Botschafter der Geschichte Frankreichs

Salon im Château de la Flocellière / Foto: © Archives La Flocellière
0

Vicomte Patrice und Vicomtesse Erika Vignial
kämpfen um die Erhaltung französischer Schlösser.

Patrice Vignial, 1940 in Bordeaux geboren, blickt auf einen Stammbaum bis ins Jahr 1622 zurück. Von Kindesbeinen an wurde der kleine Patrice als Erbe des Vicomte-Titels in der adeligen Familientradition erzogen. Mit Ehrfurcht blickt er auf die beeindruckende Reihe großer und mächtiger französischer Könige zurück, wobei er sich in der Geschichte seines Lan­des bis ins kleinste Detail auskennt. 1962 lernte er in Eng­land an­lässlich des Cambridge-Debütantinnenballes Made­moi­selle Erika Bek kennen. Ein Jahr später sahen sich beide auf Schloss Versailles zum Debütantinnenball wieder. Es war Liebe auf den zweiten Blick. In der Schweiz wurde 1964 geheiratet. Erika Bek hieß nun Erika Vignial. Das junge Paar bezog ein luxuriöses Appartement in Paris, wo Erika eine überaus erfolgreiche PR-Karriere startete.

Schlafen wie Gott in Frankreich im Château de la Flocellière / © Archives La Flocellière

Sie betreute das Haute Couture-Modehaus Balenciaga und lancierte das Parfüm „Barynia” für Helena Rubinstein. Mit Prin­zes­sin Stephanie von Monaco organisierte sie den glamourösen russischen Ball „Barynia“ im funkelnden Opernsaal, der einst für Richard Wagner gegenüber der Opera Garnier in Paris er­richtet wurde. Ehrengast war die Rubinstein-Tochter Mala. Im Pariser Rathaus veranstaltete die Vicomtesse Erika Vignial den Dé d’Or (Goldener Fingerhut), der jedes Jahr den besten Pariser Mode­schöp­fer auszeichnete. Zudem organisierte sie in Lyon mit dem Sternekoch Pierre Orsi in dessen Restaurant das Din­ner mit Re­zep­ten aus dem Oscar gekrönten Film „Le Festin de Babette“. Nach einem erfolgreichen Abschluss politischer Studien trat Vi­comte Patrice Vignial hingegen in die Dienste von Verkehrs­minis­ter Edgar Pisani und arbeitete am Plan des Euro-Tunnels mit.
1978 entdeckte Patrice Vignial im Departement Vendée das Schloss Flocellière mit seiner 900-jährigen Geschichte. Seine Frau war skeptisch. Zu groß, zu sanierungsbedürftig. Doch Pa­trice insistierte. Das Schloss sollte für das Ehepaar und deren Kinder Sandrine und Frédéric ein Ferien- und Wochenend-Domizil werden. Erika gab schließlich nach.

Vicomtesse Erika und Vicomte Patrice Vignial / Foto: © Michel Anders-Cavendish

Im Gespräch mit Vicomte Patrice und Vicomtesse Erika Vignial

Sehr geehrter Vicomte, warum haben Sie sich vor 40 Jah­ren dazu entschlossen, das imposante, aber baufällige Château de la Flocellière im Westen Frankreichs zu kaufen?
Patrice Vignial: Es war damals ein reichlich verrückter Wunsch­traum von mir. Meine Frau war dagegen. Gott sei Dank waren wir jung und wie so viele Menschen, die in Paris wohnten, beherrschte uns die Sehnsucht nach einer Zuflucht auf dem Land. Ich interessierte mich schon immer für die Schlös­ser Frankreichs und suchte erfolglos rund um Paris, in der Normandie und in der Sologne. An einem sonnigen Vormittag las ich beim Früh­stücks­kaffee meine Tageszeitung. Ein Kauf­angebot eines alten Schlosses erweckte mein Interesse. Sofort verspürte ich die Lust, das Schloss zu besichtigen. Ich packte die Familie ins Auto und los ging es in das damalige Nie­mandsland Vendée.

Wie haben Sie das Schloss zunächst erlebt?
Patrice Vignial:
Gegen 10 Uhr früh tauchte das Schloss im ge­spenstigen Morgennebel auf. Ich war fasziniert, während Erika enttäuscht meinte, den französischen Landsitz des Grafen Dra­cula zu sehen. Damals gab es noch keine Autobahn, nur holprige Landwege. Der 30 Hektar große Park war überwuchert mit Disteln und Dornenhecken, die wir mühsam durchqueren mussten. Die Kinder stöhnten, Erika schwieg. Trotzdem entschloss ich mich dazu, das Schloss zu kaufen und zu restaurieren, was 20 Jahre dauerte. So wurde das Anwesen mit einer Ruine aus dem 11. Jahrhundert, einem imposanten Donjon aus dem 15. und den herrschaftlichen Schlossgebäuden aus dem 17., 18. und 19. Jahrhundert unser Landsitz. Vor drei Jahren kauften wir den 500 Meter entfernten Gutshof, den wir heute als Fe­rien­haus vermieten, und das Land dazwischen.

