„Atemwende”
Die OSTRALE Biennale 021 setzt am neuen zentralen Standort in der Robotron-Kantine auf Vernetzung und kreative Prozesse.
Neue Besen kehren gut und neue Umgebungen setzen kreative Impulse frei. So jedenfalls könnten die Hintergedanken und die Hoffnungen des Ostrale-Teams sein. Denn nach dem Rückzug aus dem Ostragehege, den damit verbundenen Querelen und 2019 dem kurzzeitigen Umzug in die Historische Tabakfabrik f6, hat die Kunstausstellung nun vorübergehend ein neues Domizil mit Charakter gefunden. Vielleicht nicht mit so viel Platz wie in den rustikal-atmosphärischen Räumlichkeiten im Schlachthofgelände, aber doch mit genug Raum für allerhand künstlerische Experimente. In der leerstehenden Kantine des früheren DDR-Kombinats Robotron steht immerhin eine Ausstellungsfläche von ca. 3.500 m² zur Verfügung. Der Standort in der Innenstadt Dresdens dürfte ein weiteres Plus sein, um die nach Kunst lechzenden, Corona-müden Besucher in Scharen anzulocken. Der diskrete Charme der DDR-Architektur dürfte sein Scherflein zum Gelingen der Ausstellung beitragen.

Ein neuer Kunstort für Dresden?
Dass die Robotron-Kantine überhaupt genutzt werden kann, ist der Düsseldorfer Immobiliengesellschaft Gateway zu verdanken, die ihr Objekt für die Ostrale öffnet. Auch das Kunsthaus Dresden hat hier eine temporäre Außenstelle gefunden und wer mit offenen Augen im Frühjahr in der Nähe des Gebäudes spazieren gegangen ist, wird bemerkt haben, dass zumindest die Außenfassade bereits mit unterschiedlichen Kunstaktionen bespielt wurde. Es zieht also wieder Leben ein in die Robotron-Kantine und mit kräftigem Daumendrücken könnte hier eine Kulturstätte mit permanentem statt temporärem Status entstehen. Neben der Robotron-Kantine dürfen sich Dresdner Kunstinteressierte übrigens auch noch auf ein kleines Potpourri an Satellitenausstellungen im Rahmen der Ostrale freuen. Als besonders spannend könnte sich die Zusammenarbeit mit der Stadtentwässerung Dresden in Dresden-Kaditz herausstellen. Thematisiert wird nichts weniger als unsere Beziehung zu Flüssen, Wasser, Nachhaltigkeit und den weiteren Zusammenhängen zwischen Gesellschaft, Umwelt und Kunst. Dazu kommen die Gedenkstätte Bautzner Straße und das Ostrale Zentrum in Dresden-Übigau.
Ein europäisches Projekt
Ein wesentliches Merkmal der diesjährigen Ostrale ist zudem die Vernetzung mit der internationalen Kunstcommunity. Die Kooperation mit ähnlich gelagerten Festivals spielt im Ostrale-Kontext schon immer eine große Rolle, doch 2021 geht das Team um die künstlerische Leiterin Andrea Hilger noch einen Schritt weiter. Unter dem Schlagwort „Flowing Connections“ (FLOC) haben Kuratoren aus verschiedenen Ländern zusammengearbeitet, um die Ausstellung vorzubereiten. Die Co-Finanzierung kommt vom Creative Europe Programm der Europäischen Union. In einem gemeinsamen Prozess stimmte sich Andrea Hilger dabei mit Nataša Bodrožic und Ivana Meštrov aus Kroatien, mit Patricija Gilyte aus Litauen und mit Krisztián Kukla aus Ungarn ab. Nachdem die Biennale in Dresden beendet ist, zieht eine Auswahl der Kunstwerke weiter nach Budapest, nach Rijeka, Split und Zagreb sowie schließlich in die Europäischen Kulturhauptstadt 2022, nach Kaunas.

Auf der Suche nach Zeitgenossenschaft
Genug Ausstellungsmöglichkeiten gibt es also. Und natürlich steht die Zahl der Exponate der Fläche in nichts nach. In Dresden werden zunächst 557 Werke aller Genres der zeitgenössischen Künste von 138 Künstlerinnen und Künstlern aus 34 Ländern gezeigt. Insgesamt gingen 1.114 Bewerbungen ein. Thematisch steht die Ostrale 2021 unter dem Titel „Atemwende“, wobei das Zitat „In den Flüssen nördlich der Zukunft / werf ich das Netz aus“ von Paul Celan Pate stand. Große Transformationsentwürfe und Zukunftsvisionen könnte man also schon erwarten, wenn der Atem eine andere Richtung einschlagen soll. Natürlich interpretieren die Kuratoren diesen Anspruch unterschiedlich. Andrea Hilger stellt dabei die „Zeitgenossenschaft als (…) zentrale Kategorie unserer Arbeit“ heraus. Sie will sich mit der Auswahl der Kunstwerke einmischen und die Gesellschaft bereichern, dabei aber möglichst viele Perspektiven einnehmen. Patricija Gilyté aus Kaunas wiederum interessiert sich vor allem für solche Kunstwerke, die nie in eine Sackgasse geraten, ständig im Fluss bleiben und über die Fähigkeit verfügen, Energie zu erzeugen. Insofern ist „Flowing Connections“ ein durchaus passendes Mantra für eine vielfältige Ostrale 2021, zu der übrigens während der Laufzeit auch ein Katalog erscheinen wird. Das alles klingt vielversprechend. Vielleicht könnte die Ostrale 2021 für Dresden gerade die Veranstaltung werden, die nach einer langen Zeit ohne künstlerische Denkanstöße wieder für dringend benötigte neue Impulse sorgt.
Ostrale Biennale 021 – Atemwende
Juli bis 3. Oktober 2021,
Hauptort: Robotron-Kantine Dresden
www.ostrale.de
Redaktion: Philipp Demankowski