Theaterkritik „Das Blaue Wunder”: Blaues Albtraumschiff

Foto: Sebastian Hoppe
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In ihrer Groteske Das Blaue Wunder verankern die Autoren Thomas Freyer und Ulf Schmidt eine überdeutliche politische Botschaft.

Am Anfang steht der Wutbürger. Die Bühne ist noch nicht geöffnet, da stehen acht Allerwelts-Dresdner vor dem Vorhang und lamentieren. Sie meckern und beschweren sich. Sie kommen nicht klar. Der Innovationsdruck ist zu groß. Das zumindest haben sie gemeinsam, obwohl sie doch eigentlich aus ganz unterschiedlichen beruflichen Zusammenhängen kommen, wie sie sich gegenseitig erzählen. Sie fühlen sich abgehängt, ungerecht behandelt, bedroht. Mit dem Staat, in dem sie leben, können sie sich nicht mehr identifizieren. Sie brauchen eine neue Führung, sofern sie es weiterhin vermeiden wollen, selber nachdenken zu müssen. Da kommt das „Blaue Buch” von einer plötzlich auftretenden Kapitänin gerade recht. Es soll fortan Regeln und Richtung vorgeben. Die Anspielung ist natürlich mehr als offensichtlich, denn das Logbuch für eine alternative Zukunft besteht komplett aus Zitaten der AfD-Führungsriege. Da wird dann vom Prediger Höcke oder Gauland gesprochen. Hört man als Zuschauer diese Pöbeleien einmal derart kumuliert, bekommt man es angesichts des Wahljahrs 2019 augenblicklich mit der Angst zu tun.

Keine leisen Töne

Die Wutbürger hingegen fühlen sich angesprochen und setzen Segel. Die Bühne wird dabei fast komplett von einem eindrucksvollen Schiffsskelett eingenommen. Unterteilt in drei Decks turnen die neun Schauspieler immer wieder auf und ab, wobei auch die Verantwortlichkeiten an Bord ständig wechseln. Dadurch fällt es schwer, einzelne Charaktere herauszuheben. Alle Darsteller kennt man gut aus dem Staatsschauspiel- Ensemble. Und alle machen ihre Sache gut. Am eindringlichsten in Erinnerung bleibt aber das Spiel von Nadja Stübiger, die trotz des ständigen Gezeters auf der Bühne eine nachhallende Präsenz entwickelt. Und laut geht es zu auf dem blauen Alptraumschiff. Darauf muss man sich einlassen können. Denn die Dynamiken, die sich auf dem Schiff entwickeln, sind nicht besonders subtil gezeichnet. Angesichts der Drastik des Problems verbieten sich die leisen Töne aber auch. Früh ahnt man, wo die Reise hingehen wird. Die Passagiere des Schiffs werden irgendwann selbst zu Geflüchteten und merken, dass es gar nicht so einfach ist, in fremden Ländern Asyl zu bekommen. Proviant und gute Laune sind zu diesem Zeit punkt längst verlustig gegangen. Auf dem Schiff herrschen bald Zustände, die sich auch in diktatorischen Gesellschaften entwickeln. Die Wut jedenfalls hat keinen der Wutbürger verlassen. Denunziantentum, psychische, physische und sexuelle Gewalt machen sich breit.

Foto: Sebastian Hoppe
Warnung an alle Pragmatisten

Gerade zum Ende des Stückes hin senkt sich der schwere Metallvorhang des Schauspielhauses in immer geringeren Abständen. Dann erhalten Vertreter von Dresdner Gruppen eine kurze Plattform, um sich vorzustellen und ihre Positionen zu präsentieren. Sie sind gewissermaßen ein Spiegel des Dresdner Widerstands gegen rechts. Initiativen wie die Seenotretter von „Mission Lifeline“, die Protestler von „Herz statt Hetze“ oder „Dresden Nazifrei“, das Twitter-Projekt „Straßengezwitscher“ oder auch die Techno-Parade „Tolerave“ treten auf, um davor zu warnen, was mit sozialen und kulturellen Projekten passiert, wenn die AfD tatsächlich Regierungsgewalt bekäme. Das ist alles ganz konkret und hat nichts mehr mit abstrakten Überlegungen zu tun. Es ist gewagt, aber gut, dass die Zuschauer so direkt angesprochen werden. Natürlich ist das alles ein bisschen wie die berühmte Predigt zu den Bekehrten. Es ist unwahrscheinlich, dass sich ein potenzieller AfD-Wähler in eine der Vorstellungen verirrt. Nichtwähler oder Pragmatisten, die meinen, alles würde schon gut werden, könnten aber ins Grübeln kommen. Im Schauspielhaus jedenfalls kommen die aufgeräumten Redebeiträge gut an. Alle bekommen Applaus, sogar die anonym auftretenden Vertreter der Antifa.  

Das Blaue Wunder

von Thomas Freyer und Ulf Schmidt
Inszenierung von Volker Lösch
Schauspielhaus, Theaterstraße 2, 01067 Dresden
Termine, Karten etc. unter www.staatsschauspiel-dresden.de

Text: Philipp Demankowski

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