Die Botschaft lautet Frieden

Ministerpräsident Michael Kretschmer, Kurt Biedenkopf und Bundeskanzlerin Angela Merkel am 28. Januar 2020 in der Frauenkirche / Foto: © Julien Reiter im Auftrag der Konrad Adenauer Stiftung
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Als Professor Dr. Kurt Biedenkopf am 28. Januar 2020 zu seinem 90. Geburtstag geehrt wurde, nahmen 1.600 Gäste an der Feierstunde teil, darunter Ehrengäste wie Bundes­kanzlerin Angela Merkel und Bundespräsident a.D. Horst Köhler. Der Veran­staltungs­ort hätte nicht passender gewählt sein können, immerhin prägte der Wiederaufbau der Frauen­kirche ab 1996 die Amtszeit des sächsischen Ministerpräsidenten von 1990 bis 2002 wie kein zweites Bauprojekt in dieser Zeit. Im Rahmen unserer Rubrik „Lieblingsdings“sprachen wir mit Kurt Biedenkopf ausführlich über sein Verhältnis zu Dresdens berühmtem Sakralbau.

Herzlichen Glückwunsch nachträglich zum 90. Ge­burts­tag. Die Feier fand mit 1.600 Gästen in der Frauenkirche statt. Wie haben Sie die Feier empfunden?
Kurt Biedenkopf: Sehr schön. Ich habe die Feier allerdings in erster Linie deshalb so sehr genossen, weil mir der Ort so am Herzen liegt. Ich habe schließlich von Anfang an miterlebt, wie die zerstörte Frauenkirche wiederaufgebaut wurde. Und das war für mich das eigentliche Erlebnis. Als ich nach Sachsen kam und zum Ministerpräsidenten gewählt wurde, sah man nur die Ruine. Aber das Interesse an dem Wieder­aufbau war eindrucksvoll. Selbst die britische Königin kam zwei Jahre später nach Dresden, um sich die Ruine der Frauenkirche anzuschauen.

Welche Botschaft verbinden Sie mit der Frauenkirche?
Ich habe die Kirche immer mit der Botschaft verbunden, Frieden zu schaffen. Und das wird mit dem Friedensbanner, das seit 2016 an einem der Hauptfenster der Kirche hängt, auch deutlich sichtbar nach außen kommuniziert. Das ist ein Auftrag für die Bürger, denn über den Frieden zu reden, ist anspruchsvoll. Das kann man nicht machen, indem man schimpft oder schreit. Dass die Friedensbotschaft heute wieder in einem so schönen Gebäude formuliert werden kann, ist vor allem den Persönlichkeiten zu verdanken, die mit ihrem Ruf aus Dresden weltweit um Unterstützung für den Wiederaufbau gebeten haben. Ich erinnere aber auch an die von den Deutschen zerstörte Kathedrale in Coventry, die ebenfalls dem Frieden gewidmet war. Leider konnte die Kirche in Coventry aufgrund der Schwere der Zerstörung nicht wiederaufgebaut werden.

Foto: © Julien Reiter im Auftrag der Konrad Adenauer Stiftung

Seit der Weihe 2005 hat sich auch der Neumarkt um die Frauenkirche herum stark verändert. Wie bewerten Sie die Bebauung heute?
Ich finde sie wunderschön, zumal sie jetzt ja auch fast geschlossen ist. Wir wohnen derzeit am Neumarkt. Deshalb sehe ich die Kirche und das Friedensbanner jeden Morgen, was mich sehr glücklich macht. Der Neumarkt hat eine andere Funktion als der Altmarkt, der als offener Platz gemeinsamen Aktivitäten der Bürger dient. In jüngster Zeit hat sich der Neumarkt jedoch auch zu einem Ort des Protests entwickelt. Das passt nicht zu ihm. Er ist für den Frieden geschaffen worden. Die Kirche und ihre Botschaft werden durch die Ver­frem­dung seiner Aufgaben gewissermaßen verkannt, nicht respektiert.

