Kein altes Eisen

Foto: Franziska Pilz - KONVEX
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Von den individualisierten Produkten der traditionsreichen Gießerei Radeberg profitieren Kunden verschiedenster Branchen. Hier gibt es keine Stangenware. Die Gussstücke sind wahre Unikate.

Wer das Glück hat, einen Firmenrundgang durch die Gießerei Radeberg zu erleben, wird die Eindrücke so schnell nicht vergessen. Schwere Maschinen dröhnen, Arbeiter in Schutzanzügen hämmern auf Metalle, geschmolzener Stahl fließt in große Formen. Keine Frage, die Arbeit in der Gießerei ist nicht für jedermann gemacht und gemahnt an vordigitalisierte Zeiten. Eisengießereien sind vermeintlich „Old Industry“, sagt Geschäftsführer Dirk Reinke. Doch der Eindruck täuscht. Die Arbeitsschritte sind bis ins kleinste Detail geplant, perfektioniert und hochtechnisiert. Das Werk ist absolut dem Fort­schritt verpflichtet. Wer genau hinschaut, entdeckt neben den mächtigen Maschinen auch filigrane Geräte, die hochpräzise Guss­stücke ermöglichen, etwa für die Motoren-Industrie. Nicht um­sonst hat sich der Rade­berger Traditionsbetrieb auf die Herstellung von passgenauen Nischenprodukten spezialisiert. Schwere und kompakte Guss­teile für den Maschinenbau werden genauso hergestellt wie individualisierte Formen beispielsweise für die Glasindustrie. Genau deshalb schätzen Kunden verschiedenster Branchen die Produkte der Rade­berger Gießerei.

Foto: Franziska Pilz – KONVEX

30 verschiedene Eisenqualitäten
Durch diesen breiten Kundenstamm umgeht das Unternehmen zudem die Gefahr, sich zu sehr von einem Auftraggeber abhängig zu machen. Tatsächlich hält gemessen am Gesamtvolumen kein Kunde ein höheres Auftragsvolumen als 10 Prozent. „Wir stellen eben keine Fertigprodukte her. Serienguss ist unsere Sache nicht. Stattdessen entwickeln wir in enger Abstimmung mit dem Kunden individualisierte Gussstücke für verschiedene Anwendungszwecke“, erklärt Dirk Reinke. Dazu gehört pro Auf­trag natürlich eine intensive Planungsphase, in der man sich sukzessive dem gewünschten Endprodukt annähert. Eine entscheidende Rolle spielt dabei der Parameter Werkstoff. Je nach Anwendung kommen unterschiedliche Materialeigenschaften zum Tragen. Eine Glasform etwa für ein Parfümflakon verlangt ganz andere Eigenschaften vom Gusseisen als beispielsweise ein Maschinenstück. Insgesamt werden 30 verschiedene Eisen­qualitäten angeboten. Neben dem Gusseisen, einer Eisenlegie­rung, werden derzeit auch immer mehr Sonderqualitäten nach­gefragt. Ein weiterer wichtiger Parameter ist die Geometrie der Produkte. Das Unternehmen hat durch seine hochtechnisierten Fertigungsprozesse, die auch 3D-Print-Verfahren beinhalten, schon häufiger Formen möglich gemacht, an deren Herstellung andere Gießereien gescheitert sind.

