Johannes Vermeer: Der versteckte Liebesgott

Johannes Vermeer, „Brieflesendes Mädchen am offenen Fenster”, Zustand während der Restaurierung am 16.01.2020 / Foto: © Gemäldegalerie Alte Meister, Staatliche Kunst­sammlungen Dresden, Foto: Wolfgang Kreische
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Vermeers „Brieflesendes Mädchen am offenen Fenster“ kann ab September in seiner ganzen restaurierten Schönheit begutachtet werden.

Es gibt kaum ein Gemälde, das in den letzten Jahren so sehr im Licht der Dresdner Stadtöffentlichkeit stand wie Ver­meers „Brieflesendes Mädchen am offenen Fenster“. Kein Wunder, schließlich lässt die Geschichte dahinter die Herzen passionierter Kunsthistoriker höher schlagen. Im Zuge der Res­taurierung des Kunstwerks in der Dresdner Gemäldegalerie Alte Meister fanden Experten heraus, dass der bisherige Zu­stand des Ge­mäl­des mit einer großflächigen Übermalung im Hintergrund nicht von Vermeer geschaffen wurde. Nach der Ab­nahme der Übermalung, die von fremder Hand und deutlich nach Vermeers Tod ergänzt wurde, kam die Darstellung eines stehenden Cupidos (Liebesgott) als „Bild im Bild“ an der Zim­merwand wieder ans Licht. Mit viel Medienwirbel und vor der versammelten internationalen Kunstpresse konnte schließ­lich das überarbeitete Meisterwerk präsentiert werden. Eine wirkliche Sensation in der Kunstwelt, die natürlich auch zu einer Neubewertung der kunsthistorischen Bedeutung des Gemäldes führen musste.

Präzisionsarbeit

Das hat sich Kurfürst Friedrich August II., für dessen Samm­lung es 1742 aus Paris erworben wurde, sicher nicht so vorgestellt. Ab September können sich nun auch die Dresdner und ihre Gäste von der Handwerkskunst des Restauratoren-Teams überzeugen, nachdem die Sonderausstellung pandemiebedingt mehrere Male verschoben werden musste. Und dass hier viel Finger­spitzengefühl gefragt war, steht außer Frage. Chef­res­tau­rator Christoph Schölzel arbeitete mit einem winzigen Skalpell unter dem Mikroskop und kam dabei auf maximal zwei Qua­drat­zentimeter pro Tag. Fast schon eine Sisyphusarbeit, in je­dem Fall aber eine mit einem hohen Maß an Verantwortung. Dass die Restaurierung ein solches Medien­echo erfahren hat, liegt sicher auch daran, dass Vermeers Œuvre mit etwa 35 heute bekannten Werken sehr klein ist. Insofern ist die Tatsache, dass neben dem „Brieflesenden Mädchen“ für die Ausstellung noch neun weitere Gemälde des Holländers nach Dresden kommen, ein echtes Ereignis.

Johannes Vermeer, Straße in Delft, um 1658, Öl auf Leinwand,
54,3 x 44 cm / © Amsterdam, Rijksmuseum, Foto: Carola van Wijk
Vermeer satt

Gemälde kommen aus dem Amsterdamer Rijksmuseum, dem Frankfurter Städel oder aus den National Gallerys in Was­hington und London. Darüber hinaus geben über 40 Werke der holländischen Genremalerei der zweiten Hälfte des 17. Jahr­hunderts einen umfassenden Einblick in das künstlerische Um­feld Ver­meers, darunter Hauptwerke von Pieter de Hooch, Gerard Dou, Frans van Mieris und Gerard Ter Borch. Hinzu kommen Skulp­turen, Druckgrafik, Porzellan und historisches Mobiliar, die in Beziehung zu den Gemälden gesetzt werden. Kern der Aus­stel­lung ist natürlich die „Briefleserin“, der ein eigenes Aus­stel­lungs­segment gewidmet wird, um den komplexen, experimentellen Entstehungsprozess des Bildes zu verdeutlichen.

Johannes Vermeer. Vom Innehalten
September 2021 bis 2. Januar 2022
Gemäldegalerie Alte Meister, Dresden
www.skd.museum

Redaktion: Philipp Demankowski

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