Keine Zeit für kleine Taten

Foto: © Mirko Jörg Kellner
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Kultur ist systemrelevant. Wer Kilian Forster zuhört, hat daran keinen Zweifel. Der Jazztage-Intendant wollte eigentlich 2020 das 20-jährige Jubiläum des größten Jazz-Festivals in Deutschland feiern. Doch Corona zog ihm einen Strich durch die Rechnung. Wie viele chronisch untersubventionierte Kultur- Veranstaltungen stehen auch die Jazztage vor schweren Zeiten. Um auf die fatale Situation hinzuweisen, gründete er mit ähnlich leidgeprüften Akteuren der Kreativ- und Veranstaltungswirtschaft die Protest- Aktion „Stumme Künstler“. Im Interview mit dem Top Magazin Dresden erklärt Kilian Forster die Gedanken hinter der Aktion, hat aber auch gute Nachrichten für die Jazztage-Fans…
Top: Sie sind einer der Initiatoren der Aktion „Stumme Künstler“. Was ist die grundlegende Prämisse hinter der Initiative?

Kilian Forster: Das grundlegende Ziel ist es, auf die existenzielle Not der freien Veranstaltungsbranche hinzuweisen. Wir wollen den sich bereits abzeichnenden Exodus von Künstlern in andere Branchen und die Pleite von mittelständischen Kulturbetrieben verhindern. Die bisherigen Hilfen sind alles andere als ausreichend. Wir reden hier von Menschen, die fleißig Steuern gezahlt haben. Menschen, die nun in Existenznot geraten und ein Jahr ihrer Altersvorsorge verlieren, sofern sie überhaupt eine haben. Neben der aktuellen Not kommt also noch die Altersarmut.

Top: Gab es einen konkreten Anlass?

Kilian Forster: Der Anlass war, dass die Jazztage Dresden wie auch andere freie Veranstalter keinen einzigen Euro Unterstützung für Coronaausfälle bekamen. Wir sahen keine Zukunftsperspektive mehr für das Festival und haben deshalb gesagt, dass wir den Protest raus auf die Straße bringen müssen. Es sind ja nicht nur Künstler, die in der freien Veranstaltungswirtschaft beschäftigt sind. Auch viele andere Gewerke hinter den Kulissen sind davon abhängig, dass Konzerte oder Kulturveranstaltungen im Allgemeinen stattfinden. Es ist jetzt umso wichtiger, die Strukturen nicht verfallen zu lassen, sondern gezielt zu unterstützen. Denn eines ist sicher: Ist unsere Kulturlandschaft erst einmal zerstört, wird der Wiederaufbau umso teurer. Für geeignete Maßnahmen haben wir mit den Stummen Künstlern einen Katalog mit Forderungen erarbeitet (siehe Kasten).

Nach der Krise ist vor der Krise: Kilian Forster fühlt sich als eines der Opfer unserer Kulturpolitik. Als Protest ließ er sich einen Bart wachsen., Foto: Sabine Dittrich
Top: Mit welchen künstlerischen Mitteln gehen Sie bei den Aktionen vor?

Kilian Forster: Wir haben die „Ode an die Freude“ oder „Volare“ im Mindestabstandsmodus gesungen und getanzt. Also nur jede vierte Silbe gesungen oder zwei Takte Tanz und sechs Takte Pause. Dies zeigte musikalisch pervers, wie wirtschaftlich unmöglich es ist, mit 25% Publikum zu arbeiten. So zerfällt Kultur!

Top: Warum ist es überhaupt so wichtig für unsere Gesellschaft, dass es eine lebhafte Kulturlandschaft gibt?

Kilian Forster: Kultur ist das Lebenselixier. Sie hält uns mental und intellektuell gesund. Sie stärkt auch unsere Abwehrkräfte für den Kampf gegen das Virus. So gesehen ist sie also eine Präventionsmaßnahme. Übrigens ganz im Gegensatz zum puren Konsum, der eher als Sedativum funktioniert. Hinzu kommt natürlich, dass die Kultur ein wichtiger Tourismusfaktor ist. Die Menschen kommen nach Dresden, um Veranstaltungen zu besuchen. Und ökonomisch ist die Kultur die sechstgrößte Wirtschaftsbranche in Deutschland.

