Orte der Sinnlichkeit: Dr. Gisbert Porstmann über Museumskultur

Foto: Felix Posselt
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Im Gespräch mit Dr. Gisbert Porstmann, seit 2002 Gründungsdirektor der Städtischen Galerie Dresden – Kunstsammlung und seit 2009 Direktor der Museen der Stadt Dresden.

Er ist der Herr über zehn Dresdner Museen. So viele Einzelhäuser sind im Verbund Museen der Stadt Dresden zusammengefasst. Dass ein funktionierendes Team bei der Bewältigung der täglichen Herausforderungen essenziell ist, weiß der Direktor des Museumsverbunds natürlich genau. Im Interview erzählt Dr. Gisbert Porstmann, der seit 2009 im Amt ist und in Personalunion auch bei der Städtischen Galerie Dresden als Direktor fungiert, über die Pläne des Museumsverbundes und die Anforderungen an moderne Museumskultur.

Im Verbund Museen der Stadt Dresden sind sehr unterschiedliche Häuser eingegliedert. Wie hält man denn da den Überblick?

Die Spannweite reicht ja vom eher wissenschaftsorientierten Ansatz der Technischen Sammlungen über das Stadtmuseum bis hin zu klassisch kunstgeschichtlichen Ansätzen von Museen wie in der Städtischen Galerie. Dazu kommen die Erinnerungsorte zu speziellen Dresdner Persönlichkeiten wie das Carl-Maria-von-Weber-Museum oder das Leonhardi-Museum. Eine solche Vielfalt ist enorm anregend, da wir Interdisziplinarität, das Mantra zeitgenössischer Museumskultur, jeden Tag leben. Die Häuser helfen sich bei Sonderausstellungen eigentlich immer mit Leihgaben aus, sofern möglich. Eine solche enge Verzahnung funktioniert natürlich nur mit einem gut eingespielten Team. Das haben wir und darüber bin ich sehr froh.

Was hat sich seit damals verändert, als Sie anfingen, als Direktor der Museen der Stadt Dresden tätig zu sein?

Eine meiner wichtigsten Aufgaben war es, die Ängste der Mitarbeiter vor dem Verlust der Eigenständigkeit zu nehmen. Wir haben zwar diesen starken Verbund, der gerade verwaltungstechnisch sehr tragfähig ist und der eine potenziell größere Öffentlichkeit erreicht. Dennoch sind die einzelnen Häuser in ihrer wissenschaftlichen und musealen Arbeit nicht eingeschränkt. Das war ein etwas längerer Prozess, der aber dank eines offenen Dialogs und der Bereitschaft zur Veränderung im Team geglückt ist. Das ist auch heute kein Selbstläufer und wie so oft gilt in den Gesprächen, dass der Ton die Musik macht. Ich bemühe gerne das Bild des Verbunds als Fundament, auf dem die einzelnen Museen gedeihen können. Der Verbund soll eben kein ein schließendes Dach sein.

Welches Projekt beschäftigt Sie 2018 unabhängig von den Sonderausstellungen?

Ein großes Projekt ist die Erstellung einer museenübergreifenden Online-Datenbank aller Bestände, die 2018 vorgestellt wird und an der wir schon lange arbeiten. Sie steht der Öffentlichkeit zur Verfügung und ermöglicht durch Verschlagwortung eine Erfassung der Bestände aus allen Museen nach bestimmten Kontexten. So ist es beispielsweise möglich, alle Zeitzeugnisse eines Jahres anzeigen zu lassen. Das ist Interdisziplinarität pur. Die Datenbank steigert natürlich auch die Sichtbarkeit der Museen der Stadt Dresden über die Region hinaus.

Welche museumstheoretischen Implikationen beeinflussen Ihre Arbeit?

Ein modernes Museum muss permanent im Wandel sein. Es muss am Puls der Zeit bleiben, darf seine Tradition dabei aber nicht über Bord werfen. Es muss sowohl auf die Ansprüche als auch auf die Zusammensetzung seiner Besucher reagieren, die sich ja ebenfalls ständig verändert. Das betrifft natürlich auch die museumspädagogische Arbeit, die wir gern noch mehr forcieren wollen. Im Moment sind wir aber diesbezüglich bereits an der personellen Belastungsgrenze angekommen.

Welche Qualitäten haben Museen generell, um im Wettbewerb der Aufmerksamkeit zu bestehen?

