Filmkritik „Lieber Thomas“: Eine deutsch-deutsche Künstlergeschichte
„Lieber Thomas” ist ein filmischer Parforceritt durch das bewegte Leben des Autoren und Filmemachers Thomas Brasch.
Wenn sich Filmfans über den „deutschen Film“ aufregen, ist einer der ersten Vorwürfe meist das verengte Themenfeld. Falls keine platte Schweiger- oder Schweighöfer-Komödie gedreht wird, so geht es doch mindestens um das Dritte Reich oder die DDR. So pauschalisierend solche Vorbehalte sind, so sehr steckt doch ein Körnchen Wahrheit drin. Insofern hat es Andreas Kleinert mit seinem Biopic „Lieber Thomas“ von Anfang an nicht ganz einfach mit den selbsternannten Kritikern des deutschen Films. Hinzu kommt, dass das bewegte Leben des Autoren und Filmemachers Thomas Brasch genug Stoff für eine Trilogie hergeben würde. Der Film bringt es nun auf über 2,5 Stunden, die strukturiert werden durch die Verse eines der betörenden Gedichte Braschs: „Was ich habe, will ich nicht verlieren.“ Das ist eine gute Entscheidung, auch wenn die schiere Fülle an Biografiematerial über die Laufzeit trotzdem nicht ganz eingefangen wird. Ein Vorhaben, das von vornherein zum Scheitern verurteilt war, dabei aber stets unterhaltsam bleibt.

Vermengung von Wirklichkeit und Träumen
Dass der Film komplett in schwarz-weiß daherkommt, ist ebenfalls nachvollziehbar. Dadurch gelingt es, die DDR und später auch andere Schauplätze in wunderbaren Bildern einzufangen. Schon die anfängliche Autofahrt von Vater Horst und Sohn Thomas durch herrliche Felder ins Eliteinternat ist ein visueller Traum, der noch von einem schwärmerischen Score untermalt wird. Die letzte große formale Entscheidung schließlich ist die Vermengung von Wirklichkeit und Träumen, in denen einige der späteren Handlungsetappen vorweggenommen werden und die die Konflikte des von Albrecht Schuch hervorragend portraitierten Dichters versinnbildlichen. Der Sohn jüdischer Emigranten liebte das Projekt der DDR, verzweifelte aber an seinen Unmöglichkeiten. Immer wieder sah er sich mit Widersprüchen konfrontiert, die nicht nur sein künstlerisches Schaffen, sondern auch das Verhältnis zu seinem Ministervater (Jörg Schüttauf) belastete. Dass sich Andreas Kleinert in den Machtspielen zwischen beiden auf keine Seite schlägt, ist eine der größten Stärken des Films.
Blasse Frauenfiguren
Und so rasen die Zuschauer im Eiltempo an den Lebensstationen vorbei. Nach dem Internat kommt das Studium und danach das Gefängnis aufgrund von Widerstand gegen die DDR-Zensur infolge des Prager Frühlings. Irgendwann stellt Thomas Brasch schweren Herzens den Ausreiseantrag. Erfolge als Autor und Regisseur folgen der Flucht in den Westen. Eine Künstlerbiografie wird hier erzählt, die nicht nur die deutsch-deutsche Geschichte miterzählt, sondern auch zahlreiche prominente Zeitzeugen als Figuren miteinbezieht. Allein die Familie Brasch zählt gleich mehrere historisch bedeutsame und mitunter äußerst tragisch verlaufende Künstlerleben, die nicht nur künstlerisch ein reiches Erbe hinterlassen haben und es noch tun. Das wusste auch schon der gleichnamige Dokumentarfilm von 2018 für sich zu nutzen. Blass bleiben dagegen leider die Frauenfiguren, die aufgrund der Rasanz der Erzählung und der Konzentration auf den Hauptdarsteller kaum Raum bekommen. Unverständlich ist auch, warum im späteren Kapitel weiterhin Jelle Haase Braschs Freundin Katharina Thalbach spielt, während der Dichter selbst plötzlich von einem anderen Darsteller (Peter Kremer) gespielt wird. Dennoch: „Lieber Thomas“ ist unbedingt sehenswert und alles andere als eine dröge Geschichtsstunde.
Lieber Thomas
Regie: Andreas Kleinert, Kinostart: 11. November 2021
Redaktion: Philipp Demankowski