Der virtuelle Patient: Vorteile und Chancen der digitalen Zahnmedizin

Foto: Franziska Pilz
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In modernen Zahnarztpraxen wird nicht nur hinsichtlich der Medizintechnik, sondern auch bei der Datenerfassung mit innovativen Methoden gearbeitet. Das Konzept des virtuellen Patienten ist mit vielen Vorteilen für Patienten und Ärzte verbunden: Die Behandlung erfolgt schneller und weniger schmerzhaft, präziser und kostengünstiger als üblich. Wie das genau funktioniert, erklärt uns der Zahnarzt Dr. Conrad Kühnöl, der in seiner Praxis in der Dresdner Südvorstadt nicht nur über eine vollständig digitalisierte und hochmoderne Ausstattung verfügt. Schon aus Überzeugung ist der Zahnarzt innovativen Behandlungsverfahren gegenüber zudem äußerst aufgeschlossen. Seine Patienten danken es ihm.
Top: Woran erkenne ich eine moderne digitale Zahnarztpraxis?

Dr. Kühnöl: Seit nunmehr 35 Jahren sind Scanner und passende Schleifmaschinen am Markt. Dies allein reicht aber nicht aus, um heute als modern zu gelten. Eine moderne Zahnarztpraxis zeichnet sich darin aus, mittels eines internen komplexen Computernetzwerks Patientendaten aufnehmen zu können und damit einen virtuellen Patienten zu erstellen. Das sollte nicht durch externe Anbieter erfolgen, da die Datenerfassung so zeitaufwendig und teuer ist. Zu bedenken ist vor allem der Datenschutz, da die Daten bei externen Anbietern zwangs läufig über das Internet gesendet werden.

Top: Warum braucht es einen virtuellen Patienten?

Dr. Kühnöl: Eine sehr komplexe Frage. Reden wir zuerst über die Diagnostik. Laut einer Studie der Uni Hamburg werden die Zähne innerhalb von 30 Jahren durch natürliche Abnutzung 1,5 mm kürzer. Da das zwei Kiefer betrifft, sind das pro Jahr 0.025 mm. Kein Zahnarzt kann durch Beobachtung feststellen, ob diese Werte überschritten und somit pathologisch sind. Beim virtuellen Patienten haben wir einen Basisscan und scannen nach zwei Jahren nochmal. Der Computer legt die zwei Kiefer übereinander und zeigt uns das Ergebnis. Eine geübte Fachkraft schafft einen kompletten Scan in fünf Minuten. Die Auswertung dauert bei einem professionellen Workflow vier Minuten. Zudem sind Auswertungen bezüglich Zahnwanderung, Zahnfleischrückgang oder Farbveränderungen möglich.

Top: Gibt es auch Einsatzmöglichkeiten in der Therapie?

Dr. Kühnöl: Die meisten Patienten sind mit ihren Zähnen bezüglich Ästhetik und Funktion zufrieden. Ein wichtiges Element in unserer Datenbank ist der Basisscan. Sollte den Zähnen etwas passieren, können wir durch die Kopie den ursprünglichen Zustand problemlos wiederherstellen. Das betrifft eine kleine Ecke am Zahn genauso wie den Verlust mehrerer Zähne durch einen Unfall. Sogar die Farbanalysen sind im Basisscan gespeichert. Besonders wichtig ist diese Vorgehensweise bei Blasmusikern.

Top: Können Sie die Vorteile anhand eines speziellen Falles erläutern?

Dr. Kühnöl: In der Implantologie kann ich am virtuellen Patienten, der wie sein reales Gegenstück aus Knochen, Zahnfleisch, Zähnen und Nerven besteht, verschiedene Varianten in wenigen Minuten durchoperieren und die optimale Positionierung der Implantate herausfinden. Diese wird durch eine Schiene auf den Patienten übertragen, ähnlich eines Textes, der am Monitor perfektioniert wird und nur noch ausgedruckt wird. Beim realen Patienten habe ich während der OP nur geringe Korrekturmöglichkeiten. Am Computer kann ich das Ergebnis, das mir nicht gefällt, löschen und neu beginnen, ohne dabei den Patienten zu schädigen. Die Vorteile sind dabei eine optimale Position der Implantate, die deutliche Verkürzung der OP-Zeit um die Hälfte, die Einsparung von Knochenaufbau ebenfalls bei bis ca. der Hälfte der Fälle sowie der Wegfall von Skalpell – schnitten. Zudem fallen sowohl die OP-Belastung als auch die Kosten für den Patienten wesentlich geringer aus. Sind die virtuellen Daten des Patienten einmal gespeichert, ist auch eine Versorgung mit Kronen und Zahnersatz auf den Implantaten ohne Abdruck möglich.

Top: Gibt es weitere Einsatzmöglichkeiten?

