Filmkritik „Thelma“: Norwegische Albträume

0

Regisseur Joachim Trier erzählt in Thelma virtuos vom Erwachsenwerden unter übernatürlichen Vorzeichen.

Ein Campusvorplatz in Oslo. Studenten und Passanten gehen ihrer Wege. Alltagsgeräusche, wie sie jeder kennt, aber nicht wahrnimmt, bilden die Tonspur. Die Kamera hat das Geschehen im Blick und zoomt von weiter Entfernung immer weiter ins Bild, bis sie die Protagonistin ins Fadenkreuz genommen hat. Ganz so wie es Thelmas Vater (Henrik Rafaelsen) am Anfang des Films mit einem echten Gewehr macht. Bis auf wenige Ausnahmen wird die Kamera Thelma (Eili Harboe) für die Dauer des Films nicht mehr loslassen. Die Szene hat keine große narrative Bedeutung und gibt doch die reduzierte, aber beunruhigende Stimmung des Films des norwegischen Regisseurs Joachim Trier vor.

Die junge Norwegerin ist gerade nach Oslo gezogen, um zu studieren, ist sich ihrer Sache aber noch längst nicht sicher. Das spürt man schon in ebenjener Campusszene, wenn sie nervös ihre Notizen  durchblättert, um die richtige Vorlesung zu finden. Hier wird keine Aufbruchsstimmung eines jungen Erwachsenen gezeigt, der begierig darauf ist, ein eigenständiges Leben zu beginnen. Thelma ist verunsichert. Der Anruf bei den zutiefst religiösen Eltern darf unter keinen Umständen verpasst werden.

Bald wird deutlich, dass dieses Unbehagen Ursachen hat. Mit Thelma stimmt etwas nicht. Vögel knallen plötzlich gegen die Bibliotheksfenster. Thelma erleidet Anfälle, die nichts mit Epilepsie zu tun haben. Plötzlich hat sie seltsame Visionen. Auch die langsam wachsende Liebe zur neuen Freundin Anja (Kaya Wilkins) wird davon überschattet. Nach und nach wird die Wahrheit hinter der ohnehin nur mühsam aufrechterhaltenen Fassade der Familie aufgedeckt.

Joachim Trier, der schon mit „Oslo, 31. August“ und „Louder Than Bombs“ Kritikerlieblinge vorlegte, schafft es seinen Genre-Hybriden aus Coming-Of-Age-Drama und Science-Fiction-Thriller nach allen Regeln inszenatorischer Kinokunst auszugestalten. Ein Film ist entstanden, der die Zuschauer von der ersten Sekunde an nicht loslässt, was auch am zurückhaltenden, aber an den richtigen Stellen expressiven Spiel von Hauptdarstellerin Eili Harboe liegt.

Thelma

Erscheinungsdatum DVD/Blu-ray Deutschland: noch unbekannt
Regisseur: Joachim Trier

Text: Philipp Demankowski

Sie interessieren Sich möglichweise auch für:

X