Freiheit als Glücksprinzip

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In jedem von uns schlummert der Traum von Freiheit – sich von der schweren Last des Alltags oder der Ver­gangenheit zu befreien und einfach im Moment zu leben.

So wie der amerikanische Schriftsteller Jack Kerouac ,,on the road” ohne festes Ziel die Welt Stück für Stück erkundete, verspricht Reisen Unab­hängig­keit und das beflügelnde Gefühl, Teil dieser Welt zu sein. Doch die Definition von Freiheit ist weitaus komplexer als unsere westlich romantisierte Vorstel­lung davon. Hier folgt ein kleiner Versuch der Annähe­rung an eines der höchsten Ideale unserer Gesellschaft.

Die Freiheit und die Hippies

Keine kulturelle Jugendbewegung hat unsere Vorstellung von Freiheit mehr geprägt als die Hippies in den 60er Jahren. Sie kämpften gegen das Establishment und den Konsumwahnsinn und brachen mit gesellschaftlich gängigen Moralvorstellungen wie der Institution der Ehe durch ihr Konzept der ,,freien Liebe”. Sie stellten die Wohlstandsideale der Mittel­schicht und deren konservativen Regel- und Etikettenzwang komplett in Frage und sprengten damit die Grenzen in den Köpfen von mehreren Generationen. Mit ihren zutiefst altruistischen Werten wie Liebe, Freiheit, Toleranz und Naturver­bundenheit setzten sie sich für eine friedliche und humane Welt ein, in der jedes Lebe­wesen die gleiche Existenzberechtigung hat und die Selbst­verwirklichung des einzelnen Individuums als gesellschaftliches Gesamtkonzept aufgehen sollte.

Die Freiheit und das Bewusstsein

Doch was bedeutet es eigentlich, frei zu sein? Ist Freiheit Realität oder nur ein selbstauferlegtes Ideal; eine subjektive Illusion? Spielt die eigene Wahrnehmung nicht eine wesentliche Rolle bei der Definition des Freiheitsbegriffs? Ist man nur dann frei, wenn man sich dessen auch bewusst ist? Sicher ist eins: die Freiheit beginnt im Kopf und sie endet da, wo ihr Grenzen aufgezeigt werden. Wir fühlen uns frei, wenn ,,alles fließt” und wir den natürlichen Wandel von Werden und Vergehen akzeptieren lernen. Schon der griechische Philosoph Platon folgte in der Spätantike der heraklitischen Lehre, dass ,,alles fließen möge” (panta rhei). Nach dem französischen Roman­cier, Dramatiker und Philosophen Jean-Paul Sartre verleiht erst die Freiheit dem Menschen seine Würde, denn der Mensch ist das einzige Lebe­wesen, das sich seiner Existenz auch bewusst ist. Die Freiheit verändert unseren Blickwinkel maßgeblich und öffnet unseren Geist für neue Perspektiven.

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Die Freiheit und das Hier und Jetzt

Freiheit heißt also ,,Loslassen können” und dem natürlichen Lauf der Dinge zu vertrauen. Das ist auch ein zentraler Grund­gedanke des Freiheitsbegriffs nach dem niederländischen Philosophen Baruch de Spinoza, für den Freiheit die Einsicht in die Not­wendigkeit der Dinge und das Erkennen und Vertrauen ins göttliche Prinzip bedeutet. Es ist die Akzeptanz des Wandels, die uns mit der Glückselig­keit eines Kindes beschenkt. Erst wenn die Zukunft zur Gegenwart wird, können wir die Magie des Moments erkennen und auch genie­ßen. Voraus­setzungen hierfür sind Neugierde und Offenheit für die Welt sowie das Ver­trauen in uns selbst. Es ist ein immerwährender Prozess der Befreiung von der eigenen Erwartungs­haltung sowie der Erwartungshaltung anderer, als auch von der Illusion der Angst. Es ist eine große Heraus­forderung, der wir uns täglich stellen müssen. Folgen wir den falschen Glaubens­sätzen, begrenzen wir nur uns selbst und fühlen uns folglich gefangen in unserer kleinen Welt. Deshalb ist es so wichtig, sich immer wieder zu hinterfragen, ,Bin ich hier richtig, wo ich gerade bin? Kann ich mich weiterentwickeln an der Seite der Mens­chen, die mich umgeben? Werde ich respektiert, motiviert und gefördert oder werde ich unterdrückt, begrenzt und permanent in Frage gestellt?’

Die Freiheit und die Toleranz

Freiheit heißt, seine Meinung sagen zu dürfen und zu gehen, wohin man will oder zu bleiben, wo man sein möchte. Doch Freiheit ist nicht bedingungslos, da man zwangsläufig an Grenzen stößt. Nur wer in Bewegung bleibt und offen für neue Er­fahrungen ist, bekommt die Möglichkeit, die Welt durch die Augen der anderen zu sehen. So entsteht Toleranz, die uns die wertvolle Chance gibt, verantwortungsvoll mit der Freiheit umzugehen und die Grenzen anderer zu respektieren. Mit Empathie und Offenheit wird so das scheinbare Paradoxon von Freiheit aufgelöst. Das Recht auf Freiheit ist heute in unserem Grundgesetz verankert und damit einer der wichtigsten Grundpfeiler der Demokratie. Den Einzug der Demo­kratie in Europa haben wir geschichtlich betrachtet der Französi­schen Revolution zu verdanken, die im 18. Jahrhundert die absolute Herrschaft von Ludwig XVI. beendete, dessen dekadenter Lebens­stil zur katastrophalen Verarmung der Bevölkerung führte. Die Forderung nach Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit war einer der bedeutendsten politischen Wende­punkte in der europäischen Geschichte und ein großer Schritt für die gesellschaftliche Sensi­bilisierung für Menschenrechte. Der Gedanke, dass alle Menschen frei und mit den gleichen Rechten geboren sind und einander in Brüderlichkeit begegnen, ist gleichzeitig ein zutiefst religiöses Prinzip. Jesus Christus starb für die Liebe und auch für die Freiheit, denn er erlöste die Mensch­heit nach christlichem Glauben von ihren Sünden und ihrer Schuld.

