Ein persönlicher Einblick

Dr. Gerhard Elger / Foto: © David Pinzer Fotografie
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Wir sprachen mit dem Leiter des Gerhard Richter Archivs Dr. Dietmar Elger über die Aufgaben seiner Einrichtung und die Ausstellung „Gerhard Richter: Portraits. Glas. Abstraktionen“.

Es ist eine sehr persönliche Ausstellung geworden. Dass sich Gerhard Richter dazu entschlossen hat, die Ausstellung zu seinem 90. Geburtstag in Dresden zu organisieren, zeigt den Stellenwert, den seine Heimatstadt nach wie vor für ihn hat. Die Präsentation „Gerhard Richter: Portraits. Glas. Abstraktionen“ entstand dabei in enger Zusammenarbeit mit dem Künstler und vereint 40 Exponate.

Gerhard Richter im Albertinum, Dresden 2017, © Gerhard Richter 2021 (0165/2021), Foto: David Pinzer, SKD

Die treibende Kraft hinter der Schau ist das Gerhard Richter Archiv, dessen Leiter Dr. Dietmar Elger wohl einer der profundesten Kenner des Werks ist. Jüngst abgeschlossen wurde die Arbeit am sechsbändigen „Catalogue raisonné“, einem Werk­verzeichnis, dessen abschließender sechs­ter Band im Februar veröffentlicht wurde. Auch Dietmar Elger hat während des Mammutprojekts noch neue Facetten am ohnehin schon äußerst umfangreichen Werk des Künstlers entdeckt. Wir sprachen mit dem Archivleiter, der Gerhard Richter seit fast 40 Jahren kennt, über die Aufgaben seiner Einrichtung und über die neue Ausstellung.

Ausstellungsansicht „GERHARD RICHTER: Portraits. Glas. Abstraktionen”, / © Gerhard Richter 2022, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Foto: David Pinzer

Warum ist es wichtig, dass Dresden ein Gerhard-Richter-Archiv hat?
Dietmar Elger:
Dresden ist sein Geburtsort, was die Stadt schon zu einem natürlichen Standort für das Archiv macht. Die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden hatten aber schon vor der Gründung des Archivs viele Bilder im Bestand und als Dauerleihgaben, die ab 2004 in einer Dauerpräsentation gezeigt wurden. Erst zwei Jahre später ist das Archiv als eine wichtige Ergänzung entstanden. Museen haben drei Auf­gaben: sammeln, präsentieren und forschen. Und das Archiv erfüllt eben vor allem diese dritte Funktion. Davon profitieren einerseits externe Forscher, die von uns Zugang zu Materialien bekommen und denen wir mit Zuarbeiten helfen. Es gibt kaum eine Gerhard Richter-Ausstellung, bei der wir nicht irgendwie die Hand mit im Spiel hatten. Andererseits initiiert das Archiv eigene Projekte wie eben das Werkverzeichnis.

An welchen Kriterien richten Sie Ihre Arbeit im Archiv aus? Gibt es Vorgaben von den Staatlichen Kunst­samm­lungen?
Einerseits ist es uns wichtig, dass wir die Archivalien öffentlich machen und dass wir vernachlässigte Aspekte des Werkes von Gerhard Richter in Ausstellungen und Publikationen präsentieren. Zum Beispiel haben wir zuletzt eine Ausstellung über die Jahre 1961 und 1962 organisiert. Das ist die Zeit, nachdem Gerhard Richter Dresden verlassen und bevor er sein offizielles Werk ab Ende 1962 begonnen hat. Das ist eine spannende Umbruchszeit, die viel Unbekanntes zu Tage gefördert hat. Auch haben wir seinen einzigen Künst­lerfilm aus dem Jahr 1967 auf DVD als Teil eines Buches veröffentlicht. Seitdem war dieser Film in vielen Ausstellungen zu sehen. Wir haben dabei absolut freie Hand. Die Projekte, die wir anstrengen, entstehen aus unserem eigenen Antrieb heraus. Das gilt sowohl für Ausstellungen als auch für Publi­kationen.

