André Döhring präsentiert: „Reality Winner. Die Staatsfeindin“
Kaum zu glauben, dass einer so zarten und sensiblen Seele wie die der Whistleblowerin Reality Winner aus den USA offizielle Staatsfeindschaft erklärt wurde! Ihr unerschütterlicher Gerechtigkeitssinn und vielleicht auch ein bisschen Blauäugigkeit veranlassten sie dazu, nachrichtendienstliche Informationen zur russischen Einflussnahme auf den US-Wahlkampf 2016 an die Öffentlichkeit zu bringen. Die mutige Amerikanerin verarbeitete mit ihrer Kunst die Zeit im Gefängnis. Der Dresdner Galerist André Döhring wurde durch einen Zeitungsartikel auf Reality Winner aufmerksam. Er war so beeindruckt von der Geschichte dieser jungen Frau, dass er ihr zu Ehren eine Ausstellung umsetzte, die man sich bis Ende Dezember anschauen kann.
Mit der aktuellen Ausstellung hat der Galerist André Döhring einen echten Coup gelandet: Er installierte die einzige Gefängniszelle, an der die Leute zur Vernissage am 16. September Schlange standen, um sie betreten zu können! In der kleinen Galerie in der Dresdner Südvorstadt sind aufsehenerregende Projekte allerdings keine Seltenheit, weichen sie doch häufig von gängigen Ausstellungskonzepten ab. Die Themen, für die sich Galerist André Döhring interessiert, sind alles andere als gewöhnlich. So hat der Bauingenieur mit dem ausgeprägten Sinn für Kunst zuletzt die faszinierenden Objekte und Malereien des Chemnitzer Originals Jean Schmiedel inszeniert. Davor gehörten Lost Places-Fotografien, Gerhard Schröder-Portraits oder auch das Frühwerk Gerhard Richters zu den zentralen Motiven. Kein Zweifel, in der Galerie André Döhring hängt stets Außergewöhnliches, wobei es jedes Mal wieder erstaunlich ist, wie spektakulär der wenige Raum in der Kellergalerie genutzt wird. Die Geschichte hinter der aktuellen Ausstellung „Reality Winner. Die Staatsfeindin“ macht dabei wahrlich keine Ausnahme.


Verräterische Farbdruckermarkierungen
So schön die Exponate sind, so eindrucksvoll ist die Geschichte hinter den Bildern. Als die gelernte Linguistin Reality Winner 2016 als Regierungsbeauftragte mit Top-Secret-Freigabe an einer Nachrichtendienststelle in Georgia eingesetzt wurde, gelangte sie an geheimdienstliche Dokumente der NSA über die mutmaßlichen russischen Eingriffe in die Präsidentschaftswahl 2016. Diese gab sie weiter an die investigative Website The Intercept, die die Dokumente als Scan veröffentlichten. Durch die Farbdruckermarkierungen wurde Reality Winner als Whistleblowerin ermittelt, festgenommen und im August 2018 zu fünf Jahren und drei Monaten Haft verurteilt. Die Haft verbrachte sie in Gefängnissen in Florida, Oklahoma und in Texas, bevor sie im Juni 2021 wegen guter Führung entlassen wurde. Allerdings musste Reality Winner eine Zeitlang eine Fußfessel tragen. Heute lebt sie wieder bei ihren Eltern in Kingsville, Texas und arbeitet in einem Fitnessstudio. Ihre Bewährung endet im November 2024.
Spannendes Ausstellungsprojekt
Neben der Leidenschaft für Yoga und Crossfit hegte die 31-Jährige ebenso für die Malerei eine große Begeisterung. „Kunst war schon immer ein Teil meines Lebens. Auch schon vor der Haft“, sagt die Sprachexpertin, die Farsi (Iran), Dari (Iran/ Afghanistan) und Paschtu (Afghanistan) spricht. Als André Döhring in einem Artikel im Spiegel las, dass Reality sich auch gern mit Kunst beschäftigt, war er gleich Feuer und Flamme. Über den Autor des Artikels kam er mit ihr in Kontakt. „Ich war natürlich erstmal unsicher, ob sich die Kunst überhaupt für ein Ausstellungsprojekt eignet“, erzählt der Galerist. Doch als er sich immer tiefer in das Thema eingräbt und die Verhörprotokolle liest (welche ebenso in der Galerie zu besichtigen sind!) nimmt der Plan einer eigenen Ausstellung Konturen an. Doch von Angesicht zu Angesicht können sie sich nicht sehen. André Döhring würde gern in die USA kommen, erhält aber aufgrund vergangener Aufenthalte im Iran keine Einreiseerlaubnis. Und auch Reality Winner kann frühestens 2024 wieder einen Reisepass beantragen.

