Filmkritik „Ema“: Ein Fest für alle Sinne

Foto: © trigon-film.org
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Der chilenische Regisseur Pablo Larraín zeigt mit „Ema“ meisterhaft, dass auch ein sehr kunstvoll inszenierter Film alltägliche Lebenswelten nahbar darstellen kann.

Schon bei seinem 2016er Doppelschlag „Neruda“ und „Jackie“ hat Pablo Larraín bewiesen, dass seine Filme zwar inszenatorisch mit einer intensiven Farbgebung arbeiten, sich inhaltlich aber nicht davor scheuen, in düstere Gefilde vorzudringen. Sein achter Film „Ema“ schlägt tonal in eine ähnliche Kerbe wie die Biopics der etwas anderen Art über Pablo Neruda, den antifaschistischen chilenischen Schriftsteller, und über die ehemalige First Lady kurz nach dem tödlichen Attentat auf ihren Ehemann John F. Kennedy. Die Kamera bietet einen optischen Gaumenschmaus. In erhabenen, oft stehenden Bildern befinden sich die Figuren in „Ema“ meistens im Zentrum des Geschehens. Hinzu kommen visuelle Dreingaben, die sich als Plotvehikel nur bedingt eignen, dafür aber wunderschön aussehen. So kommt ein Flammentreffer vor. Aber auch die vielen Tanzszenen sind ein Fest für die Augen. Dabei entstehen fast schon ikonographische Bilder auf der Kinoleinwand, die durch den manchmal elegischen, manchmal überraschend beschwingten Soundtrack des amerikanisch- chilenischen Musikers Nicolas Jaar kongenial untermalt werden. Nebenbei zeigt uns Pablo Larraín die wunderschöne chilenische Hafenstadt Valparaíso, die einem von den immergleichen Funktionsbauten desillusionierten Mitteleuropäer wie ein architektonisches Märchenland vorkommt.

Sexualität und Reggeaton

Durch diese Stadt wandelt die titelgebende Tänzerin Ema (Mariana Di Girolamo), die in einer mal liebevollen, mal toxischen Beziehung mit dem Choreographen Gaston (Gael García Bernal) steckt. Der Plan des Paars, ein Adoptivkind großzuziehen, schlug fehl, so dass sie sich gezwungen sahen, das Kind ans Jugendamt zurückzugeben. Ihre Schuldgefühle versucht Ema mit flüchtigen Beziehungen zu kompensieren. Sie lernt die Notarin Raquel und den Feuerwehrmann Aníbal kennen. Irgendwann schmiedet Ema einen Plan, wobei sie sich immer auf ihre Freunde aus der Tanzkompagnie verlassen kann, die es mit ihrer Loyalität aber mitunter übertreiben. Es beginnt ein Psychodrama, in dem Sexualität und der südamerikanische Tanzstil Reggaeton als Waffen eingesetzt werden. Tanz spielt natürlich eine große Rolle, auch die verschiedenen Familienmodelle und Mutterschaftskonzepte.

Foto: © trigon-film.org
Mehr Meditation als Plot

Wenn Pablo Larraín den Film als Meditation beschreibt, stimmt das insofern als eine konventionelle Erzählmechanik vermieden wird. Stattdessen werden die Zuschauer ohne Vorwarnung in die Lebenssituation seiner Protagonisten reingeworfen. Szenenübergänge spielen kaum eine Rolle. Nur langsam erschließt man sich die Hintergründe. Dabei wird man mehr in die Psychen der Handlungsträger hereingezogen als dass die Handlung wirklich vorangetrieben wird. Pablo Larraín liebt seine Figuren, die er niemals verurteilen würde, selbst wenn sie sich lakonisch und misanthropisch äußern oder verhalten. Dadurch entsteht ein kunstvoller Film, der aber sehr gegenwärtig ist.

Ema

Regie: Pablo Larraín
Filmstart: 29. Oktober 2020
Text: Philipp Demankowski

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