Top: Wie sind die Reaktionen der Politik auf die Initiative?

Kilian Forster: Eigentlich positiv. Ministerpräsident Michael Kretschmer kam bereits zur 3. Demonstration, Kulturstaatsministerin Barbara Klepsch zu zwei Aktionen der Stummen Künstler. Wir hatten auch gute Gespräche und alle, wie auch die vielen immer wieder anwesenden Abgeordneten betonten, wie sehr ihnen die Kultur am Herzen liegt. Gemessen an den Hilfspaketen wirkt es aber oft nur wie anteilnehmende Beileidsbekundungen auf einer Beerdigung. Oder wie Ludwig Güttler auf der letzten Demo sagt: „Das Gegenteil von gut gemacht ist gut gemeint“. Im Übrigen gibt es Solidaritätssignale auch aus anderen Städten. Die Stummen Künstler demonstrieren inzwischen in Köln und Berlin und es werden immer mehr.

Top: Sind Veranstaltungen im Rahmen der Jazztage trotzdem möglich? Sie hatten ja eigentlich ein großes Jubiläumsprogramm geplant…

Kilian Forster: Diesbezüglich kann ich zumindest positive Nach – richten vermelden. „Mit Abstand das beste Open Air Theater der Welt“ heißt das neue Sommerprogramm, das Rodney Aust und viele andere für die Junge Garde zusammengestellt haben. Unter Wahrung der aktuellen Abstandsgebote können wir in der Freilichtspielstätte zumindest einige der geplanten Konzerte in den Sommer vorverlegen. Das Konzert mit Tina Tandler wird in jedem Fall am 31. Juli in der Jungen Garde stattfinden. Wir planen zudem noch ein größeres Benefizkonzert. Mit den Ein nahmen dieser Konzerte und den Spenden der Fans ist es uns eventuell möglich, die Jazztage auch bei einem drohenden Ausfall des Kernfestivals im Herbst 2020 zu retten und an der Programmplanung 2021 zu arbeiten.

Top: Was hat es mit den sogenannten Kulturinseln auf sich?

Kilian Forster: Der Stadrat soll auf Initiative des Oberbürgermeisters 500.000 Euro zur Verfügung stellen, um die Innenstadt mit Musik, Kunst und Kultur zu beleben. Das Konzept, das wir mit Partnern erstellt haben, beinhaltet die Installation von 12 Kulturinseln, an denen zeitversetzt im 20 Minutenabstand Kultur geboten wird. Somit werden Gelder zur Wirtschafts- und Tourismusförderung gleichzeitig den Dresdner Künstlern zugute, die sich bewerben können. Beginnend mit einer großen Auftaktveranstaltung am 18. Juli. soll an 24 Inseltagen bis Mitte September für tourismusförderndes Flair in der Innenstadt gesorgt werden. Ich finde es aber noch wichtiger, die bereits bestehenden Institutionen mit einzubeziehen und mit Spezialinseln und Direkthilfen die weiteren notleidenden Sommerakteure der Stadt einzubinden. Dafür sollten als symbolische Million von der Stadt zusätzlich noch einmal 500.000 Euro in die Hand genommen werden, um freie Theater, Veranstalter, Festivals oder Initiativen zu unterstützen.

Top: Die Einschnitte durch Corona sind nicht nur in der Kulturbranche hart. Wie bewerten Sie persönlich den Shutdown und seine Folgen?

Kilian Forster: Persönlich wünsche ich mir einen offenen Diskurs, eine breite Diskussion, in der verschiedene Meinungen geäußert werden können. Wir dürfen bei allen Gefahren durch das Virus nicht verlernen zu leben.

Interview: Philipp Demankowski

Jazztage-Termine
  • 31.7. um 19 Uhr Tina Tandler & Band, Summertime in der Jungen Garde
  • 22.8. um 20 Uhr Habana Tradicional – Musik des Buena Vista Social Clubs in der Saloppe
  • 21.10. bis 23.11.2020 20. Jazztage Dresden mit Al di Meola, Ute Lemper, Big Daddy Wilson, Konstantin Wecker, Klazz Brothers & Cuba Percussion, J.B. Smith, Quadro Nuevo u.v.a.
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