Foto: Franziska Pilz – KONVEX

Lange Tradition am Standort Radeberg
Für den reibungslosen Ablauf in der Gießerei Radeberg sorgt ein Team von bis zu 85 Mitarbeitern, wobei auch Kollegen aus Polen oder Ungarn zum Stamm zählen. Auch als Aus­bil­dungs­betrieb für Gießereimechaniker und Gießerei­modell­bauer verdingt sich die Gießerei. „Durch die anspruchsvollen Arbeits­bedingungen entsteht ein großes Familiengefühl unter den Kollegen“, bestätigt Dirk Reinke. Und das schon seit über 150 Jahren, denn die Gießerei schafft seit 1860 Arbeitsplätze in Radeberg. Und das an dem Standort, an dem das Werk auch heute noch steht. Damals wurde das Unternehmen unter dem Namen A. Geißler KG (Glasformenfabrik und Eisengießerei) in Radeberg gegründet, wobei der Schwerpunkt noch auf dem Glasformenbau und der Gussherstellung für Glasformen lag. Nach der Teilung Deutschlands wurde der Betrieb 1974 unter dem Namen VEB Gießerei und Glasformenbau Radeberg verstaatlicht, woraufhin er nach der Wende von der Treuhand übernommen wurde. Bereits 1993 konnte das Unternehmen privatisiert werden. Seit 2007 gehört das Unternehmen zu der familiengeführten in Bayern ansässigen „Rosai GmbH”, die seit Generationen international im Gussgeschäft tätig ist. Die beiden Geschäftsführer/Gesellschafter Alfred und Karl Rosai bekennen sich zum Standort Sachsen, indem sie neben den insgesamt acht Beteiligungen dort noch zwei weitere Unter­nehmen erfolgreich betreiben. Das Rezept hierfür ist der verantwortliche, persönliche Einsatz an allen Standorten.

Dirk Reinke, Geschäftsführer der Gießerei Radeberg GmbH / Foto: Franziska Pilz – KONVEX

Aus einem Guss
Ein Scheitelpunkt in der Unternehmensgeschichte war die Öffnung für den Kundenguss. Nachdem Radeberg auch durch andere Unternehmen über lange Zeit ein Zentrum der Glas­verar­beitung und des Glasformenbaus war, sank dessen Be­deutung nach der Wende. Um ökonomisch tragfähig und für Investoren interessant zu bleiben, mussten neue Absatzmärkte erschlossen werden. Mit dem Angebot, individuelle Guss­pro­dukte auf Basis von technischen Zeichnungen herzustellen, sicherte sich die Gießerei Radeberg nicht nur das Überleben, sondern auch eine stabil wachsende Zukunft. Für den Kunden­guss werden in der Regel zwei Elemente gebraucht. „Wir stellen das eigentliche Produkt her, das Gussstück. Dafür wird zu­nächst aber erst einmal das Werkzeug oder das Modell gebraucht. In der Regel fabrizieren wir auch dieses Werkzeug selbst. Oder wir gehen Kooperationen mit örtlichen Modellbauunterehmen ein“, erklärt Dirk Reinke. Entsprechend einzigartig sind die Pro­duk­te. Das wird beim Betriebsrundgang deutlich. Der Geschäfts­führer kann nahezu jedes Teil genau zuordnen. Für den Laien ein unmögliches Unterfangen.

Foto: Franziska Pilz – KONVEX

Volle Auftragsbücher
In den letzten Jahren wurden umfangreiche Investitionen in EDV-Ausstattung und Produktion getätigt. Weitere Investi­tio­nen stehen an. Dabei funktioniert aber die Zusammenarbeit mit den örtlichen Behörden nicht immer ganz reibungslos. Trotzdem ist man optimistisch, im nächsten Jahr mit weiteren Investitionen die Zukunft des Unternehmens sichern zu können. „Unsere Produkte und Fertigungstechnologien sind er­klärungs­bedürftig“, sagt Dirk Reinke. „Sie sind oft technisch hoch komplex.“ Der direkte Kontakt zum Kunden ist unerlässlich. Aufträge kommen deshalb vor allem aus Deutschland, der Schweiz und den Benelux-Ländern. In andere Länder wird zu gut 7 Prozent exportiert. Obwohl bei der Exportrate eine steigende Tendenz zu verzeichnen ist, sieht Dirk Reinke den Haupt-Absatzmarkt weiterhin in Deutschland. „Wir können uns nicht beklagen, stehen auch bei sich abzeichnenden schwierigeren ökonomischen Zeiten gut da. Unsere Auftrags­bücher sind voll.“ Die Chancen stehen also ganz gut, dass die „old industry“ aus Radeberg auch in 150 Jahren noch nicht zum alten Eisen gehört.

Gießerei Radeberg GmbH,
Ein Unternehmen der Rosai GmbH
Heinrich-Gläser-Str. 1, 01454 Radeberg
Telefon: 03528 43 67 0, E-Mail: info@giesserei-radeberg.de
www.giesserei-radeberg.de

Text: Philipp Demankowski

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