Was entgegnen Sie den Stimmen, die auch heute noch der Ruine als Mahnmal gegen den Krieg eine stärkere Symbolkraft bescheinigen?
Eine der großen Leistungen beim Wieder­aufbau war für mich die Konsequenz und die Kontinuität. Beim Wiederaufbau wurden viele Steine der Original-Bau­substanz wiederverwendet. Die Bauleitung musste für jeden dieser Steine immer wieder neu bestimmen, an welche Stelle er gehört. Das war eine äußerst schwierige Aufgabe, hat aber letztlich die Kontinuität von Zerstörung und Wiederaufbau unterstrichen. Natürlich ist die Kirche ein Neubau, aber der historische Zusammenhang mit der alten Kirche ist jederzeit sichtbar.

v.l.: Bundespräsident a.D. Horst Köhler, Kurt und Ingrid Biedenkopf,
Ministerpräsident Michael Kretschmer am 28. Januar 2020 in der Frauenkirche / Foto: © Julien Reiter im Auftrag der Konrad Adenauer Stiftung

Der Neubau hat also immer noch die Symbolkraft, die George Bähr vorschwebte?
Auch die erste Frauenkirche hatte sicherlich eine große Ausstrahlung. Es war eine Kirche, die von Bürgern mitgetragen wurde. Der Neubau wird von der gleichen Idee getragen, auch wenn diese mitunter in einer anderen Art und Weise zum Ausdruck gebracht wird.

Anfangs war die Befürwortung des Wiederaufbau-Projekts in der Stadtgesellschaft gering. Wie konnte man die Menschen für das Projekt gewinnen?
Die Skepsis konnte ich durchaus verstehen. Aber die überaus große Mehrheit der Menschen glaubte leidenschaftlich an das Projekt. Darunter der Trompeter Ludwig Güttler. Mit einer unzähligen Zahl von Konzerten warb er in der Welt für die Idee des Wiederaufbaus und begeisterte mit dem „Ruf aus Dresden“ die Menschen. Als vor der Ruine 1993 zum ersten Mal ein Gottesdienst gefeiert wurde, versammelten sich bis zu 25.000 Menschen und brachten so zum Ausdruck, dass sie den Wiederaufbau der Kirche wollten. Denn die Ruine war zwar interessant, aber nicht auf die Zukunft gerichtet. Ihr Aufbau stärkte die Überzeugung, dass mit ihr eine Friedens­botschaft entstand. Wie Sie sich vorstellen können, haben mich diese Feiern und die Einstellung der Menschen damals sehr bewegt.

Wie schätzen Sie das Verhältnis der Dresdner zu ihrer Kirche ein?
Die Frauenkirche und ihre Botschaft müssen auch geschützt werden. Darüber habe ich während des kurzen Gesprächs mit dem Ministerpräsidenten Michael Kretschmer bei der Feier meines 90. Geburtstags in der Frauenkirche ge­sprochen. Und ich habe den Eindruck, dass die Dresdner diese Einstellung teilen. In Gesprächen auf der Straße höre ich diese Überzeugung immer aufs Neue.

In Ihrem Festvortrag haben Sie auch von Heraus­forde­rungen und Gefahren für die Demokratie gesprochen. Was sind das für Gefahren?
Kurt Biedenkopf: Die Gefahr besteht zunehmend, dass sich die Menschen nicht mehr für die Demokratie interessieren. Die Demokratie ist eine Ordnung der Gesellschaft und des Staates. Sie wird der Bevölkerung nicht geschenkt. Im Gegenteil. Man muss sich für diese Ordnung einsetzen und sie schützen. Sie setzt eine große Entschlossenheit für den Frie­den voraus. Dazu gehört, dass die Menschen mitwirken und die Regeln akzeptieren. Es ist ein sehr anspruchsvolles Ord­nungs­prinzip. Und weil es so anspruchsvoll ist, gibt es immer wieder Menschen, die meinen, sie können die Ordnung selbst entscheiden. So kann es immer wieder zu Abwei­chun­gen kommen. Durch Wissen, Können und Willen muss man dagegenwirken. Man muss für Freiheit und Gerechtigkeit arbeiten. Ich habe den Eindruck, dass die Dresdner in ihrer großen Mehrheit davon überzeugt sind.

Interview: Philipp Demankowski

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