Filmkritik „Transit“: Auf der Flucht

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Christian Petzold versetzt in „Transit“ Anna Seghers Flüchtlingsgeschichte aus dem Zweiten Weltkrieg in die Jetztzeit.

Seinen Lieblingsroman, Anna Seghers „Transit“, liest Christian Petzold nach eigenem Bekunden einmal pro Jahr.  Nun macht er ihn zum Filmstoff. Da er nach „Barbara“ und „Phoenix“ vorerst keine historischen Filme mehr drehen will, versetzt er die Handlung kurzerhand ins Heute. Ein gelungenes Experiment. Wie immer bei den Filmen des von der Filmkritik so geschätzten Regisseurs schafft er es, eine erstaunliche Realitätsnähe zu erzeugen, die im Falle von
„Transit“ auch die zeitliche Adaption der Handlung übersteht. Das Marseille, in das sich Georg (Franz Rogowski) vor den näher kommenden Deutschen flüchtet, ist ein sehr gegenwärtiges Marseille. Die Zwänge, die von den Flüchtenden ausgehalten werden und mit denen sie sich arrangieren müssen, wirken nie obsolet. Ihr Bedrohungspotenzial flirrt ständig durch die Gassen der Hafenstadt. Polizeitransporter unterbrechen mit ihren gellenden Sirenen das vorsichtige Gemurmel der Menschen. Für Unterredungen begibt man sich besser in einen Raum, in dem man nicht gesehen wird. Und vor den Botschaften und Behörden bilden sich lange Schlangen. Menschen versammeln sich, um die rettenden Schiffs passagen und Transitpapiere zu ergattern.

Die Zeit der Ausbeuter

Denn die Flüchtenden wollen raus aus dieser Stadt. Wer keine Papiere bekommt, wählt die Flucht in die Berge oder die gefährliche Grenzroute über die Pyrenäen nach Spanien. Natürlich kann man die Intention von Christian Petzold herauslesen, seine von Populisten eingefangenen Mitbürger an ihre eigene Geschichte zu erinnern. Lebensbedrohliche Zustände verursachen Risiken, die Menschen in Not bereit sind einzugehen. Aus lauter Verzweiflung vertrauen sie sich auch Ausbeuterexistenzen an. Schlepper haben Hochkonjunktur. Trotz aller Verortung in der Jetztzeit spielt Christian Petzold die magischen Möglichkeiten des Kinos gekonnt aus. Hier legt
ein Kinoliebhaber einen Film vor, der wie zuletzt in „Barbara“ und „Phoenix“ kleine Gesten und Blicke wirkungsvoll ausspielt. Wie gewohnt verzichtet der Autorenfilmer zwar auf jegliches Pathos, die Geschichte von „Transit“, die sich langsam entspinnt, ist aber dennoch den Mechanismen des traditionellen Hollywood-Kinos verpflichtet. „Casablanca“ kommt einem immer wieder in den Sinn, nicht nur wegen ähnlicher Motive wie Flucht und verhinderter Liebe. Auch die Atmosphäre in den Küstenstädten gleicht sich.

Starkes Ensemble

Die beiden Hauptdarsteller Franz Rogowski und Paula Beer als Marie stellen sich für den Film als echter Glücksgriff heraus. Beide entwachsen spätestens mit ihren Rollen in „Transit“ dem Status als deutsche Nachwuchshoffnungen. Doch auch in den tragischen Nebenrollen ist der Film mit Barbara Auer, Godehard Giese oder Maryam Zaree hervorragend besetzt. Einmal mehr gelingt es Christian Petzold, ein Ensemble um sich zu scharen, das den Film trägt, aber nicht beherrscht. Trotz starker Schauspielleistungen fügen sich die Charaktere in das nervöse Gewusel in Marseille ein. Hier wird eine tragische Episode in schwierigen Zeiten erzählt. Es scheint aber längst nicht die einzige verhängnisvolle Geschichte in dieser Stadt und in dieser Zeit zu sein.

Transit

Erscheinungsdatum DVD/Blu-ray Deutschland: 5. Oktober 2018
Regie: Christian Petzold

Text: Philipp Demankowski

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