New Work: Wie leben und arbeiten wir in Zukunft?

Foto: Marcus Michaelis
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Wir befinden uns im Wandel. Auch unsere Lebensräume unterscheiden sich bereits wesentlich von den Umständen, die noch vor zwei Jahrzehnten herrschten. Gesellschaftliche Phänomene wie Digitalisierung, Achtsamkeit oder Identifikation moderieren unsere Vorstellungen davon, wie ein inspirierendes Miteinander funktioniert und wie ein kreatives Arbeitsumfeld aussieht, das unsere Potenziale auch wirklich ausschöpft. Diese Trends sind längst gelebte Gegenwart und werden sich in Zukunft immer weiter ausdifferenzieren. Mechanismen und Schlagworte wie Coworking, Viertage­woche, Flexibilität, sinnstiftende Arbeit und Home-Office werden in Zukunft immer mehr an Bedeutung gewinnen. Wir sprachen mit Prof. Jan Teunen über die kulturellen Entwicklungen unserer Lebensräume und die damit verbundenen Anforderungen, denen wir uns zukünftig stellen dürfen.

Als einer der Taufpaten des vielerorts ausgerufenen Begriffs „New Work“ gilt Prof. Jan Teunen, der als Cultural Capital Producer und Geschäftsführer seiner Firma Teunen Konzepte Kunden wie den Arbeiter Samariter Bund, den dm-drogerie markt oder Lufthansa AG dabei berät, eine Unternehmens­kultur aufzubauen, die den Ansprüchen von „New Work“ genügt. Seine Expertise wird aber auch von der Design-Hochschule Burg Giebichenstein in Halle geschätzt, wo er als Kuratoriums­mitglied und als Professor für Designmarketing tätig ist. Wir hatten das Vergnügen, uns mit Jan Teunen für ein interessantes Gespräch über „New Work“ zu treffen. Mit viel Leidenschaft legte er uns seine Konzepte für ein ansprechendes Büroumfeld dar und erklärte, warum wir einen Transfor­ma­tions­­prozess brauchen.

Herr Prof. Teunen – schön, dass Sie sich die Zeit nehmen! Gab es einen Moment in Ihrer Vita, der Sie dazu inspirierte, sich mit zeitgemäßer Arbeitskultur auseinanderzusetzen?
Jan Teunen: Das habe ich schon lange im Vorfeld getan, aber ein Schlüsselmoment war der 1. Visionsgipfel 2007 in Berlin. Dort war Mohammad Yunus für einen Vortrag eingeladen, der gerade für seine Mikrokredite einen Friedensnobelpreis bekommen hatte. Er bezeichnete arme Menschen als Bonsai-Menschen, die aus einem guten Samen gemacht werden, aber in einer zu kleinen Schale gefangen sind, um ihr Potenzial zu entfalten. Sein Traum, die Armut ins Museum zu verfrachten und Globalisierung in Globa­lität im Sinne einer gerechter verteilten Teilhabe umzuwandeln, hat mich damals sehr berührt. Umso glücklicher bin ich, dass er ein Vorwort für das Buch „Officina Humana: Das Büro als Lebensraum für Potentialentfaltung“ beigesteuert hat, an dem ich mitgeschrieben habe.

Professor Jan Teunen / Foto: Marcus Michaelis

Sie sprechen von den Menschen als vierdimensionale Wesen mit den Elementen Körper, Ich, Geist und Seele. Wie interagieren die Elemente miteinander und was folgt daraus für die Gestaltung unserer Lebenswelten?
Dabei ist es zunächst wichtig, dass wir den Men­schen ganzheitlich betrachten. Allzu oft werden nämlich Geist und Seele vernachlässigt. Viele Optimierungsprozesse im Büro betreffen aber nur den Körper, der zweifelsohne eine stimmige Ergonomie braucht. Stühle und Schreibtische sollten nicht zu Haltungs­schäden führen. Das Ich, die zweite Dimension, braucht Gebor­gen­­heit und Freiheit. Die meisten Büros sind leider rein funktional eingerichtet und spenden keinerlei Geborgen­heit. Menschen werden neurotisch, wenn die kulturelle Umgebung nicht antwortet. Gegenwärtig erleben wir, dass die Menschen im Home-Office ihrer Freiheit beraubt werden. Die Menschen haben keine Mög­lich­keiten zum Austausch. Der Geist wiederum strebt nach Sinn. Das haben viele Unter­nehmen erkannt, weshalb sie nach „Purpose“, nach einem sinnstiftenden Unternehmens­zweck, fahnden. Ist dieser gefunden, muss er sich wiederum auch in der Arbeits­umge­bung widerspiegeln.

