Theaterkritik: Der gute Mensch von Sezuan

Der gute Mensch von Sezuan: Betty Freudenberg als SHEN TE, Fotos: Sebastian Hoppe
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Von Schmarotzern und Ausnutzern: Nora Schlocker inszeniert Bertolt Brechts „Der Gute Mensch von Sezuan“ am Staaschauspiel Dresden.

Wo sind sie, die Philanthropen? Wo sind sie, die Menschen, die sich nicht von der eigenen Selbstbezogenheit emanzipieren können? In einer Welt, der es an Empathie mangelt? Auch wenn Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“ in den Elendsvierteln der südwestchinesischen Provinz spielt, übertragbar sind die Konflikte auch auf das Hier und Jetzt. Kann man gut sein und trotzdem leben? Diese Frage überragt Brechts Stück, dessen Ursprungsgeschichte tatsächlich in Dresden liegt. Allerdings ist diese Ehre eher zweifelhaft, denn Brecht schrieb das Stück als Reaktion auf die unfreundliche Behandlung, die ihm und seinen Dichterkollegen Arnold Bronnen und Alfred Döblin bei einer Lesung in Dresden widerfuhr. Die drei Götter, die auf der Suche nach einer Bleibe nur bei der Prostituierten Shen Tu Antwort finden, stehen stellvertretend für das Dichtertrio. Heute kommen die Götter in Dresden übrigens aus Freital. Über den Köpfen der Zuschauer singen die Damen und Herren des Kammerchors Pesterwitz ihren Part am Anfang und am Ende des Stückes. Und sie tun das in ausgezeichneter Manier. So gut, dass sich der Chor am Ende auch den verdienten Applaus auf der Bühne abholt.

Ohne Trara

Herausragend ist Betty Freudenberg in der Hauptrolle als Shen Tu und Shui Ta. Bemüht sie erst ganz am Schluss ihre ganze Ausdruckskraft, ist ihr Spiel zu Beginn noch um die Akzentuierung von Nuancen bemüht. Selbst die erste Transformation in den erfundenen Vetter erfolgt unspektakulär, aber pointiert. Andere Berufskollegen hätten wohl ein größeres Trara um diese Szene gemacht. Betty Freudenberg aber verleiht dem öffentlichen Kostümwechsel die angemessene Aura der Verzweiflung. Freiwillig hätte sich Shen Tu zu so einer Posse wohl nicht hinreißen lassen. Doch um den Bittstellern Herr zu werden, die nach einem göttlichen Geldgeschenk wie die Fliegen um sie herumschwirren, erfindet sie ihr ausbeuterisches Alter Ego. Ein guter Mensch ist dieser Shui Te keineswegs. Er macht Karriere, geht über die sprichwörtlichen Leichen und hält gute Beziehungen zu Höhergestellten. Er nutzt das bestehende System restlos für sich aus. Der arbeitslose Flieger Yang Sun hingegen, herzergreifend dargestellt von Matthias Reichwald, zerbricht an diesem System. Es ist eine Freude, den beiden Hauptdarstellern in ihren gemeinsamen Bildern zuzuschauen. Der Rest des Ensembles geht dabei fast ein bisschen unter. Einzig die Bettlermutter, dargestellt von Hannelore Koch, versteht es in Erinnerung zu bleiben.

Mit Opium

In Sachen Bühnenbild hält sich die Produktion wenig überraschend, aber auch angemessen zurück. Ein Geldhagel aus dem Nichts, ein Kanister voll Wein, ein paar Wäschesäcke und ein Seil: Mehr braucht es nicht, um eine entsprechende Wirkung beim Publikum zu erzielen. Schließlich sind die Fragen, die im Stück gestellt werden, elementar. Sie gehen alle Menschen an. Da ist es nur folgerichtig, auf Schnörkel zu verzichten. Der Star ist ohnehin die kippbare Plattform, die über die ganze Bühnenbreite ragt. Nicht selten fungiert sie als Metapher einer Lebenssituation, in der die Protagonisten den Halt verlieren. Nicht die einzige Besonderheit: Die Aufführung ist auch insofern nicht alltäglich, als die weniger verbreitete Version von 1943 gezeigt wird, die als Opium-Fassung Theatergeschichte machte. Die Droge wird dann vor allem dem glücklosen Yang Sun zum Verhängnis.

Der gute Mensch von Sezuan von Bertolt Brecht, Version 1943

Schauspielhaus, Theaterstraße 2, 01067 Dresden
Termine, Karten etc. unter www.staatsschauspiel-dresden.de

Text: Philipp Demankowski

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