten in die Wirtschaft gehen, sondern den konkreten Wechsel ins operative Geschäft. Es gibt ein paar Beispiele, die mal mehr, mal weniger gut funktioniert haben, etwa Lothar Späth, der ehemalige Wirtschaftsminister Werner Müller, aber auch Roland Koch. In Amerika, England, Frankreich, Spanien, Italien oder auch in Skandinavien kommen solche Wechsel aber sehr viel häufiger vor. In Deutschland wird den Politikern der Wechsel gerade von Akteuren aus der Wirtschaft oft nicht genug zugetraut. Auch die skeptische öffentliche Beobachtung steht den Wechseln entgegen. Denn schnell kommt der Vorwurf auf, Politiker würden nur wegen des Geldes wechseln oder um Beziehungen für das jeweilige Unternehmen nutzbar zu machen. Ich halte das für bedauerlich und würde dafür plädieren, dass die Person in ihrem neuen Amt bewertet werden sollte.

Top: Im Zusatztitel des Buchs beziehen Sie sich auf „Macht in Wirtschaft und Politik“. Wie wichtig ist das Vorhandensein von Macht für gute Führung?

Thomas de Maizière: Die These in unserem Buch ist, dass jede Führungsposition mit Macht verbunden ist. Ich gehe sogar noch weiter und sage, in jeder Beziehung gibt es Machtstrukturen: in Familien, in Kirchen, in Redaktionen. Überall, wo Menschen zusammenkommen, gibt es Machtstrukturen, auch wenn sie meist nur informell sind. In der Politik und Wirtschaft hingegen sind Machtstrukturen formalisiert. Sie wirken sich zum Beispiel auf Kompetenzen und Entscheidungsbefugnisse aus. Macht ist in der Politik durch bestimmte Mechanismen zwar auch be­grenzt, aber innerhalb der Befugnisse erwartet die Bevölkerung, dass Politiker zu Entscheidungen kommen. Deshalb glaube ich, dass ein unbefangener Umgang mit dem Machtbegriff wichtig ist, auch wenn wir uns in Deutschland damit schwer tun. Das ist wiederum auch richtig, denn natürlich darf der Führungskraft die Macht nicht zu Kopfe steigen. Die Ausübung von Macht darf nicht aus reinem Selbstzweck geschehen. Sie hat immer eine dienende Funktion.

Top: Herr de Maizière, vielen Dank für das Gespräch!

300 Seiten geballte Führungs­kom­petenz! Dieses Buch bietet Erkennt­nisse für alle, die im Management arbeiten oder hohe Ver­ant­wortung tragen – ohne teures Coaching und zeitaufwendige Seminare. Es gibt politisch und wirtschaftlich Interes­­sier­ten Ein­blicke, warum Regierung und Manager so entscheiden, wie sie entscheiden. Erschienen im Februar 2021 im Herder Verlag


Sie interessieren Sich möglichweise auch für:

X