Diese Suche nach Sinn der Unternehmen lässt sich also auch auf die Ebene der Arbeitnehmer herunterbrechen?
Ja, denn Menschen brauchen eine Mission, um ihre mentalen und spirituellen Bedürfnisse zu befriedigen. Gelingt dies, bekommen sie neben Gehalt und der Anerkennung in der Arbeits­gemeinschaft eine weitere große Belohnung, nämlich Sinn. Die Seele wiederum hat die Aufgabe, die Verbindung mit dem Großen und Ganzen aufrechtzuerhalten.

Foto: Marcus Michaelis

Welche Schlüsse ziehen Sie daraus für die Gestaltung eines ,,Büros der Zukunft”?
Es muss ein Umfeld geschaffen werden, um der Seele Nahrung zukommen zu lassen. Denn die Seele braucht Nahrung, die ich Spirit nenne und die es zum Beispiel konzentiert in der Kunst gibt. Deshalb ist es ganz wichtig, dass Kunstwerke und andere ästhetisch ansprechende Dinge in Büros zu finden sind. Denn Schönheit ist ein Dünger für Kreativität.

Es ist also nicht der Mangel an Effizienz und Funktionalität das Problem. Worin besteht dann unsere wirkliche Krise?
Die Funktion der Seele ist vielerorts gestört, weil die Verbindungen zwischen den Dimensionen gekappt sind. Es fehlt an Menschlichkeit im Büro, an Kreativität und Leiden­schaft. Deshalb ist es um die Motivation so schlecht bestellt. Das hat schon kurz nach der Renaissance begonnen, als die Welt komplex geworden ist. Um mit dieser Komplexität zurechtzukommen und die Übersicht zu behalten, haben wir mit Frag­mentierungsprozessen angefangen. Um dieser Krise Herr zu werden, müssen wir eine Transformation hin zu einer ganzheitlichen, nicht mehr fragmentierten Betrachtungsweise der Arbeit einleiten.

Sind das die Phänomene, die unter dem Schlagwort „New Work“ zusammengefasst werden?
Die Menschen spüren diese Krise und merken, dass Veränderung notwendig ist. Dadurch ist „New Work“ entstanden, wobei es eine erhebliche Definitionsunschärfe gibt. Da spielt die Digitalisierung, der Wille zu flachen Hierarchien, aber auch eine neue Generation mit anderen Ansprüchen an die Arbeit hinein. Doch mit Ideen allein ist die Transfor­mation nicht umsetzbar. Wir müssen Umstände schaffen, in denen sich die Menschen bei der Arbeit selbst motivieren können. Das ist die große Pflicht des Arbeitgebers.

Sie sind als Professor für Designmarketing an der renommierten Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle tätig. Was schätzen Sie an der Arbeit?
Ich liebe diesen Ort, denn ich bin ständig von jungen Menschen umgeben, die unglaublich inspirierend sind! Im Gegensatz zu vielen meiner Altersgenossen bin ich sehr positiv gestimmt, wenn ich diese jungen Leute und ihre Ideen sehe. Sie sind offen für neue Ideen. Nur so kann Transformation gelingen. Mir kommt es manchmal so vor, als würde ich mehr von den Studenten lernen, als sie von mir. Ein angenehmer Neben­effekt meiner Lehrtätigkeit ist es außerdem, dass einige ehemalige Studenten heute auch meine Auftrag­geber sind!

www.teunen-konzepte.de

Interview: Philipp Demankowski

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