Theaterkritik „Woyzeck“: Jenseits des Menschen

Woyzeck – v.l.: Michael Pietsch, Luise Aschenbrenner, Torsten Ranft, Matthias Reichwald, Lukas Rüppel, Birte Leest, Jannik Hinsch, Foto: Sebastian Hoppe
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Der von Jan-Christoph Gockel inszenierte „Woyzeck“ stellt am Schauspielhaus Dresden die richtigen Fragen, ohne dabei einfache Antworten zu geben. Gleichzeitig gelingt der Spagat mitreißendes Theater über die ganze Laufzeit auf die Bühne zu bringen.

Regisseur Jan-Christoph Gockel verlegt die Handlung von Büchners Sozialdrama-Fragments in das Bergwerksetting einer afrikanischen Stadt und vermengt sie mit dem Roman „Tram 83“ des kongolesischen Schriftstellers Fiston Mwanza Mujila. Die Adaptionen an den im Nachtclubmilieu spielenden Roman sind deutlich erkennbar. Die Tonalität ändert sich. Manchmal blitzt sogar Humor auf, der eine willkommene Abwechslung zum tragischen Grau darstellt, das sonst im Stück vorherrscht. Im Mittelpunkt des Geschehens steht die von Michael Pietsch gebaute Puppe, die den Woyzeck darstellen soll und die vom Puppenbauer weitgehend selbst bedient wird. Unterstützt wird er dabei von einer bestens aufgelegten Darstellerriege, aus der Luise Aschenbrenner und Lukas Rüppel noch etwas herausragen. Der geschundene Woyzeck durchlebt auch in der Inszenierung von Jan-Christoph Gockel Martyrium, das an die Nieren geht. Deutliche Bezüge werden zu Heinrichs Müller Rede „Die Wunde Woyzeck“ gezogen, die er 1985 nach der Verleihung des Georg-Büchner-Preises hielt. Darin sortiert der Autor seine Gedanken zum Proletariat, zu dessen revolutionärem Potenzial und zu Utopien jenseits des Menschenzeitalters.

v.l.: Jannik Hinsch, Birte Leest, Lukas Rüppel, Michael Pietsch, Matthias Reichwald, Foto: Sebastian Hoppe
Auf der Suche

Die Puppe, die während der kompletten Vorstellung von Menschen geführt werden muss, ist ein deutliches Symbol für die Unfreiheit des Woyzecks, der wiederum die Last der Arbeiterklasse auf sich trägt und von Hauptmann und Tambourmajor nicht nur subtil schikaniert wird. Thematisiert wird dabei offensichtlich der Rassismus der Aufklärung, in deren Namen pseudowissenschaftliche Disziplinen wie die Physiognomik versuchten, den Menschen zu vermessen. Wer will, findet aber auch Parallelen zu den heutigen Überwachungsverfahren, die wiederum zum Teil auf biometrischen Prozessen beruhen. Die Ähnlichkeiten sind mitunter frappierend. Überhaupt steht die Frage nach dem Wesen des Menschen über der Inszenierung. Wenn man den Ausgang von Büchners Drama bedenkt, fällt die Antwort schwer. Auch Gockels Woyzeck-Version hütet sich davor, einfache Antworten zu geben. Das Fragmentarische, das dem Stoff seit der ersten Fassung innewohnt, wird genutzt für mal mehr, mal weniger passende Inszenierungsideen, aber nie für einfache Anklagen. Trennscharfe Analysen verbieten sich von vornherein.

Woyzeck – v.l.: Birte Leest, Michael Pietsch, Matthias Reichwald, Luise Aschenbrenner, Jannik Hinsch, Foto: Sebastian Hoppe
Fantastisches Bühnenbild

Die Stimme wird dem Puppen-Woyzeck von Ezé Wendtoin verliehen, der in Dresdner Szenekreisen kein Unbekannter ist. Nor malerweise wird der aus Burkina Faso stammende Künstler eher als Musiker denn als Schauspieler geschätzt. Sein Spiel kann sich aber auch auf der Theaterbühne sehen lassen. Die Musik von Anton Berman aber verdient eine besondere Erwähnung, pendelt zwischen perkussiven und elektronischen Klängen, sie akzentuiert das Spiel an den richtigen Stellen, drängt sich aber nie auf. Herausragend ist auch das Bühnenbild von Julia Kurzweg. Über den Darstellern schwebt ein gewaltiger, kreisrunder Vorhang, der gekrönt wird von einem Netz aus Lichtröhren. Darunter erhebt sich ein sich drehender Zylinder mit einer leichten Schräge an der Oberseite, der gleichzeitig das Minenszenario beherbergt. Wenn die Schauspieler über das sich drehende Bühnenelement laufen, entsteht ein Schleifeneffekt, der die Unmöglichkeit für Woyzeck vorwegnimmt, seinem Schicksal zu entfliehen. Wenn am Ende die Marie in einem Loch in der Mitte des Zylinders verschluckt wird, glaubt man gar nicht, dass gerade knapp zwei Stunden vergangen sind. Der „Woyzeck“ von Jan-Christoph Gockel ist ein spannendes und trotz seiner Tragik stets unterhaltsames Stück Theater, bei dem die Zuschauer auf der sprichwörtlichen Sitzkante kleben bleiben.  

Text: Philipp Demankowski
„Woyzeck“ von Georg Büchner

Regie: Jan-Christoph Gockel
Schauspielhaus, Theaterstraße 2, 01067 Dresden

www.staatsschauspiel-dresden.de

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