Digitaler Nachlass: Erben in digitalen Zeiten

Rechts­anwalt David Oertel von der Dresdner Anwalts­kanzlei Meyer-Götz, Oertel & Kollegen / Foto: Felix Posselt
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Der gläserne Mensch ist längst keine Dystopie mehr, sondern in Zeiten stetig steigenden Online-Handels und alltäglicher Kommunika­tion in sozialen Netz­werken längst Realität. Ist es schon zu Lebzeiten äußerst schwierig den Überblick über das eigene Informations­meer zu behalten, stellt sich im Todesfall zusätzlich die Frage, was mit den Daten passiert, die wir über unsere zahllosen Profile im Internet Tag für Tag ansammeln und streuen. Haben die Angehöri­gen das Recht, auf die Daten des Verstorbenen zuzugreifen?

Das Problem des sogenannten „Digi­talen Nachlasses“ beschäftigt auch Rechts­anwalt David Oertel von der Dresdner Anwalts­kanzlei Meyer-Götz, Oertel & Kollegen. Wir sprachen mit dem Experten über die rechtlichen Probleme, ein möglicherweise wegweisendes Urteil vom letzten Juli und angemessene Vor­sorgemaßnahmen.

Was sind die rechtlichen Grundlagen für das „Digitale Erbe“?

Das ist eigentlich schon genau die erste Problematik. Im Prinzip gibt es keine speziellen rechtlichen Grundlagen. Der Begriff „Digitales Erbe“ oder „Digitaler Nachlass“ hat sich zwar im Sprachgebrauch herausgebildet, aber beschreibt eigentlich kein eigenes Rechtsgebiet. Um überhaupt Verbindlichkeiten herstellen zu können, zieht man   Bestimmungen aus Rechtgebieten heran, die das „Digitale Erbe“ tangieren, also das Telekommunikations­geheimnis, die Datenschutz-Bestimmungen und natürlich das Erbrecht. Zukünftig wird sich zeigen, ob das ausreicht, oder ob es notwendig wird, spezielle Normen zu erarbeiten.

Wo liegen denn die Unterschiede zum nicht-digitalem Nach­lass?

Lassen Sie es mich an einem Beispiel erläutern. Betrachtet man die vordigitale Zeit, dann kann man Online-Daten wie z.B. Facebook, Instagram-Einträge oder E-Mails am ehesten mit einem Tagebuch oder Briefen vergleichen. Es gab nie Probleme für die Erben Tagebücher oder aufgefundene Briefe einzusehen. Ein Dritter, der darin erwähnt wird oder der Verfasser eines Briefes an den Verstorbenen, konnte den Erben den Zugriff im Regelfall nicht verweigern. Das Persönlich­keitsrecht erlischt zwar nicht mit dem Tod, der Verstorbene musste das Verbot der Dokumenten­einsicht seitens der Erben aber explizit anordnen. Beim digitalen Nachlass wiederum kommen die Erben oftmals erst gar nicht an die Daten, da ihnen die Zugangsdaten nicht bekannt sind. Er­schwe­rend hinzu kommt, dass die Anbieter nicht nur mit völlig unterschiedlichen Verfah­rensweisen bei Accounts verstorbener Personen vorgehen, auch wird selbst bei vorhandenen Zugangs­daten der Zugriff auf Einträge des Verstorbenen gegenüber den Erben in vielen Fällen verweigert. Darüber hinaus sind auch spe­zielle Vorschriften wie etwa das Telekommunikationsgesetz zu beachten. Unterneh­men wie Facebook, WhatsApp oder Apple sind zudem international agierende Akteure, die teilweise anderen Rechtsbestim­mungen unterliegen.

Am Bundesgerichtshof machte kürzlich ein Urteil Schlag­zeilen, das sich mit dem „Digitalen Erbe“ beschäftigt. Was wurde entschieden?

