Söntke Campen: In synthetischen Gärten

„We Came In Camouflage” (Ausschnitt), 2022, 160 cm x 140 cm, Öl auf Leinwand, Foto: © Söntke Campen
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Ausstellungstrilogie NEUE WILDNIS mit Malerei von Söntke Campen

In der Kunsthalle im Penck Hotel Dresden, der Galerie Holger John und der Fürstengalerie des Residenzschlosses Dresden erwartet Kunstfreund*innen ab dem 23.06.2023 eine Ausstellungstrilogie. Wir sprachen vorab mit Künstler Söntke Campen.

Sie wurden 1991 Geldern geboren und leben und arbeiten in Hamburg und Leipzig. Wie kam der Kontakt zu Dresden und der Galerie Holger John zustande? 
Ich arbeite auf recht großen Formaten, da ist es als junger Künstler nicht immer leicht, passende Räume zu finden, wo auch eine Vielzahl solcher Werke gezeigt werden kann. In Hamburg wurde mir bei einer Ausstellung die Kunsthalle des Penck und generell Dresden als Kunstort nahegelegt. Die Räume sind sehr geeignet für Großformate, das Team des Penck Hotels sowohl sehr kompetent als auch tatenfreudig, und über meinen Künstlerfreund Gustav Sonntag kam ich zum passenden Galeristen, dem Mann der Superlativen: Holger John. 

Söntke Campen, „Der Popanz mit den schönen Beinen”, 2023, 200 cm x 290 cm, Öl auf Leinwand, Foto: © Söntke Campen

Ab dem 23.06.2023 sind gleich drei Ausstellungen Ihrer Werke in Dresden zu sehen. Wie kamen Sie auf den Titel „Neue Wildnis”? 
Ich beschäftige mich im weiten Rahmen des Natur/Mensch-Verhältnis. Es geht viel um Paradiessehnsüchte und die dunklen Ecken dieser Urgärten, aber auch deren luftige Höhen. Als Maler ist man gewissermaßen auch ein Schöpfer einer Welt, doch begrenzt man diese auf das Material, in meinem Fall Öl auf Leinwand. Als expressionistischer Maler bediene ich mich meiner Intuition und lasse mich im Gestus durch eine innere Wildnis leiten, doch das findet seine Grenze am Abgrund des Keilrahmens. Wir können nicht zurück in den paradiesischen Urwald, weil wir dort schlicht nicht mehr heimisch sind – Spinnen und so. Doch wünschen uns diese alte Heimat so sehr, dass wir uns eine „Neue Wildnis“ schaffen, ein synthetisches Eden. Eine Wildnis voller Regeln, Strukturen, Ampeln, Narkotika und Plastikblumen. Eine „Neue Wildnis“ ist somit ein Paradox sowohl für uns Menschlein, als auch für mich als Maler. 

Söntke Campen, „Aufstand im Schlaraffenland”, 2023, 200 cm x 290 cm, Öl auf Leinwand / Foto: © Söntke Campen

Was erwartet die Besucher in der Kunsthalle im Penck Hotel?
In der Kunsthalle des Penck zeige ich eine umfangreiche Auswahl meiner Großformate. Insgesamt sind es etwa 80 Werke, wovon die meisten im Penck hängen. Beispielsweise wird die Ausstellung am Eingang mit dem „Apotheosis-Triptychon“ (Öl auf Leinwand, 2019, 260 cm x 600 cm) eröffnet, welches ich zusammen mit der Künstlerin Kasia Kohl malte. Dargestellt ist die Erhebung des Menschen aus dem Naturgefüge, welche auch für die meisten anderen Werke Themenfeld ist. In vielen Arbeiten gibt es eine Vielzahl von inhaltlichen, als auch ästhetischen Zwischentönen, die sich erst über den Titel oder den historischen Rückgriff aufklären lassen. Hinzu kommt, dass die Malerei generell durch ihre schlechte Übertragung ins digitale Neuland eine Chance auf eine Art Wahrnehmungsrenaissance hat. Wir sind als digitale Dauerkonsumenten darauf geschult, in Sekundenbruchteilen zu lesen und zu verarbeiten: Scroll und weg. Meine Malereien behaupten sich durch eine verwebte Gleichzeitigkeit von Figur und offener Form, die sich oft erst in realer Größe und nur mittels Zeit lesen lässt, sie sind gewissermaßen Anti-Digital.

„MYTH OF TE NEAR FUTURE” ist die Show in der Galerie Holger John überschrieben. Wie unterscheiden sich die dort gezeigten Werke von denen im Penck Hotel?
In der MYTH OF THE NEAR FUTURE-Reihe werden zwei geschichtliche Großereignisse in Bezug gesetzt, deren Ausmaße bis heute nachwirken und unsere Welt prägen. Gewissermaßen die Rahmenbedingungen für unser vermeintliches „Paradies auf Erden“. Nachdem die USA direkt nach dem Krieg auf dem Bikini-Atoll ihre Atombomben testeten, wurde in Paris in Begeisterung dieses „Fortschritts“ ein Badeanzug mit dem Claim „die anatomische Bombe“ beworben: Der Bikini. In diesem Moment trifft das Symbol totaler Gewalt auf das Symbol totaler Freizügigkeit. In einer Art Kulturimperialismus wurden die westlichen Ideale um die Erde verschifft und unterwanderten Kultur und Individuum. Heute haben sich die Ideen von Freiheit und Gewalt durchgesetzt und wir werden uns mehr und mehr über die Schattenseiten bewusst. Wir kreierten oder in meinem Fall (Baujahr 1991) wurden hineingeboren in ein Weltbild, dass fundamental hinterfragt werden muss. Das gefügige Bild der Bikinifrau ist heute zum Glück aus der Mode gekommen und einem emanzipierten und selbstbewussten Ideal gewichen und die ausgeweitete Verteilung der Atomwaffen taumeln aus dem „Gleichgewicht des Schreckens“ des Kalten Krieges an den Rande eines neuen und gleichzeitig alten Großkonflikts, in dem sich auch Werte und Ideale gegenüberstehen. Ein Abgesang überkommender Weltbilder. Eine Rückschau auf diese Welt bietet auch die Hoffnung auf neue Welten. 

