Der schlafende Riese erwacht
Wir sprachen mit zwei ausgewiesenen Experten über das deutsch-russische Verhältnis: Dr. Uwe Lorenz, Geschäftsführer des Reisveranstalters Eberhardt TRAVEL, und Gernod Loose, Vorstand des Tourismusverbandes Rostourunion.
Das deutsch-russische Verhältnis hat sicher schon bessere Zeiten erlebt. Auf politischer Ebene machen den Akteuren auf beiden Seiten der festgefahrene Ukraine-Konflikt und die strikte EU-Embargopolitik zu schaffen. Dabei schlummern viele Potenziale, die jetzt langsam wieder entdeckt werden. Sowohl als Reiseland als auch als Heimat vieler Unternehmen mit verstärktem Interesse an wirtschaftlichen Beziehungen ist Russland aus deutscher Sicht sehr interessant. Dank der Stabilisierung des Rubels nach dem Währungsabfall 2014 steigt auch die Kaufkraft russischer Touristen im Ausland wieder an, was sich in Dresden an steigenden Hotelbuchungen russischer Übernachtungsgäste bemerkbar macht. Und auch das Interesse deutscher Touristen an Russland steigt kontinuierlich. Die neue Direktfluglinie von Dresden nach St. Petersburg ist nur eines der Symptome für diesen Trend. Zeit für eine Bestandsaufnahme. Wir sprachen mit zwei ausgewiesenen Experten über das deutsch-russische Verhältnis: Dr. Uwe Lorenz, Geschäftsführer des Reisveranstalters Eberhardt TRAVEL, und Gernod Loose, Vorstand des Tourismusverbandes Rostourunion.
Herr Loose, Rostourunion wurde 2017 gegründet. Wie kam es dazu?
Gernod Loose: Die Gründung geht auf eine Interessensgemeinschaft zurück, die sich seit 2013 mit Fragen des Austausches auf dem Gebiet des Tourismus zwischen Russland und dem deutschsprachigen Raum beschäftigt. Im gleichen Jahr fand das 1. Deutsch-Russische Tourismusforum in Dresden statt, das ein großer Erfolg wurde. Aktuell planen wir eine Fortführung des Forums. Der Bedarf an gegenseitigem Austausch ist hoch.
Worin besteht die Arbeit von Rostourunion?
Gernod Loose: Wir wollen den interkulturellen Austausch fördern, indem wir Angebote zur Völkerverständigung schaffen. Eines dieser Elemente sind die sogenannten Fam Trips. Das sind Kennenlernreisen, bei denen unsere Mitglieder und Partner austarieren können, inwieweit sich ein Engagement lohnt. Die Reisen bieten wir sowohl in der Russischen Föderation für Interessenten aus deutschsprachigen Ländern an, als auch für russische Interessenten im deutschsprachigen Raum. Die Akteure, die wir ansprechen, bewegen sich dabei entlang der touristischen Wertschöpfungskette: also Reiseveranstalter, Hotels oder sonstige Touristiker. Wir wollen mit unserer Arbeit ein realistisches Russlandbild vermitteln. Leider dominieren in der deutschen Berichterstattung oft Vorverurteilungen. Dem wollen wir entgegenwirken. Auch mit Publikationen und Workshops.
Herr Dr. Lorenz, inwieweit können Sie mit den Reisen von Eberhardt Travel dazu beitragen, das deutsch-russische Verhältnis zu verbessern bzw. Ressentiments abzubauen?
Dr. Uwe Lorenz: Unsere Reiseangebote sind darauf ausgelegt, das Land und die Menschen wirklich kennenzulernen. Zu Russland gibt es viel Unverständnis, das im Grunde aus Unkenntnis erwächst. Unsere Reiseteilnehmer werden deshalb von qualifizierten Reiseleitern begleitet, die oft selbst lange in Russland gelebt haben. Sie können das heutige Russland aus geopolitischen und kulturhistorischen Zusammenhängen heraus erklären. So werden die Probleme und Konflikte der Menschen verständlich.
Bemerken Sie eine verstärkte Nachfrage?
Dr. Uwe Lorenz: Absolut. Am beliebtesten sind die Städtereisen, wobei uns die neue Direktfluglinie nach St. Petersburg zugute kommt. Aber wir bieten auch Reisen in die entlegenen Winkel Russlands an, nach Sibirien oder Kamtschatka. Russland hat eine exzellent ausgebaute touristische Infrastruktur – von Top-Hotels bis zum ÖPNV. Wir vergessen oft, dass die Russen ja selbst in ihrem Land reisen und Urlaube verbringen. Wir Westeuropäer sind zwar willkommene Gäste, aber nicht diejenigen, für die z. B. die Hotels vorrangig betrieben werden. Es sind die Russen, die inzwischen hohe Ansprüche stellen.
Wie sind die Reaktionen der Teilnehmer, die zum ersten Mal nach Russland fahren?
Dr. Uwe Lorenz: Eigentlich sind alle positiv überrascht: Wie pünktlich die öffentlichen Verkehrsmittel sind, dass schon früh 6 Uhr der Schnee geräumt ist, wie souverän Extra-Wünsche erfüllt werden. Während der ersten Reise mit uns fallen die Vorurteile von Servicewüste und rauem Umgangston, dafür steigt die Neugier auf den kulturellen Reichtum und die unberührten Landstriche in diesem riesigen Land. Nicht selten melden sich unsere Reiseteilnehmer sofort nach der Heimkehr wieder für eine Russland-Reise an.
Gernod Loose: In den meisten Köpfen spukt ein falsches Russlandbild. Vor Ort ist das Land gar nicht so düster. Stattdessen findet man überall eine ausgeprägte Gastfreundschaft und Herzlichkeit. Die Russen honorieren das Interesse an ihrer Heimat mit Freundlichkeit.
Dr. Uwe Lorenz: Das liegt schon allein an der Größe des Landes: Angesichts der weiten Strecken waren die Russen selbst stets auf die Gastfreundschaft Fremder angewiesen. Ich habe bei meinen Russlandreisen eine beispielhafte Solidarität der Menschen untereinander kennengelernt. Dabei spielt auch die Russisch-Orthodoxe Kirche eine große Rolle. Zwar zersplittern ökonomische Interessenlagen die Gesellschaft, doch dem steht das Gebot der Nächstenliebe gegenüber, das in Russland eben viel mehr ist als eine Phrase von der Kanzel. Die Kirche organisiert und stabilisiert das Leben der Menschen.
Die Unterschiede zwischen den einzelnen Regionen sind sicherlich groß?
Dr. Uwe Lorenz: Natürlich sind Moskau und St. Petersburg Leuchttürme. Aber auch in den Provinzregionen hat sich die ökonomische und soziale Lage der Menschen positiv entwickelt. Der eigene, unabhängige Markt im Land wird eine immer stabilere wirtschaftliche Größe, auch durch die EU-Embargopolitik. Daraus entwickelt sich eine starke Mittelschicht – die ihrerseits ein Bedürfnis nach komfortablen Reisen hat.
www.rostourunion.de, www.eberhardt-travel.de
Text: Philipp Demankowski