Dr. Dietmar Elger, Leiter Gerhard Richter Archiv / Foto: © Staatliche Kunstsammlungen Dresden

Ein großes Projekt des Archivs ist die erweiterte und aktualisierte Neuausgabe des 1986 erschienenen Werk­ver­zeichnisses. Der sechste Band, der die Jahre von 2007 bis 2020 umfasst, ist gerade erschienen. Haben Sie einen neuen Blick auf den Künstler erworben?
Mein Blick hat sich zumindest erweitert, weil wir viele Bilder gesehen haben, die wir noch gar nicht kannten. So umfangreich und in der Detailfülle, wie es jetzt festgehalten ist, kannte auch ich sein Werk noch nicht. Das ist ja auch das Schöne an einem Werkverzeichnis. Man sieht eben nicht nur die großen, wichtigen Bilder, die immer wieder in den Ausstellungen gezeigt werden, sondern auch die kleinen Bilder aus privaten Sammlungen.

Sind die Sammler auskunftsfreudig, wenn sie an Sie herantreten?
Das ist sehr unterschiedlich. Eigentlich dachte ich, dass die Recherchen leichter werden, je näher man an die Gegenwart heranreicht. Aber ich habe jetzt eher ein gegenteiliges Gefühl. Sammler, die schon vor 50 Jahre ein Richter-Bild erwarben, sind meist offener. Zu beobachten ist auch, dass die Sammler bei den sehr teuren Bildern verschlossener sind.

Ausstellungsansicht, © Gerhard Richter 2022, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Foto: David Pinzer
Gerhard Richter, Abstraktes Bild (952-1), 2017, Öl auf Leinwand, 200 x 200 cm, © Gerhard Richter 2021 (0165/2021)

Was bedeutet es für Sie, dass die Ausstellung „GERHARD RICHTER. Portraits. Glas. Abstraktionen“ zu seinem 90 Ge­burts­tag gerade in Dresden stattfindet? Er gewährt ja einen sehr privaten Einblick.
Zum 80. Geburtstag gab es die große Retro­spektive in London, Berlin und Paris. Und zum 85. Geburtstag wurde eine Ausstellung im Museum Ludwig in Köln organisiert, die wir dann als zweite Station übenehmen konnten. Nun haben wir schon relativ früh gesagt, dass wir die Aus­stellung zum 90. Geburtstag gerne in Dresden veranstalten würden. Dabei ist eine Ausstellung entstanden, die sehr stark von Richter selbst und nicht von Kuratoren zusammengestellt wurde. Er hat sich sehr engagiert und intensiv daran gearbeitet, nicht nur hinsichtlich der Werkauswahl, sondern auch der Ausstellungsarchitektur. So hat er immer wieder Änderungen vorgenommen und sogar ganze Räume verschoben. Dadurch ist eine sehr persönliche Schau entstanden, die eher einem künstlerischen Essay als einer kunsthistorisch-didaktischen Ausstellung ähnelt.

Ihr berufliches Leben ist eng verflochten mit dem Werk Gerhard Richters? Hat sich Ihr persönliches Verhältnis und Ihre Sicht auf sein Werk über die fast 40 Jahre verändert, in denen Sie immer wieder zusammenarbeiteten?
Sein Werk verstehe ich natürlich jetzt weitaus besser. Das passiert zwangsläufig, wenn man sich so intensiv mit einem Künstler beschäftigt. Die persönliche Beziehung hat sich eigentlich nicht geändert. Wir führen letztlich eine nette Arbeitsbeziehung.

Waldhaus (890-1), 2004, Öl auf Leinwand, 142 x 98 cm, © Gerhard Richter 2021 (0165/2021)

Für viele junge Künstler hat Gerhard Richter den Stel­len­wert eines Altmeisters. Er hat ja auch lange Jahre an der Kunst­akademie Düsseldorf gelehrt. Würden Sie dennoch sagen, dass sein Werk auch heute noch als zeitgenössisch be­wertet werden kann?
Unbedingt. Er ist einer der wenigen Künstler, die auch nach Jahrzehnten immer noch Werke hervorbringen, die Relevanz haben und auch kontrovers diskutiert werden. Zuletzt war das der Birkenau-Zyklus. Da werden Sie lange über­legen müssen, bevor Sie einen Künstler finden, der nach so langer Zeit immer noch gesellschaftsrelevante Themen mit seinen Bildern bearbeitet und dabei ein so großes Echo findet.

Interview: Philipp Demankowski

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