Carena Schlewitt: Zwischen ästhetischem Anspruch und Publikumswirksamkeit

Carena Schlewitt / Foto: © Stephan Floß
0

Nach Basel nun also Dresden. Schon 2016 wurde bekanntgegeben, dass Carena Schlewitt, die künstlerische Leiterin der Kaserne Basel, die Nachfolge des Intendanten Dieter Jaenicke von HELLERAU – Euro­pä­isches Zentrum der Künste übernehmen würde. Jetzt wird es ernst. Das Programm der ersten Spielzeit ist inzwischen zum Großteil veröffentlicht. Mit einem Eröffnungsreigen, der gleich drei deutsche Erst­aufführungen beinhaltet, startet das Europäische Zentrum der Künste in die neue Saison.

Die Eröffnung steht unter dem Motto „Geschichten – Kunst – Katastrophen“ und soll Lebensentwürfe in Zeiten gesell­schaft­licher Umbrüche thematisieren. Ein Schwerpunkt, der im Programm immer wieder vorkommt. Zu den zahlreichen Highlights zählt aber auch ein Festival des aktuellen polnischen Theaters im Herbst. Zwar soll das Haus auch weiterhin eine Heimstätte für den zeitgenössischen Tanz bleiben, doch wird gleichzeitig die Rolle von Musik, Theater und Perfor­man­ces im Programm hervorgehoben. Im Gespräch mit dem Top Magazin Dresden/Ostsachsen erklärt Carena Schlewitt die Hintergründe des Programms und wie sie das Publikum in Dresden dafür interessieren will.

Die Planungen für die Spielzeit sind nicht abgeschlossen, aber schon gut vorangeschritten? Fühlen Sie sich inzwischen angekommen in Dresden?

Carena Schlewitt: Einerseits schon, da ich ja schon seit langer Zeit immer wieder aus Basel nach Dresden gependelt bin, um die Intendanz vorzubereiten. Und wenn ich hier bin, ist mein Terminkalender natürlich voll. Je tiefer ich in die Stadt eintauche, desto stärker merke ich andererseits aber auch, dass es noch sehr vieles zu entdecken gibt. Das Ankommen ist durchaus ein Prozess.

Was hat Sie an der Stelle besonders gereizt? Warum haben Sie sich gerade für Dresden entschieden?

Ich kannte HELLERAU noch sehr gut aus den neunziger Jahren. Aus dieser Zeit kenne ich auch noch einige der Protagonisten, die damals Pionierarbeit geleistet haben, um das Haus zu retten. Etwa Detlev Schneider, Carsten Ludwig oder das Kollektiv norton.commander.productions. Zudem finde ich es immer faszinierend, wenn Kunstzentren eine Geschichte haben. In Bezug auf das Festspielhaus betrifft das künstlerisch die Zeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts als auch die jüngere Vergangenheit seit dem Wiedererwachen An­fang der 1990er Jahre. Dazwischen war das Haus auch Teil einer bewegten Zeitgeschichte. Natürlich kommt mir in meinem Kunstverständnis auch die internationale und interdisziplinäre Ausrichtung des Hauses entgegen. Aber auch die geographische Lage Dresdens als Schnittstelle zu Polen und Tschechien, generell der Blick nach Osteuropa, reizen mich.

Carena Schlewitt im Festspielhaus Hellerau / Foto: © Stephan Floß

Tatsächlich spielt der Blick nach Osten mit Polski Transfer, dem Festival des aktuellen polnischen Theaters, im Programm gleich eine wichtige Rolle. War Ihnen das von Anfang an wichtig?

Auf jeden Fall. Das hat sich auch daraus ergeben, dass ich dem polnischen Theater schon immer stark verbunden bin und langjährige Arbeitsbeziehungen ins Nach­barland pflege. Aktuell erlebe ich die Situation in Polen als nicht einfach. Im 100. Jubiläumsjahr der polnischen Unab­hängigkeit ist festzustellen, dass die regierende Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) starke Veränderungen im juristischen, im Medien- und jetzt auch im Kulturbereich durchgesetzt hat, die natürlich auch auf die Situation des polnischen Theaters einwirken. Die lebendige Szene in vielen polnischen Städten, so wie ich sie früher wahrgenommen habe, wurde durch verschiedene Maßnahmen der Neuausrichtung von Theatern und Festivals, der Auswechslung von Personal, der Zensurausübung etc. stark zurückgefahren. Heute existiert immer noch eine spannende polnische Theaterszene, allerdings konzentriert sich diese nur noch in wenigen Städten, die wie Inseln funktionieren. Viele Theater und Festivals, die über ein Netzwerk verbunden waren, sind weggebrochen. Umso wichtiger ist es, den Aktiven eine Plattform zu bieten.