Die Freiheit und die Vielfalt

,,Der Mensch ist nicht frei geboren, sondern zur Freiheit berufen.”, wusste der deutsche Philosoph und Schriftsteller Moritz Carrière. Er vertrat die Einstellung, dass Freiheit gleichzeitig Selbst­bestimmung heißt. Und tatsächlich ist es einer der vielen positiven Aspekte von Freiheit, sich frei bewegen und über seine Zeit und deren Gestaltung selbst entscheiden zu können. Seiner Bestimmung zu folgen bedeutet, sein höchstes Potenzial frei entfalten zu können. Denn mit jeder neuen Erfahrung wächst der menschliche Horizont. Es potenziert sich gleichzeitig die Zahl des Möglichen und der Raum scheint schier unendlich zu werden. Theoretisch sollte dieser Raum allen zur Verfügung stehen; jeder Mensch sollte die Erfahrung machen können, sein Bewusstsein für die Welt täglich zu vergrößern. Egal, ob dies nun real passiert, indem man sich tatsächlich auf Reisen begibt oder ob man in die Welt von Kunst, Kultur oder Wissenschaft eintaucht – die riesige Fülle an Möglichkeiten erweitert unseren geistigen Horizont und sprengt die Grenzen kleingeistigen Denkens. Denn Freiheit kennt keine Grenzen und ist wie die Liebe oder die Kunst überall auf der Welt zuhause.

Die Freiheit und die Kunst

Die Kunst macht sich die Freiheit zunutze, denn es ist die Aufgabe des Künstlers, Grenzen zu sprengen, mit Perspektiven zu spielen und provokante Fragen aufzuwerfen. Von der Norm abzuweichen und sich trauen, unbequem zu sein, ist wichtige Ausdrucksform zeitgenössischer Kunst in einer freien Gesell­schaft. Wenn Kunst uns berührt, kann sie unsere Sichtweise nachhaltig ändern. In unserem System ist Kunst gesellschaftlich anerkannte Freiheit und damit ein großes Privileg, das wir genießen dürfen. In der Kunst fließt alles zusammen, was nötig ist, um die Welt zu begreifen, denn sie gibt uns Einblicke in die Geschichte, die Philo­sophie, die Psychologie, in verschiedene Kulturen und deren Wertevorstellungen. Kunst provoziert und gleichzeitig schafft sie Verbindungen und Zusammenhänge, die uns ohne sie verborgen blieben.

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Die Freiheit und die Liebe

Obwohl es auf den ersten Blick so scheinen mag, Freiheit und Liebe seien ein Widerspruch, ist genau das Gegenteil der Fall: Freiheit braucht Liebe und umgekehrt! Denn sobald wir uns in emotionalen Abhängigkeiten verlieren, fühlen wir uns unfrei und die Liebe stirbt. Besitz­ansprüche an Menschen haben nichts mit Liebe zu tun, sondern mit der Angst, nicht zu genügen und dem Ego, das seine Defizite auszugleichen versucht. Wahre Liebe ist selbstlos und stellt keine Bedingungen. Sie akzeptiert den Menschen mit all seinen Licht- und Schattenseiten. Die Liebe ist glücklich, wenn ihr Gegenüber glücklich ist – auch, wenn das bedeutet, dass sich die Wege trennen. Die Liebe lässt also frei. Der österreichische Lyriker Erich Fried brachte die Akzeptanz der bedingungslosen Liebe in seinem Gedicht ,,Was es ist” 1983 ziemlich gut auf den Punkt:

Was es ist
Erich Fried
Es ist Unsinn, sagt die Vernunft
Es ist was es ist, sagt die Liebe
Es ist Unglück, sagt die Berechnung
Es ist nichts als Schmerz, sagt die Angst
Es ist aussichtslos, sagt die Einsicht
Es ist was es ist, sagt die Liebe
Es ist lächerlich, sagt der Stolz
Es ist leichtsinnig, sagt die Vorsicht
Es ist unmöglich, sagt die Erfahrung
Es ist was es ist, sagt die Liebe
Die Freiheit und das Glück

Freiheit ist ein Menschenrecht und steht jedem zu. Verstehen wir, dass Freiheit ein riesiges Privileg ist, lernen wir es besser wertzuschätzen und zum Wohle aller einzusetzen. Es ist unsere Aufgabe, dem Geschenk der Freiheit mit Demut und Dank­barkeit zu be­geg­nen. Es liegt in unserer Verantwortung, mit diesem Privileg gut um­zugehen und es sinnvoll zu nutzen, denn genau das bleibt heute noch zu vielen Men­schen verwehrt. Befreien wir uns also selbst – von den Grenzen in unseren Köpfen, die uns daran hindern, zufrieden und glücklich zu sein. Trauen wir uns, tolerant gegenüber verschiedenen Meinungen und offen für andere Kulturen zu sein. Vertrauen wir der weisen Einsicht, dass das Geheimnis des Glücks in der Freiheit liegt.

Redaktion: Sabine Dittrich

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