Ostalgie war gestern!

Foto: © Tama66 - pixabay.com
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DDR-Marken hatten es schwer nach der Wende. Bis heute haben sich nur wenige der ehemaligen sozialistischen Vorzeigeprodukte gehalten. So zu­mindest der überwiegende Tenor. Wer genauer hin­schaut, findet aber auch in Ostsachsen einige Erfolgsgeschichten.

Fit, Spee oder Rotkäppchen. Die Liste ließe sich nicht endlos, aber doch noch um einige Einträge mehr fortsetzen. Jeder, der das umstrittene Vergnügen hatte, einmal zur Staats­bür­gerschaft der DDR zu zählen, kennt diese Marken. Immerhin haben sie die Alltagswelt des großen sozialistischen Projekts entscheidend mitgeprägt, so dass sich die entsprechenden Pro­duktnamen ins kollektive Gedächtnis eingebrannt haben. Das hatte nicht zwangsläufig mit Qualität, sondern bis zu einem gewissen Grad auch mit dem Mangel an Alternativen zu tun. Denn von der kapitalismusimmanenten Warenvielfalt war man diesseits des Eisernen Vorhangs bekanntlich weit entfernt. Gleichwohl kann nicht alles schlecht gewesen sein, um mal den Leitspruch aller Hobbynostalgiker zu bemühen. Immerhin wurden einige Marken schon bald nach der Wende zum Kult­produkt erklärt und manchen Konsumgütern, die den Übergang von der Plan- zur Marktwirtschaft nicht überlebt haben, wird noch heute hinterher getrauert.

Jagd nach den Spreewaldgurken

Mit der OSTPRO, die auch einen Ableger in Dresden führt, gibt es sogar eine Messe, die sich explizit dem Angebot von Pro­duk­ten, Spezialitäten und Dienstleistungen mit Ost-Hintergrund verschrieben hat. Die Popularität der DDR-Marken scheint also auch 30 Jahre nach der Wende ungebrochen. In den neuen Bundesländern wird diese Form von Ver­gangenheits­sehn­sucht, die gerne als Ostalgie verklärt wird, in entsprechenden Museen und auf Partys kultiviert. Hinzu kommen Anekdoten aus der Popkultur. Im Fernsehen kommt keine DDR-Revival-Show ohne den Rekurs auf die DDR-Warenwelt aus. Jeder, der den Wendefilm „Good Bye, Lenin!“ gesehen hat, wird sich an die Jagd von Alexander Kerner (Daniel Brühl) nach Spree­wald­gurken-Gläsern mit Original-Etiketten erinnern, um seiner Mutter (Katrin Sass), der treuen Sozialistin, auch nach der Wen­de die Illusion der DDR-Realität vorzugaukeln. Das war kein leichtes Unterfangen, denn viele Produkte gab es schlicht nicht mehr. 2013 belegte eine Studie der Empirischen Gesell­schafts­forschung Hamburg, dass von mehr als 700 DDR-Mar­ken 20 Jah­re nach dem Mauerfall noch rund 120 existierten.

Blick auf die Rotkäppchen-Mumm Sektkellereien in Freyburg/Unstrut / Foto: © Christian Modla
Schwieriger Strukturwandel

Dass es vielen Marken so schwerfiel, den Übergang zu meistern, hatte strukturelle Ursachen. Die Unternehmen, die in der DDR aufgrund von staatlicher Lenkung und Zuschüssen bei Ver­lus­ten nie auf Effizienz und Produktivität ausgerichtet waren, konn­ten sich nicht so schnell an den internationalen Wett­be­werb anpassen, zumal vielerorts noch ein veralteter Ma­schi­nen­park hinzu kam. Die osteuropäischen Absatzmärkte fielen weg und auf den westlichen Märkten konnte durch die Auf­wertung infolge der Währungsunion nicht kostendeckend verkauft werden. Hinzu kam eine Tarifangleichung für die ostdeutschen Arbeiter, die die Unternehmen weiter unter Druck setzte. Es war also klar, dass viele Firmen vom Markt ver­schwin­den würden. Die Folge war eine Schrumpfung der Ar­beits­plätze im verarbeitenden Gewerbe von 1989 bis 1991 um fast die Hälfte von 3,3 auf nur noch 1,7 Millionen. Ein zweiter Schwundprozess, den viele im Zusammenhang mit dem Wirken der Treuhand sehen, setzte dann bis 1995 ein. Damals waren nur noch 885.000 Per­sonen im verarbeitenden Gewerbe tätig, ein Viertel des Stands im Vorwendejahr.

