Von machttrunkenen Mainzelmännchen

Wir sind auch nur ein Volk – Auf dem Bild: Viktor Tremmel / Foto: Sebastian Hoppe
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Ein westdeutscher Autor studiert in der gelungenen Neufassung von „Wir sind auch nur ein Volk” kurz nach der Wende eine ostdeutschen Durchschnittsfamilie.

Schon vor Beginn der Vorstellung wird Schluss gemacht. Auf den noch geschlossenen Vorhang werden in Schleife Bilder der letzten Sendung des Deutschen Fernsehfunks, der staatlichen DDR-Fernsehsendeanstalt, projiziert. Da sieht man Dag­mar Frederic, einen der großen Fernsehstars der DDR, Ab­schieds­lie­der in bierseliger Showatmosphäre singen, während das Deut­sche Fer­nsehballett die Beine tanzen lässt. Das wirkt wie Kessel Buntes zum Trotz. Warum soll man sich die Laune verderben lassen? Es wurde zwar verloren, aber zumindest hat man mal was anderes versucht. Wenn dann später Viktor Tremmel die letzte Rede Erich Honeckers auf der Bühne zitiert, werden ähnliche Einsichten laut. Die DDR war zwar „ein Experiment, das gescheitert ist. Doch noch nie hat die Mensch­heit wegen eines gescheiterten Experiments die Suche nach neuen Erkennt­nissen und Wegen aufgegeben. Es ist nun zu prüfen, warum das Experiment scheiterte“.

Wir sind auch nur ein Volk – v.l.: Holger Hübner, Thomas Neumann, Moritz Dürr, Thomas Eisen, Betty Freudenberg, Bert Zander / Foto: Sebastian Hoppe

Studium der real existierenden Gestalten

Geprüft wird ohnehin viel in „Wir sind auch nur ein Volk. Der westdeutsche Autor Anton Steinheim (Thomas Eisen) soll eine Fernsehserie zur Einheit schreiben. Da er sich mit dem Osten Deutschlands gar nicht auskennt, wird ihm die typische Ost­familie Grimm zum Selbststudium vor die Nase gesetzt. Die vier Köpfe sind typische Wendeverlierer, teils arbeitslos, teils desillusioniert. So lassen sie sich vor allem wegen des Geldes auf das Experiment ein und bieten dem Herrn Autoren eine rechte DDR-Klischee-Show, inklusive Stasi und FKK. Ganz lösen kann sich das Stück also nicht vom Ostalgie-Verdacht, auch wenn das Stück zur Nachwendezeit spielt. Natürlich werden Karat und die Puhdys zitiert. Die Ostdeutschen sind zwar die Dummen, aber die Westdeutschen eben die Bösen. Und außerdem war früher vielleicht nicht alles besser, aber doch zumindest doch nicht so schlecht. Das konnte man vielleicht in den neunziger Jahren hinter vorgehaltener Hand sagen, als die Treuhand wütete. Heute allerdings empfiehlt es sich doch et­was differenzierter zu urteilen. Wie gut, dass das Stück in den neunziger Jahren spielt. Ein bisschen fragt man sich als Zu­schauer dann aber doch nach der Relevanz des Stückes heute.

Wir sind auch nur ein Volk – Viktor Tremmel, Thomas Neumann, Philipp Grimm, Nadja Stübiger, Betty Freudenberg, Moritz Dürr, Holger Hübner, Thomas Eisen / Foto: Sebastian Hoppe

Machthungrige Mainzelmännchen

Die Fassung von „Wir sind auch nur ein Volk“ nach den gleichnamigen Drehbüchern von Jurek Becker jedenfalls ist mehr als gelungen, was zum Großteil an der Spielfreude der Dar­stel­ler liegt. Vor allem Thomas Neumann als Schwiegervater und Nadja Stübiger als Trude Grimm wissen zu begeistern. Die über zweieinhalb Stunden vergehen wir im Flug, auch wenn nicht alle humoristischen Ideen so gut zünden wie die Main­zelmännchen, die als Gruppe unsympathischer und macht-trunkener Fernsehdirektoren über die Bühne hampeln. An­de­re Witze hingegen haben eher Kalauerniveau. Vor allem inszenatorisch schöpft die Komödie aber aus dem Vollen. Lange Zeit spielt das Stück in der Wohnung der Grimms, die von vier Wandteilen eingerahmt ist, so dass man die Schauspieler gar nicht richtig sieht. Stattdessen ist Kameramann Bert Zander ständig inmitten des Geschehens und filmt die Sprecher dabei ständig in Großaufnahme. Das Bild wird dabei auf eine Lein­wand am linken Bildrand übertragen. Das ist nicht nur eine unglaubliche Leistung des Kameramanns, sondern funktioniert auch als Unterhaltungselement gut, da die Home Video-Ästhetik der neunziger Jahre imitiert wird. Die Umbau­ar­bei­ten samt Bühnenarbeiter werden einfach in die Insze­nierung mit eingebaut. Zwar gibt es keinen wirklichen Grund für diese Vermischung von Schein und Sein. Doch trägt sie enorm zum Charme des Stücks bei.   

Wir sind auch nur ein Volk – Nadja Stübiger, Philipp Grimm, Holger Hübner, Thomas Neumann / Foto: Sebastian Hoppe

                                                           

Wir sind auch nur ein Volk

nach den gleichnamigen Drehbüchern von Jurek Becker, Bühnenfassung von Kerstin Behrens und Tom Kühnel
im Kleinen Haus, Glacisstraße 28, 01099 Dresden
Termine etc. unter www.staatsschauspiel-dresden.de

Text: Philipp Demankowski

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