Ahmad Mesgarha: „Das Entscheidende entsteht nebenbei”

© Franziska Pilz
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Fusion aus Lyrik und Musik: Ahmad Mesgarha mit seiner Band TRIOZEAN bei einer musikalischen Lesung im HAUS des BUCHES zu seinem Buch ,,Das Entscheidende entsteht nebenbei”

Von den Dresdner Bühnen ist er nicht mehr wegzudenken. Schon 1990 wurde Ahmad Mesgarha am Dresdner Schau­spielhaus engagiert, nachdem er an der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ in Leipzig studierte. Seitdem ist der 60-Jährige dem Dresdner Theater treu geblieben, hat als Ensemblemitglied unzählige Rollen gespielt und auch an anderen hiesigen Bühnen wie dem Theaterkahn oder Hoppes Hof-Theater Spuren hinterlassen. 2004 wurde er mit dem Erich-Ponto-Preis ausgezeichnet. Er arbeitete mit zahlreichen namhaften Regisseu­ren zusammen wie Klaus Dieter Kirt, Stefan Bachmann, Roger Vontobel, Tilmann Köhler, Rainald Grebe, Volker Lösch, Tom Kühnel und Claudia Bauer. Und doch war dieses Leben keineswegs nur ein strikt lineares, sondern eines, in dem auch Hinder­nisse überwunden werden mussten. Auch eines, das Ahmad Mesgarha auf viele Reisen und Pilgerpfade führte. Davon und von vielem mehr erzählt der gebürtige Berliner in seinem zweiten Buch „Das Entscheidende entsteht nebenbei“, das einen ganz persön­lichen Blick hinter die Kulissen des Theaters und auf eine außergewöhnliche Künstler­biografie erlaubt. Auf der Grundlage vieler verschiedenen Text­arten – Briefe, Songs, Gedichte, Tagebuch­notizen oder Briefaus­schnitte – ist ein wunderbares Buch entstanden, sein zweites nach dem Abenteuer-Sport-Reise-Konglomerat „Was willst du denn auf Island: Meine Laufreise“. Wir sprachen mit dem sympathischen Schauspieler, Sänger und Gelegenheits-Autor anläss­lich seiner musikalischen Buchvor­stellung in der THALIA BUCHHANDLUNG im Haus des Buches.

Foto: © Franziska Pilz – Studio Konvex

Mit welchen Gedanken haben Sie das Projekt zu Ihrem neuen Buch gestartet?
Wie immer an meinen runden Geburtstagen habe ich mir eine Herausforderung gesucht. War es mit 40 der erste Soloabend, wollte ich zu meinem 50. Geburtstag meinen ersten Marathon rennen, der in San Francisco stattgefunden hat. Zu meinem 60. Geburtstag im August 2023 sah ich meine Auf­gabe darin, ein Buch zu veröffentlichen, das im Wesent­lichen meine Gedanken und Gefühle zum Inhalt hat.

Es ist eine besondere Form mit ganz vielen verschiedenen Textarten entstanden…
Das lag vor allem daran, dass ich kein spezielles Konzept für das Buch hatte, sondern Zufälligkeiten zusammenbringen wollte. Die Dinge, die im Buch gelandet sind, hatten meistens eine bestimmte Intention, zum Beispiel den Übergang zwischen zwei Liedern, die Verlängerung eines Monologes auf der Bühne, aber auch Briefe oder eine Trauerrede. Die Texte waren nie für eine Buchveröffentlichung vorgesehen. Ich habe sie aber so miteinander kombiniert, dass ein Mosaik entstanden ist, das meine Art des Denkens abbildet. Dabei ist mir durchaus bewusst, dass ich kein Dichter bin, sondern eben ein Schau­spieler, der schreibt.

Wie beeinflussen sich denn die Schauspielerei und das Schreiben gegenseitig?
Irgendwann habe ich gemerkt, dass meine Stärke darin besteht, Geschichten zu erzählen. Die Menschen folgen meiner Figur auf der Bühne, sie lachen und weinen mit ihr. Ich glaube, ich kann Geschichten mit einigen Gewürzen so verschärfen, dass sie merkwürdig werden, dass sie es also wert sind, gemerkt zu werden. Da gibt es auch eine Geschichte im Buch dazu. Das war der Ausgangspunkt für das Schreiben. Ich hatte zunächst vor allem meine Pilgertagebücher im Sinn. Damals hatte ich angefangen, im Bett eines Ortes irgendwo in Frankreich meine Gedanken aufzuschreiben. Und auch diese Texte habe ich noch einmal hervorgekramt und neu aufblühen lassen. Sie haben sich im Buch erst richtig entfaltet. Ich wollte gerne, dass die Leser teilhaben an einem Moment, in dem ich nicht wusste, wie es weitergeht.

Foto: © Franziska Pilz – Studio Konvex

Das Buch heißt „Das Entscheidende entsteht nebenbei“. Ist also der Zufall der rote Faden des Buches?
Viele Gedichte haben schwerwiegende Ent­schei­­dun­gen vorweggenommen und manche Geschichten wiederum habe ich nur geschrieben, um sie mir zu merken. Es kommen natürlich auch Songtexte vor, die ich geschrieben habe, eines zum Beispiel für meinen Freund und Kollegen Rainald Grebe. Er hat es nie gelesen, am Ende habe ich es selber gesungen. Ganz im Sinne von: „Das Entschei­dende entsteht nebenbei“. Das Muster für das Buch hat sich erst später eingestellt.