Dr. Kühnöl: Anhand des Basisscans kann eine Kieferorthopädische Behandlung schnell simuliert und die Notwendigkeit einer solchen Therapie beurteilt werden. Ebenso kann der Behandler einschätzen, ob der spezielle Fall in die Hand eines Spezialisten gehört. Durch eine ausschließlich ästhetisch ausgerichtete Verschiebung der Zähne kommt es sehr schnell zu Kiefergelenksproblemen (CMD), die zu einer ausgedehnten Folgebehandlung führen.

Top: Gibt es digitale Behandlungsmöglichkeiten der Kiefergelenksprobleme?

Dr. Kühnöl: Bei Kiefergelenksproblemen handelt es sich meist um ein komplexes Krankheitsbild. Hier kombiniert man verschiedene Methoden: die Diagnostik von Bewegungsabläufen, von muskulären Fehlfunktionen, sowie Fehlpassungen der Zähne im Ober- und Unterkiefer. Hinzu kommen die Diagnose von Fehlfunktionen des Kiefergelenks und noch einiges mehr. Die digitale Zahnmedizin ist optimal dafür geeignet, den in der Datenbank bestehenden virtuellen Patienten mit seinen eigenen Bewegung s mustern zu erweitern. Man sieht zum Beispiel das Kiefergelenk des Patienten bei seiner individuellen Bewegung und kann mit einer deutlichen Erweiterung des diagnostischen Feldes arbeiten. Auch eine Kombination der muskulären Aktivität ist möglich. Mit Hilfe dieser Daten kann man dann therapeutische Hilfsmittel herstellen, zum Beispiel eine Aufbissschiene, die sehr schnell vom Patienten adaptiert wird.

Top: Gibt es denn auch Nachteile der digitalen Technologien?

Dr. Kühnöl: Grundsätzlich musste ich als Zahnarzt völlig umdenken. Eine Digitalisierung einzelner analoger Arbeitsschritte führt beim Behandler eher zu einer Mehrbelastung. Dazu kommt ein nicht unerhebliches finanzielles Engagement seitens der zahnärztlichen Einrichtung. Gibt es hier kein durchgängiges Konzept eines voll digitalisierten kompatiblen Workflows, erhöht sich der Arbeitsaufwand. Dadurch steigen die Kosten und ein Nutzen für den Behandler ist nicht erkennbar. Wird jedoch ein kompatibler Workflow realisiert, ist das Einsparpotenzial enorm. In diesem Falle sinken die Kosten für den Zahnarzt und somit auch für den Patienten, bei wesentlich höherer Behandlungsqualität.

Top: Können Sie das anhand eines Beispiels erläutern?

Dr. Kühnöl: Zur digitalen Vorbereitung eines einfachen Implantates, das mittels Schiene einoperiert wird, brauchen sie bei optimiertem Workflow zur Vorbereitung inklusive verständlicher Patientenaufklärung 22 Minuten. Beim Vorgehen mit mehreren Komponenten bezüglich Software brauchen sie bis zum Erstellen einer Schiene ca. zwei Stunden. Die Operation am realen Patienten dauert in beiden Fällen ca. zehn Minuten. Ich kann also in der gleichen Zeit drei Patienten gegenüber einem Patienten versorgen.

Top: Gibt es dort nicht auch ein Potenzial, was den Ärztemangel im ländlichen Bereich betrifft?

Dr. Kühnöl: Ein optimierter Workflow würde dort eine große Hilfe sein.

Top: Gibt es noch weitere Vorteile?

Dr. Kühnöl: In der Zeit der Pandemie rücken Infektionsketten deutlich in den Fokus. In der Zahnarztpraxis ist ein strenges Hygieneregime entsprechend der RKI-Richtlinien Pflicht. Der schwächste Punkt ist hier die Keimübertragung aus der Praxis ins Labor. Ein analoger Abdruck ist aufgrund der Materialbeschaffenheit nur unzureichend desinfizierbar. Wird der Scan online übertragen, ist eine Unterbrechung der Infektionskette zu 100 % sichergestellt. Ein weiterer Vorteil ist der ökologische Faktor. Bei analogen Vorgehensweisen werden etwa für eine Einzelzahnversorgung (Krone an einem Zahn) ca. 1 kg Verbrauchs material produziert, wovon das meiste unter Aufsicht des Datenschutzes als Sondermüll entsorgt werden muss. In den digitalen Technologien werden gerade mal 10 g produziert, wobei das Material fast komplett beim Patienten eingesetzt wird.

Top: Geben Sie Ihre Erfahrungen auch an Kollegen weiter?

Dr. Kühnöl: Es gibt in unserer Praxis Kurse. Außerdem sind wir Referenzpraxis der TU Dresden. Ich halte Vorlesungen und Vorträge zu internationalen Veranstaltungen wie dem deutschen Zahnärztetag, bei dem ich bereits den Tagungsbestpreis erhalten durfte.

Top: Wir bedanken uns für das Gespräch und wünschen Ihnen weiterhin viel Erfolg!
ZAHNARZTPRAXIS Dr. med. dent. Conrad Kühnöl

Bayreuther Strasse 30, 01187 Dresden
Telefon 0351 471 09 70
www.kuehnoel.de

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