Wie positionieren Sie HELLERAU – Europäisches Zentrum der Künste im Kulturleben Dresdens?

Ich sehe HELLERAU als ein Haus, das an der Schnittstelle regionaler, nationaler und internationaler Kultur operiert. Die internationalen Künstlerinnen und Künstler, Kol­lektive und Companys spielen weiterhin eine große Rolle. Aber mir ist ebenso wichtig, dass auch die lokale und regionale Szene bei uns arbeitet, die ja inzwischen auch zum Teil eine große internationale Strahlkraft entwickelt hat und in entsprechenden Projekten involviert ist. Mir ist es wichtig, dass es da einen Aus­tausch und eine Vernetzung gibt. Wir haben den großen Saal, der sich für Gastspiele etablierter Kunstschaffender anbietet. An­dererseits wollen wir auch jüngeren Künstlerinnen und Künstlern mit neuen Formaten zu mehr Sichtbarkeit verhelfen. Dafür wollen wir uns noch stärker als ein Produktionshaus aufstellen und zum Beispiel Proberäume anbieten. Allerdings braucht es dafür auch dringend die Fertigstellung des Ostflügels.

Inwieweit hat das Haus durch die Stadtrandlage eine Sonderstellung?

Wichtig ist hier für mich die Frage, was die Vorteile des Hauses als Scharnier zwischen Stadt und Land sein können. Wenn man zu uns kommt, erlebt man andere Inhalte als im urbanen Setting in der Stadtmitte. Eine Überlegung geht dahin, das Festspielhaus als „Haus im Grünen“ noch mehr zu akzentuieren. Gleichzeitig wollen wir auch zu unserem potenziellen Publikum hingehen und mit HELLERAU noch stärker in den öffentlichen Raum hineinwirken, was wiederum eine gute Zusammenarbeit mit Koopera­tions­partnern, aber auch Behörden und Förderern voraussetzt. Mit solchen Konzepten im öffentlichen Raum habe ich auch in Basel schon gute Erfahrungen gemacht. Das waren Projekte, die vielleicht irritiert haben, die aber vor allem Spaß gemacht haben und auch ein anderes Publikum angesprochen haben.

Wie gelingt der Spagat, ein avantgardistisches Programm anbieten zu können und dennoch ein möglichst breites Publikum anzulocken?

Ich habe avantgardistische und experimentelle Kunst nie als eine Kunst verstanden, die nur ein kleines Publikum anspricht. Es gibt spektakuläre Künstlerinnen und Künstler wie zum Beispiel Miet Warlop, die ein sehr spezielles, durchaus experimentelles Kunstverständnis haben, de­ren Produktionen aber gleichzeitig über einen großen Unter­hal­tungs­wert verfügen und daher sehr publikumsaffin sind. Mei­ner Meinung nach muss ein Haus wie HELLERAU ein breites künstlerisches Spektrum bieten und Produktionen zeigen, die per se ein größeres Publikum ansprechen. Aber gleichzeitig wollen wir auch Projekte realisieren, bei denen wir nicht von vornherein sicher sein können, wie diese beim Publikum ankommen. Das muss es beides geben. Wichtig ist, dass wir als HELLERAU-Team für die Künstler*innen und für die Be­sucher*innen Ansprechpartner sind und auch eine Vermitt­lungsfunktion haben.

Welche Rolle spielt Interdisziplinarität im Programm?

Auch eine Mary Wigman hat sich schon vor 100 Jahren mit bildenden Künstlern umgeben und sich von ihnen inspirieren lassen. Das gilt nach wie vor. Wenn Künstle­rinnen und Künstler verschiedener Richtungen miteinander agieren, ist das in jedem Fall unglaublich bereichernd für den kreativen Prozess. Ich glaube zudem, dass man mit diesen interdisziplinären Ansätzen auch ein breiteres Publikum erreicht, da ja auch das Publikum ohnehin längst nicht mehr nur eingleisig unterwegs ist und in verschiedene Richtungen ausschwärmt. Das hat durchaus auch etwas mit unserer Zeit zu tun. Deswegen finde ich es sehr wichtig, diese Grenz­über­schreitungen bei der Zusammenstellung des Spielzeitpro­gramms von vornherein miteinzubeziehen.        

HELLERAU – Europäisches Zentrum der Künste Dresden

Karl-Liebknecht-Str. 56, 01109 Dresden

Weitere Informationen unter: www.hellerau.org

Interview: Philipp Demankowski

Sie interessieren Sich möglichweise auch für:

X