Die Museen müssen sich auf ihre genuinen Qualitäten besinnen und das ist in erster Linie, Sinnlichkeiten und Kontexte zu schaffen. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir eine zunehmende Attraktivität beobachten werden, weil Museen als Rückzugsorte für das Gegenständliche und Analoge dienen. Die Menschen sehnen sich danach in unserer digitalisierten Zeit. Exponate und Kunstwerke bieten unmittelbare Erfahrungen, die Emotionen hervorrufen.

Was können diese Emotionen bewirken?

Eine ganz wichtige Aufgabe des Museums ist es für Anderes zu sensibilisieren. Sinnlich Erfahrbares kann durchaus erst einmal Verunsicherung hervorrufen, möglicherweise gar verstören. Wenn wir aber Kontexte schaffen und erklären, dann wecken wir im Betrachter im günstigsten Falle die Keimzelle der Toleranz. Er lernt die Daseinsberechtigung anzuerkennen, auch wenn er es nicht unbedingt versteht. Das treibt mich um, denn das brauchen wir mehr denn je in unserer Gesellschaft, die so sehr vom Individualitäts wahn gezeichnet ist. Hilfreich bei der Vermittlung ist natürlich, wenn der Museumsbesuch Freude macht. Es darf auch erstmal nur Spaß machen, ins Museum zu gehen.

Auf welche Sonderausstellungen können sich die Dresdner und die Gäste der Stadt 2018 freuen?

Es wird im Stadtmuseum eine Ausstellung über Fred Stein geben, der in Dresden geborene Pionier der Kleinbildfotografie. In der Städtischen Galerie stellen wir mit Bernhard Kretzschmar eine der markantesten Dresdner Künstlerpersönlichkeiten des 20. Jahrhunderts aus. Besonders freue ich mich auch auf die Schau „Investigation“ von Christian Sery, Professor für Interdisziplinäre und Experimentelle Malerei an der Hochschule für Bildende Künste Dresden. Zum Schluss gibt es mit Jürgen Böttcher alias Strawalde nochmal ein echtes Dresdner Schwergewicht. Er unterrichtete unter anderem A. R. Penck. Ein Multitalent, dessen malerisches und filmisches Schaffen wir in der Gesamtheit aufzeigen wollen.

An welchen Plätzen in den Museen des Verbunds halten Sie sich gerne auf?

Da gibt es natürlich zu viele, um sie hier aufzählen zu können. Aber der „Sonnenaufgang“ von Otto Dix ist schon ein emotional stark aufgeladenes Bild für mich. Otto Dix hatte das Bild Paul Ferdinand Schmidt geschenkt, einem meiner Vorgänger, der das Stadtmuseum von 1919 bis 1924 leitete. Die Nazis stellten es im Kontext der „Entarteten Kunst“ aus. Dann war es lange im wechselnden Privatbesitz, bevor wir es 2013 dann in letzter Minute vor einer Ver steigerung mit Hilfe von vier Stiftungen zurückkaufen konnten. Dass wir dieses Schlüsselgemälde aus Otto Dix‘ Frühwerk wieder zeigen können, freut mich ungemein.

Otto Dix, „Sonnenaufgang”, 1913, Öl auf Papier auf Pappe, 50,5 x 66 cm, Städtische Galerie Dresden – Kunstsammlung

Gisbert Porstmann (*1963 in Dresden, lebt in Dresden) ist seit 2002 Gründungsdirektor der Städtischen Galerie Dresden – Kunstsammlung und wurde 2008 zum Direktor der Museen der Stadt Dresden ernannt. Studium der Kunstgeschichte, klassische Archäologie und Geschichte an der Humboldt-Universität Berlin und an der Technischen Universität Berlin. 1993 Promotion über das Chorgestühl des Magdeburger Domes und die mittelalterliche Holzskulptur in Niedersachsen. 1994 Autor und Herausgeber der Moses Mendelssohn Jubiläumsausgabe in Stuttgart und Wolfenbüttel; wissenschaftliche Arbeiten zur Kunst und Kultur der Aufklärung, zur Ausstattung von Mönchs- und Nonnenklostern, zur Rezeptionsgeschichte mittelalterlicher Kunst und zur Geschichte der Kunstgeschichtsschreibung sowie zur Kunst des 20. Jahrhunderts. Wissenschaftliche Arbeit in der Kunstsammlung und den Archiven der Akademie der Künste in Berlin. Bis zum Jahr 2002 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Museum der bildenden Künste in Leipzig.

www.museen-dresden.de

Interview: Philipp Demankowski

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