Blick auf das Château de la Flocelliere / © Archives La Flocellière

Stand Ihnen damals die Familie für die Restaurierung des Schlosses zur Seite?
Patrice Vignial: Nein. Alle fanden meinen Kauf völlig hirnverbrannt und größenwahnsinnig. Das Schloss besaß kein Mobi­liar, kein Wasser und keine Heizung. Ganz zu schweigen von den Dächern, durch die es reinregnete. Nur unsere polnische Köchin war begeistert.

Wie ging dann die Restaurierung voran?
Patrice Vignial:
Der Donjon wurde als erstes instandgesetzt. Die Kamine funktionierten, somit konnte die Familie, wann immer sie wollte, auf dem Schloss Ferien machen. Im Sommer packten wir dann alle Möbel aus dem Turm und brachten sie in die herrschaftlichen Gebäude, die in den heißen Juli- und Augusttagen angenehm kühl waren. Langsam fand die Familie das Schloss­leben wunderschön.
Erika Vignial: Nach und nach ließen wir unsere Familienmöbel kommen. Während unserer freien Sonntage spazierten wir über Flohmärkte und stöberten die zur Schlossgeschichte passenden Möbelstücke auf.
Top: Hatten Sie damals bereits die Idee im Schloss, im Turm und im Pavillon Zimmer zu renovieren, um zahlende Gäste zu beherbergen?
Erika Vignial: Nein. Wir beide arbeiteten hart in Paris. 1995 hatte unsere Tochter Sandrine aber die Idee, sich einige Mo­nate auf das Schloss zurückzuziehen, um ihr Examen vorzubereiten. Daraus wurden drei Jahre. Damals fasste Sandrine den Entschluss, das Schloss als Ferienziel für zahlende Gäste um­zu­funktionieren. Nach ihrer Hochzeit zog Sandrine nach Genf und ich entschloss mich, ihre Idee weiterzuführen. Ich engagierte weiteres Personal. Langsam kamen zuerst Gäste aus Frankreich, dann aus den benachbarten Ländern Europas. Als die New York Times über uns schrieb, folgten die Amerikaner, kurz darauf die Australier.

Château de la Flocelliere / © Archives La Flocellière

Sie vervollständigen seit über 40 Jahren den Look ihres Schlosses. Wie verbinden Sie Geschichte und Tradition des Hau­ses mit modernem Komfort?
Erika Vignial: Ja, wir legen auf beides großen Wert. Wir erneuern stets unsere Betten mit den besten Matratzen und überarbeiten die eleganten Badezimmer. In der Nähe befindet sich zudem der Le Puy de Fou, einer der größten Freizeitparks der Welt. 2003 kehrten Patrice und ich Paris den Rücken, um uns ausschließlich um Flocellière zu kümmern. Heute leitet unser Sohn Frédéric das Schloss mit uns, der das Hotel­ge­werbe in Thailand erlernte.

In unserem Gespräch erwähnten Sie, dass man heute ein Schloss nicht mehr für sich allein kauft. Ein Schloss lebt nur mit vielen Menschen.
Erika Vignial: Unser Ziel ist die Geschichte und Tradition mit Menschen aus aller Welt zu teilen. Wir empfangen jeden Be­su­cher wie einen jahrelangen Freund. Der Gast frühstückt in unserem Familienspeisezimmer oder an einem kleinen Tisch im Salon. Selbstverständlich darf die traditionelle Vendée Brioche – ein süßes Hefe-Milchgebäck zum Kaffee, Tee oder heißer Schokolade – nicht fehlen. Wenn der Gast ein Dinner mit uns teilen möchte, ist dies auf Vorbestellung möglich.
Patrice Vignial: Zudem veranstalten wir klassische oder Jazz­konzerte sowie Lesungen. Auch Seminare und Hochzeiten finden bei uns statt. Einmal im Monat laden wir die Bewohner des Dorfaltersheims zu uns auf das Schloss ein.

Cher Vicomte, Sie sind auch Präsident der französischen Association Bien Venue au Château. Welche Aufgaben übernehmen Sie dabei?
Patrice Vignial: Seit zwölf Jahren kümmere ich mich ganz­jährig um die Association mit ihren über 100 Mitgliedern. Um Mitglied zu werden, müssen die Schlösser eine perfekte, historische Archi­tektur aufweisen. Sie müssen lärmgeschützt in ei­nem großen Park liegen und das Mobiliar muss sich elegant der Ge­schichte des Schlosses anpassen. Die Schlossbesitzer müssen sich persönlich um die Gäste kümmern und mit ihnen Frank­reichs Ge­schich­te teilen. Nach 12-jähriger Amtszeit habe ich aber die Präsi­dentschaft an Madame Anne Crouan, Besit­ze­rin des Schlosses Chambiers im westlichen Zipfel des Loire-Tals, abgetreten. Weiterhin stehe ich aber als Ehrenpräsident zur Verfügung.