Maschinenhaus der Landskron BRAU-MANUFAKTUR GÖRLITZ bei Nacht / Foto: © Felix Leda
Freundliche Übernahmen

Nachdem die erste Neugier nach der Warenvielfalt im Kapi­ta­lis­mus gestillt wurde, konnte man in den Läden ab 1991 auch wieder ostdeutsche Marken kaufen. Schon relativ früh erkannten viele Firmen eine von der Arbeitslosigkeit angetriebene erste Nostalgiewelle und lancierten entsprechende Vermark­tungs­strategien. Produkte wurden hergestellt, die in Auf­ma­chung oder Geschmack „wie früher“ daherkamen. Der Kult um die DDR-Marken war geboren und rettete manches Unter­nehmen über den wirtschaftlichen Strukturwandel. In den alten Bundes­ländern gelangten die DDR-Marken allerdings nur in Ausnah­me­fällen in die Supermarktregale. Gleichwohl profitieren auch viele westliche Konzerne von der Markenpopularität, so etwa der Henkel-Konzern, der das Spee-Werk in Genthin übernommen hat. Oder Radeberger, das zur westfälischen Dr. August Oetker KG gehört. Zwei Drittel der Hersteller der übriggebliebenen Ostprodukte kommen aber auch heute noch aus dem Osten.

Luftbild von Schloss Wackerbarth / Foto: © Schloss Wackerbarth
Moderne Unternehmen

Die Unternehmen, die heute noch unter DDR-Markennamen firmieren, haben sich aber längst von der sozialistischen Vergan­genheit emanzipiert. Die Anpassung an den modernen Markt ist absolut notwendig. Denn der Nostalgiefaktor spielt bei älteren Generationen vielleicht noch eine Rolle. Bei der Konsum­entscheidung von jüngeren Semestern ist die DDR-Vergangen­heit aber kein Faktor mehr. Das wissen die Firmeninhaber und lösen sich immer stärker vom Ostalgie-Korsett. Die Beispiele sind zahlreich. Rotkäppchen aus Freyburg an der Unstrut beherrscht heute den deutschen Sektmarkt. Im Jahr 2019 wurde laut Verbrauchs- und Medienanalyse von etwa 16,6 Prozent der Deutschen in den letzten drei Monaten vor der Befragung Rot­käpp­chen-Sekt getrunken. Seine Besucher empfängt das Un­ternehmen im schicken Lichthof im Stil der Neorenaissance. Auch in Ostsachsen gibt es zahlreiche Beispiele dieser modernen Unternehmen, die mitunter auch für den globalen Markt produzieren. Wie Spee auf dem Waschmittelmarkt behaupten die Teigwaren Riesa die Marktführerschaft in Ostdeutschland und erfreuen sich auch in den westlichen Bundesländern großer Beliebtheit. Feldschlösschen, Freiberger, Radeberger und Landskron sind hopfenhaltige Exportschlager mit modernen Schaubrauereien. Und das Radebeuler Schloss Wackerbarth lädt ins Erlebnis-Weingut. Eine besondere Fußnote schreibt die Fit GmbH, die 2016 einen Umsatz von rund 149 Millionen Euro erwirtschaftete und rund 200 Mitarbeiter beschäftigte. Dabei half dem Unternehmen aus Zittau auch die Übernahme von Marken aus dem Westen wie Rei, Kuschelweich oder Sunil. Es geht also auch andersherum.

Text: Philipp Demankowski

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