Von Texas nach Dresden
Trotz dieser Widrigkeiten wurde die Ausstellung realisiert und die Kunst von Reality Winner weltweit zum ersten Mal in Szene gesetzt. Die Künstlerin selbst hat dafür die Exponate ausgewählt und nach Dresden geschickt. Obwohl auch Zeichnungen hängen, die vor ihrer Haft entstanden sind, wird schnell klar, dass die Zeit im Gefängnis in vielen ihrer Bilder nachwirkt. Die Jahre hinter Gittern waren schwer und treiben sie mitunter an den Rand der Verzweiflung, die sich in ganz bitteren Stunden auch in suizidalen Tendenzen äußert. Trost fand sie vor allem in ihren Gemälden und Installationen, die zu einer echten Überlebenskunst wurden. Obwohl sie viel Missbrauch erleben musste, fand Reality Winner aber bei einigen ihrer Haftkameraden Trost. So lernte sie Menschen mit drastischen Biografien kennen, die schließlich zu Freunden geworden sind.
Beklemmende Erfahrungen
Tatsächlich finden sich auch im Rahmen der Ausstellung viele Darstellungen ihrer Leidensgenossen, etwa das knallbunte Portrait von Zantana. „Sie war eine meiner besten Freundinnen und eine echte Künstlerin, die ihr Leben als eine Performance für ihre engsten Vertrauten lebte. Das lag wohl daran, dass sie die ganze Zeit high gewesen ist“, sagt Reality Winner. Ihre Suchterkrankung bekam Zantana leider auch nach ihrer Entlassung nicht in den Griff. Im letzten Oktober starb sie an einer Fentanyl-Überdosis. „Mit den Bildern will ich einerseits die Schönheit der Portraitierten zeigen, andererseits aber auch, dass sie durch die Beschränkungen ihrer Umgebung gefesselt sind“, erklärt die Künstlerin. Neben den Portraits von Personen aus Realitys näherem persönlichen Umfeld sowie prominenter Vorbilder wie Kalama Harris oder Nelson Mandela, finden sich viele kleine Zeichnungen auf Papier und Buchseiten in der Ausstellung. Alles, was Reality im Gefängnis in die Finger bekam, nutzte sie für den künstlerischen Ausdruck. Um ihre Situation zu verdeutlichen, hat André Döhring eine ihrer Zellen in der Ausstellung nachgebaut, wobei die Besucher gewissermaßen in die Replik hineingehen können. Eine beklemmende Erfahrung.

Zwischen Hoffnung und Dunkelheit
Spektakulär sind zudem zwei fensterartige Mixed Media-Exponate, die gleich im Eingangsbereich der Galerie zu besichtigen sind und Holzlatten mit aufgeklebten Glasscherben kombinieren. Die zersplitterten Kunstwerke sind Ausdruck ihrer Enttäuschung über die Reglementierungen, mit denen sie auch nach der Haftentlassung immer noch leben muss. Denn bevor sie die Fenster fand, musste sie die Nachricht verkraften, dass sie nicht an einem Spendenlauf teilnehmen konnte, weil dieser zu weit weg von ihrem Zuhause gestartet wurde. „Ich habe mich sofort gefühlt als wäre ich noch im Gefängnis. Die unterschiedliche Farbgebung der Exponate spiegelt diesen Zustand zwischen Hoffnung und Dunkelheit“, verdeutlicht Reality Winner. Es sind Geschichten wie diese, die verdeutlichen, wie wichtig die künstlerische Beschäftigung mit der Haft für ihre persönliche Verarbeitung war. Doch für eine neue Bilderserie will sich Reality Winner nun öffnen und fröhlicheren Themen zuwenden. Ein neues Kapitel der Freiheit ist ihr zu wünschen.
DIE STAATSFEINDIN bis Dezember 2022
Besichtigung nach Voranmeldung unter:
Galerie André Döhring
George-Bähr-Str. 20 I 01069 Dresden
M 0162-199 37 19 I www.galerie-andre.de
Redaktion: Philipp Demankowski