Im konkreten Fall wollten die Eltern eines verstorbenen Mädchens Einblick in den Facebook-Account ihrer Tochter bekommen. Der Konzern hatte das untersagt und sich dabei auch darauf berufen, dass die unbekannten Facebook-Freunde der Tochter vor einem solchem Zugriff geschützt werden müssen. Die Eltern vermuteten im Profil Hinweise auf einen möglichen Suizid, denn bis dahin war nicht klar, ob es sich um einen Unfall oder tatsächlich einen Selbstmord handelte. Facebook hatte das Profil in den sogenannten Gedenkzustand überführt, in welchem die Inhalte nicht mehr einsehbar waren. Dies ist eine durchaus übliche Handhabung und kann auch von fremden Dritten initiiert werden. Nachdem das Berliner Kammergericht im Mai 2017 die Sperre des Facebook-Kontos unter Verweis auf das Fernmeldegeheimnis und die Persönlichkeitsrechte Dritter bestätigte, korrigierte der Bun­desgerichtshof im Juli 2018 das Urteil. Aus meiner Sicht völlig zurecht. Die Eltern bekommen als Erben nun Einblick in das Nutzer­konto. Argumentationsgrundlage der Richter ist dabei der Nutzungsvertrag, den das Mädchen mit Facebook hatte. Die Rechte und Pflichten aus diesem Vertrag gehen auch auf die Erben über. Auch der BGH hat den Vergleich zur analogen Vergangenheit gezogen und klargestellt, dass Nutzer digitaler Kommunikationsformen nicht schützenswerter sind als klassische Briefschreiber.

Welche Bedeutung hat das Urteil?

Nun, die Anbieter müssen wohl ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen und ihre Vertragsgestaltung für Deutsch­land anpassen. Da muss man die Entwicklung abwarten, denn das Urteil ist noch zu neu. Aber die Notwendigkeit zur Überarbeitung besteht nach dem Urteil für alle Online-Anbieter, nicht nur für Facebook. Theoretisch könnte nun jeder Erbe den Zugriff einklagen. Ich erhoffe mir durch das Urteil auch eine Vereinheitlichung der Bestimmungen der diversen Anbieter.

Hält das Urteil auch Gefahren bereit?

Gleichzeitig ist die Gefahr nun größer, dass im Fall der Fälle auch Personen auf die Daten der Verstorbenen zugreifen können, von denen dieser das gerade nicht wollte. Der Zwang zur sogenannten „Datenhygiene“ wird damit größer. Unbedingt sollte man sich vorher mit dem eigenen digitalen Nachlass beschäftigen. Und tatsächlich wird das Bewusstsein dafür größer, auch wenn es gerade bei älteren Generationen längst noch nicht überall angekommen ist.

Was können Sie als Kanzlei für Ihre Mandanten tun?

Wichtig ist es, vor dem Tod aktiv zu werden. Wir raten jedem Online-Nutzer, unbedingt eine Übersicht der Accounts mit den dazugehörenden Passwörtern anzulegen. Der Ort sollte gut zugänglich sein, zumal die Passwörter ja auch regelmäßig geändert werden müssen. Deshalb würde ich eher davon absehen, diese Übersicht im Testament zu hinterlegen. Man könnte im Testament aber vermerken, wo die Übersicht zu finden ist. Wichtig ist sie allemal, denn um auf E-Mails, Onlinekonten oder ähnliches zugreifen und die Herausgabe vom Betreiber verlangen zu können, ist die Kenntnis über den Bestand dieser Daten und Accounts Grund­voraussetzung. Zudem lohnt es sich eine „Bevollmächtigung und Beauftragung über den Tod hinaus“ für die Erben festzulegen. Dafür haben wir für unsere Mandanten auch eine entsprechende Vollmacht ausgearbeitet.      

Meyer-Götz, Oertel & Kollegen –
Ihre Anwaltskanzlei für Familien-und Erbrecht
Königstr. 5a, 01097 Dresden, Telefon 0351 80 81 80
www.meyer-goetz-oertel.de

 

Text: Philipp Demankowski

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