Welche Berühmtheiten hatte Ihr Schloss beherbergt?
Patrice Vignial:
Wir hatten die Ehre I.K.H. Prinzessin Léa von Belgien, die Tante des aktuellen Königs von Belgien, I.K.H. den Graf und die Gräfin von Paris, Herzog und Her­zogin von Frankreich, I.K.H. Prinzessin Viktoria von Preußen, I.K.H. Prinz Christian von Habsburg, Lady Nancy Chopard Sain sowie Film­star Arielle Dombasle zu empfangen.

v.l: I.k.H. Prinzessin Léa von Belgien, Lord Michel Anders-Cavendish und Frederique Mory / Foto: © Michel Anders-Cavendish

Waren Sie schon einmal in Deutschland?
Patrice Vignial:
Natürlich. Wir be­suchen regelmäßig Berlin und sind be­geistert von der deutschen Hauptstadt. In Mecklenburg und Brandenburg haben wir Freunde, die ebenfalls Gäste auf ihren Schlössern empfangen.
Top: Kennen Sie auch Dresden und seine faszinierende Geschichte?
Erika Vignial: Dresdens Kulturgeschichte kennen wir aus Bü­chern und Fernsehreportagen. Sobald wir wieder eine Reise nach Deutschland planen, wollen wir die Stadt der Sachsen­könige besichtigen und Sie in Ihrer Redaktion besuchen. Bis dahin auf ein freudiges Wiedersehen.

Text und Interview Michel Anders-Cavendish

Château de la Flocellière
F-87500-La Flocellière, Tel.: +33 2 51 57 22 03, flocelliere.chateau@gmail.com
Sprache: Deutsch, Englisch, Italienisch; das ganze Jahr geöffnet, im Winter auf Reservierung

Eine Schlossempfehlung von Vicomte Vignial ist das Château de Chambiers / Fotos: © Archives La Flocellière, Michel Anders -Cavendish, Georges Leveque, Anne Crouan
Blick auf das Château de Chambiers / Fotos: © Archives La Flocellière, Michel Anders -Cavendish, Georges Leveque, Anne Crouan

Die schönsten Schlösser

Wir baten Vicomte Vignial, uns einige be­sonders schöne Schlösser der Asso­ciation Bien Venue au Château zu nennen. Hier seine Empfehlungen:

  • In Burgund gibt es das gigantische Château de Prye, welches im Mittelalter einer polnischen Königin gehörte. Heute steht das Schloss unter Denkmalschutz. Hier empfangen Marquis und Marquise du Bourg de Bozas ihre Gäste. / Kontakt: info@chateaudeprye.com
  • Auf dem Château Royal de Saint Saturnin entdeckt der Besucher die ländliche Au­vergne. Das Schloss blickt auf den Natio­nal­park mit seinen beeindruckenden Vulka­nen. Einst gehörte das Schloss Königin Chathe­rine de Médicis und ihrer Tochter Marguerite de Valois, die es 1605 dem zu­künftigen König Louis XIII. schenkten. Heute sind Emmanuel und Christine Peni­caud die Besitzer. / Kontakt: contact@chateaudesaintsaturnin.com
  • In der Normandie empfangen Jean-Chris­tophe und Nathalie Romatet auf ihrem romantischen Château de Miromesnil ihre Gäste. Hier wurde Frankreichs be­rühmter Literat Guy de Maupas­sant geboren. / Kontakt: chateaumiromesnil@orange.fr
  • Ebenfalls in der Normandie besitzen Bri­gitte und Philippe Augais das Château de Bénéauville, welches 1589 erbaut wurde und eine bemerkenswerte Holz­täfe­lung mit Jagdmotiven besitzt. / Kontakt: reservation@chateaudebeneauville.fr
  • Auf dem Château de Chambiers im westlichen Loire­tal residieren Elie und Anne Crouan. Der Familiensitz aus dem 18. Jahr­hundert besticht duch Charme, Kom­fort und dem französischen Art de Vivre. / Kontakt: info@chateauchambiers.com
  • Mitten im Herzen von Anjou wurde das Château de Gizeux zum Monument His­torique vom französischen Staat erklärt. Besitzer Stéphanie und Géraud de Laffon erzählen die interessante Schlosslegende aus dem 14. Jahrhundert. / Kontakt: info@chateaudegizeux.com
  • Gleich um die Ecke von Chambord, dem be­rühmten Königsschloss an der Loire, liegt das Château des Grotteaux, welches 1620 erbaut wurde. 2015 ließen es Vicomte und Vicomtesse Gael du Halgouet auf Hoch­glanz restaurieren. / Kontakt: info@château-grotteaux.com
  • Eines der schönsten Schlösser Frankreichs befindet sich im Landstrich Poitou-Cha­rentes am Rand des Renaissance-Dorfes Saint-Loup-Lamairé. Heute befindet sich das Château de Saint Loup sur Thouet im Besitz von Graf Charles-Henri de Bartillat. / Kontakt: st-loup@wanadoo.fr
  • Im Baskenland und direkt am Atlantik besitzt Laurent de Coral das Château d’Urtubie. Hier hinterließen auch die Könige Ludwig XI. und Ludwig XIV. ihre Spuren. / Kontakt: info@chateaudurtubie.fr

  • Bien Venue au Château / secreteriat@bienvenueauchateau.com / www.bienvenueauchateau.com

Sie interessieren Sich möglichweise auch für:

X