Ambivalenz im Bild
Im Kupferstich-Kabinett wird der in Dresden geborene Fotograf Christian Borchert mit einer umfassenden Retrospektive und zwei Begleitausstellungen gewürdigt.
Wer von Fotografie aus Dresden spricht, kommt um Christian Borchert (1942-2000) nicht herum. Der geborene Dresdner gilt als einer der herausragenden Fotografen der DDR, der es wie kein zweiter verstand, den Alltag im Arbeiter und- Bauern-Staat adäquat abzubilden. Dabei drang er behutsam in die Lebenswelt der DDR-Bürger vor, ohne die eigentümliche Distanz aufzugeben, die seinen Bildern innewohnt. Dieser Gegensatz charakterisiert das Werk Borcherts vollumfänglich. „Seine Fotos verraten etwas von der Ambivalenz, mit der er zwischen Qual und Daseinsbejahung seinen Weg bahnt“, sagt der ebenfalls in Dresden geborene Lyriker Heinz Czechowski über Borcherts Herangehensweise. „Manchmal lassen sie etwas von der Einsamkeit ahnen, die der Preis für das Ziel ist, dem Borchert nachgeht.
Aufmerksamer Chronist
Im Kupferstich-Kabinett ist nun erstmals eine umfassende monographische Retrospektive seines Schaffens zu sehen. Die Ausstellungsmacher haben es sich dabei zum Ziel gesetzt, einen Eindruck von Borchert als aufmerksamen Chronisten des DDR-Alltags und der Nachwendezeit zu vermitteln. Deutlich wird dabei aber auch sein Hang zu konzeptioneller Bild- und Seriengestaltung. Neben wichtigen Werkkomplexen wie den Künstler und Familienporträts, der Dokumentation des Wiederaufbaus der Semperoper oder den Bildern aus Dokumentarfilmen präsentiert die Ausstellung auch Exponate aus Borcherts Nachlass, die seine archivarische Leidenschaft vor Augen führen und Einblicke in fotografische Arbeitsprozesse gewähren.
Zwei Satellitenausstellungen
Die große monographische Retrospektive zum Schaffen Christian Borcherts im Kupferstich-Kabinett wird zusätzlich von zwei Satellitenausstellungen begleitet. Im Studiolo des Residenzschlosses Dresden sind Bilder der Fotografin Maria Sewcz zu sehen, die das umfassende Archiv ihres Freundes nach dessen tragischen Todes durch Ertrinken festhielt. Es sind einzigartige Aufnahmen eines Lebens- und Arbeitsraums mit zuletzt über 230.000 Negativen und mehr als 20.000 Papierabzügen, bevor und auch noch während die Nachlassverwalter dieses einzigartige Arrangement auflösten und an verschiedene Institutionen übergaben. Im Albertinum wiederum sind die fotografischen Aufnahmen für eine geplante Monografie über den Bildhauer Georg Kolbe (1877-1947) zu begutachten. 1987 erhielt Christian Borchert vom Dresdner VEB Verlag der Kunst den entsprechenden Auftrag, der es dem Fotografen ermöglichte, noch vor dem Fall der Mauer nach West-Berlin sowie in die Bundesrepublik zu reisen. Auch aus künstlerischer Sicht eröffnete ihm das Projekt neue Perspektiven, setzte er sich doch erstmals mit rein statischen Objekten auseinander. Beide Begleitausstellungen beginnen parallel zur Hauptschau im Kupferstich-Kabinett.
Text: Philipp Demankowski
Christian Borchert – Tektonik der Erinnerung
26. Oktober 2019 bis 8. März 2020
Kupferstich-Kabinett der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden