Filmkritik „Beautiful Boy“: In der Abwärtsspirale

Timothée Chalamet as Nic Sheff and Steve Carell as David Scheff Fotos: © 2018 AMAZON CONTENT SERVICES LLC. François Duhamel
0

Der belgische Regisseur Felix van Groeningen erzählt in „Beautiful Boy“ vom verzweifelten Kampf eines Vaters gegen die Drogensucht seines Sohnes.

Die Geschichte basiert auf den Memoiren „Beautiful Boy: A Father’s Journey Through His Son’s Addiction” von David Sheff und dem Buch „Tweak: Growing Up on Methamphetamines” von dessen Sohn Nic. Der Film konzentriert sich dabei auf die zunehmende Verzweiflung eines Vaters, der seinem Sohn helfen will, es aber nicht kann. Dargestellt wird das Hin und Her zwischen Entziehungsprogrammen, Rückfall und langsamer Erholung im Schoß der Familie. Dass ein Drogenentzug kein Start-Ziel-Sieg ist, wird im Film immer wieder vor Augen geführt. Immer wieder gibt es Kehrtwenden. Der Film ist dabei auch eine Infragestellung der Rehab-Kultur in Amerika. Überteuerte Privatkliniken, die ohnehin nur gut situierten Familien Zugang gewähren, stellen viel zu hohe Erfolgsquoten in Aussicht, stehlen sich beim Rückfall aber aus der Verantwortung. Zudem unterbrechen Rückblenden immer wieder den eigentlichen Plot. Dabei wird nicht nur deutlich, dass Nic und sein Vater Dave ein ganz besonderes Verhältnis haben. Die Umarmungen sind länger als bei anderen Vater-Sohn-Beziehungen. Den titelgebenden Song „Beautiful Boy“ von John Lennon hat eine besondere Bedeutung, hat David ihn seinem ängstlichen Sohn doch jede Nacht beim Zubettgehen vorgesungen.

Zwei große Darsteller

Die beiden Hauptrollen werden grandios gespielt und stehen auch bei den Oscar-Buchmachern hoch im Kurs. Steve Carrell stellt den Vater mit einer stoischen Ruhe dar, aus der er nur manch mal, dann aber umso intensiver ausbricht. Sein liberales Weltbild, das ihm einst auch nicht verbot, mit seinem Sohn einen Joint zu rauchen, wird zunehmend erschüttert. Holly woods neuem Jungstar Timothée Chalamet nimmt man die Drogensucht jederzeit ab. Ob er high ist oder nicht, und wenn ja, ob er es versucht vor seinem Vater zu verstecken – all diese Zustände werden nachvollziehbar dargestellt. In seiner Ver zweiflung versucht David Sheff schließlich nachzuempfinden, warum es seinem Sohn so schwerfällt, von den Drogen wegzukommen. Als Journalist kennt er die Recherchemethoden, spricht mit einer anderen Abhängigen und einem Arzt, der ihm die neurologischen Effekte des Meth-Konsums erklärt. Später wird er sogar selbst Drogen nehmen. Im Tagebuch seines Sohnes findet er schließlich jene Gedanken, die ihm sein Sohn trotz des ehrlichen Verhältnisses inzwischen vorenthält. Er schämt sich und nimmt mehr Drogen, um sich nicht zu schämen.

Fotos: © 2018 AMAZON CONTENT SERVICES LLC. François Duhamel

Das Prinzip Hoffnung

Regisseur Felix van Groeningen weiß um die Abgründe mensch licher Verzweiflung, erzählte schon in die „Die Beschissenheit der Dinge“ von schwerem Alkoholismus und in „The Broken Circle“ vom Tod eines Kindes. Im Gegensatz zu den beiden Frühwerken ist „Beautiful Boy“ trotz des Themas leicht optimistischer. Zwar bleibt der Zuschauer nicht von dras tischen Bildern verschont, gleichzeitig bleibt das Prinzip Hoffnung bestehen. Trotzdem hilft es während der Sichtung, wenn man sich vergegenwärtigt, dass der echte Nic Sheff inzwischen seit acht Jahren trocken ist. Auch das Schreiben hat ihm beim Kampf gegen die Drogen geholfen, nicht nur über seine eigene Geschichte, sondern auch als Autor verschiedener Netflix-Serien. „Beautiful Boy“ wird in Erinnerung bleiben als möglicherweise wahrhaftige Nachzeichnung einer Drogensucht seit „Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“.

Beautiful Boy

Regisseur: Felix van Groeningen
Kinostart: 24. Januar 2019

Text: Philipp Demankowski

Sie interessieren Sich möglichweise auch für:

X