Söntke Campen, „The Anatomic Bomb”, 2022, 160 cm x 135 cm, Öl auf Leinwand / Foto: © Söntke Campen

Eine exklusive Premiere findet am 23.06.2023 in der Fürstengalerie im Residenzschloss Dresden statt. Was wird dort zu sehen sein?
In der Fürstengalerie des Residenzschlosses wird das Monumentalbild „Die Wiederentdeckung der Sterblichkeit“ aus dem Jahr 2020 gezeigt. Das 290 cm x ca. 1.700 cm Panorama zeigt eine ausuferndes Szenario im Zeichen der zwei grundlegenden Triebe aus Eros und Thanatos. Die überspitzen Darstellungen changieren zwischen Sinnlichkeit und Brutalität unserer Lebensrealität und formulieren eine gesellschaftliche Konfliktzone. Das Werk ist sicherlich nicht nur für die Marmorköpfe der sächsischen Könige in der Fürstengalerie eine Herausforderung. 

Weshalb sind Sie Künstler? Was inspiriert Sie? 
Ich wüsste sonst nicht, was ich machen soll. Ich habe schon immer gemalt und gezeichnet, Welten kreiert. Die spannendsten Bilder habe ich als Kind gemalt. Völlig ungehemmt und ungeheuerlich. Ufos, Burgen, Riesenkraken, alles in einer Landschaft. So frei bin ich heute leider nicht mehr… Die Welt ist häufig so ernst, nehmen wir sie nicht auch noch ernst. Die Künste bieten die größten Freiräume, die prinzipiell jeder bespielen kann. Etwas Wissen und Technik sind hilfreich, aber zu viel davon auch wieder ein Problem. Hinzu kommt, dass die künstlerische Tätigkeit als prinzipiell offener Vorgang, als Spiel begriffen, einen mit Themen und Inhalten überrascht, die man für sich gar nicht forciert hätte, dass sich häufig sogar das, was einen bisher wenig und nur abseitig interessierte, plötzlich auf der Leinwand findet. Ein Kunstwerk ist somit nicht unbedingt die Meinung des Künstlers, es ist nur ein Gedankenraum – gute Kunst schafft sogar einen gesellschaftlichen Gedankenraum. Sie will das hinterfragen, was wir selber beeinflussen können, sie will uns überdenken und langatmig prägen. Ein Kunstwerk ist nie eindeutig, es ist die manifestierte Ambiguität, keine Wahlschrift. 

Söntke Campen, „Befreiungskriege”, 2023, 160 cm x 140 cm, Öl auf Leinwand / Foto: © Söntke Campen

Ist Malerei der Schwerpunkt Ihres Schaffens? Entstehen auch Zeichnungen und Objekte?
Ich komme eigentlich vom Zeichnen. Ich habe Illustration bei Prof. Christian Hahn an der HAW Hamburg studiert. Die Malerei auf großen Formaten war für mich ein Erweckungserlebnis, weil hier der ganze Körper mitarbeitet und sich eine andere Kraft auf die Leinwand überträgt, wenn man einen Pinselstrich über eine Spanne von mehreren Metern ziehen kann. Ich zeichne nahezu täglich, genauso wie ich täglich schreibe, in Ausstellungen zeige ich jedoch keine Zeichnungen und auch in den Malereien werden sie nicht übertragen. Ich arbeite generell ohne Skizze oder Vorzeichnung. Skulptur und Objekt sind für mich selten und werden in dieser Ausstellung der „Neuen Wildnis“ nicht gezeigt.

Interview: Jörg Fehlisch

Neue Wildnis”
Söntke Campen

Malerei
23.06. – 01.10.2023 KUNSTHALLE PENCK HOTEL, GALERIE HOLGER JOHN, FÜRSTENGALERIE RESIDENZSCHLOSS DRESDEN
Vernissage am Freitag, 23.06.2023

19 Uhr | Kunsthalle im Penck Hotel Dresden
Ostra-Allee 33 | 01067 Dresden

21-22 Uhr | exklusiv am 23.06.2023 | Fürstengalerie Residenzschloss Dresden
Staatliche Kunstsammlungen Dresden | Taschenberg 2 | 01067 Dresden
DIE WIEDERENTDECKUNG DER STERBLICHKEIT
Premiere | unveröffentliches Monumentalgemälde | Öl, Acryl auf Leinwand | 290 x 1700 cm | 2020

22 Uhr | Galerie Holger John
Rähnitzgasse 17 | Barockviertel | 01097 Dresden
MYTH OF THE NEAR FUTURE

Shuttle-Bus zur Vernissage | Penck Hotel Dresden | Residenzschloss | Galerie Holger John

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