Die Texte decken also eine recht lange Zeitspanne ab?
Ja, das stimmt. Einige wenige Texte datieren weit zurück, doch die meisten sind ungefähr vier, fünf Jahre alt. Ich habe aber auch viele Texte neu geschrieben oder überarbeitet.

Welche Rolle spielt die Musik beim Zustandekommen des Buches?
Das ist unterschiedlich. Manche Texte sind von Vornherein entstanden, um sie musikalisch zu betonen. Andere wiederum wurden erst später in die Noten erhoben und sind eigentlich als Gedicht entstanden. Olga Nowikowa, unsere Bandleaderin von TRIOZEAN, hat mir aufgetragen, mindestens zwei Texte pro Jahr zu schreiben. Das ist oft gar nicht so einfach. Zudem ist es ja nicht unbedingt gleich so, dass ein neuer Text sofort zu musikalischer Inspiration führt. Ich habe oft den Eindruck, dass die brauchbaren Zeilen immer dann entstehen, wenn man sich gar nicht explizit zum Schreiben hingesetzt hat, sondern zum Beispiel nur etwas Aufgeschnapptes festhalten will. Das passt ja auch zum Buchtitel.

Was bedeutet die Veröffentlichung des Buches für Sie persönlich?
Mit dem 60. Geburtstag habe ich auch eine gewisse Phase in meinem Leben abgeschlossen. Es ist schön, dass das Buch in der Welt ist. Das genieße ich auch ein bisschen, denn ich habe auch lange an den Korrekturen gesessen. Der Arbeits­prozess mit meiner Lektorin kam mir beim Schreiben meines Vorgängerbuchs „Was willst du denn auf Island: Meine Lauf­reise“ sehr anstrengend vor. Da habe ich mich gefragt, wie Leute es fertigbringen, dicke Bücher zu schreiben. Natürlich gab es auch beim neuen Buch einen regen Lektoratsprozess, aber wichtiger waren die sieben Personen, die ich gern „Ges­chmacks­verstärker“ nenne: Freunde, Dramaturgen und Kollegen aus dem Theater. Das sind Menschen, die mir sehr wichtig sind und vor deren Urteil ich mich auch ein Stück weit gefürchtet habe. Sie haben sich viel Arbeit und dadurch das Buch besser gemacht. Zum Beispiel, indem sie mich darauf hingewiesen haben, die Privatheit in einer Geschichte nicht über Gebühr zu strapazieren.

Und doch spielt die private Sphäre eine entscheidende Rolle. Nicht umsonst gibt es auch Tagebucheinträge oder Briefe unter den Texten. Warum ist es Ihnen so wichtig, dass das Buch auch so persönlich ist?
Wenn ich spiele, dann bin ich das Material. Ich bin es gewohnt, mich aufzumachen. Andere Schauspieler mögen das anders sehen, aber so ist eben mein Weg. Zwar habe ich ge­merkt, dass zu viel Offenheit auch kontraproduktiv sein kann, aber wenn du den Othello spielt, kannst du abends die Kinder nicht ins Bett bringen. Sonst hast du was falsch gemacht. Das ist ein Spiel mit dem Feuer. Sowohl um Wahr­haftig­keit, als auch um Leichtigkeit hervorzubringen. Diesen Weg habe ich mir hart erarbeitet.

Foto: © Franziska Pilz – Studio Konvex

Welcher Weg ist das genau?
Ein Weg, der mit Fehlern gesäumt war. Fehler sind das Gewürz des Lebens. Mein Mut besteht darin, zu weit zu gehen. Weiter als vorgesehen. Vielleicht bin ich ein ewige Kind. Und vielleicht ist das Leben eine ewige Pubertät.

Ein Leben, das seit 1990 am Theater in Dresden stattfindet. Woher kommt die Treue?
Während des Studiums wollte ich unbedingt nach Dresden, weil ich wusste, dass dort gutes Theater gespielt wird. 1990 hatte ich das Glück, als junger Schauspieler engagiert zu werden. Es war eine behutsame Zeit. Und ich hatte ein weiteres Mal Glück, auf Regisseure zu treffen, die mich erkannt, gefordert und geformt haben. Ich übernahm Verantwortung und fand als Berliner in Dresden Heimat. Und für mich stand fest, dass ich hierbleiben werde, solange es mir nicht schlecht geht.

Und das ist nie passiert?
Das Leben hält viele Überraschungen bereit. Die unerwarteten Schattierungen bewegen mich. Haben mich geformt. Ich habe die Amplituden ausgeschritten, keinen Fehler ausgelassen. Ich habe immer gelebt. Im wahrsten Sinne. Vielleicht beschreiben es die Zeilen aus meinem Song: Wenn der Teufel am Abend nach Hause geht (2019) sehr treffend: „Er ist Spieler und Verlierer, er ist Kaiser oder Clown. Er ist Mörder und Betrüger, du kannst immer auf ihn bau’n. Irgendwie war ihm das nie ganz geheuer, doch das ist wohl der Preis, für das Spiel mit dem Feuer.“ Ich habe im Staatsschauspiel Dresden bislang über 2.000 Mal auf der Bühne gestanden. Ich liebe dieses Theater. Es ist der Ort meiner Erfüllung.

Ahmad Mesgarha: „Das Entscheidende entsteht nebenbei”

Ahmad Mesgarha ist zu sehen in ,,Besuch der Alten Dame” (Premiere am 5. April ) und als Nathan in ,,Nathan der Weise” (Premiere im September)!

Interview: Philipp Demankowski

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