Hermjo Klein: „Die Leute lechzen danach, wieder Kultur zu erleben.“

Foto: © Bernd Schaller
0

Er gehört zu den Erfahrensten unter den deutschen Konzertveranstaltern. Seit über 50 Jahren bringt Hermjo Klein mit seiner Firma A.C.T. Artist Agency GmbH illustre internationale Künstler bundesweit auf die Bühnen, darunter Udo Lindenberg, Nana Mouskouri oder auch die Rolling Stones. Gleichzeitig ist er auch Produzent von Bühnenshows, gilt etwa als Vater des irischen Tanzspektakels „Riverdance” in Deutschland, und mit der Produktion „China Girl“ mit dem Chinesischen Nationalcircus hat er einen neuen potenziellen Hit bereits im Köcher.

Im Interview sprachen wir mit Hermjo Klein über die Situation seiner in der Pandemie doch so arg gebeutelten Branche, aber auch über die Pläne danach.

Hermjo Klein / Foto: © Hermjo Klein
Herr Klein, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit nehmen. Ich kann mir vorstellen, dass diese Zeit für Sie als Tournee­ver­an­stalter eine etwas schwierige ist?

Ja, das ist wohl wahr. Wir sind im Grunde ge­nommen die Branche, die von der Politik total vergessen wurde, auch wenn es sich zuletzt ein bisschen gebessert hat. Ich merke immer wieder, dass die Kultur nicht als systemrelevant anerkannt wird. Ein furchtbares Wort, wie ich finde. Dabei rede ich gar nicht mal von uns als Agentur, sondern vor allem auch von den Künstlern, Bühnenarbeitern oder Tech­nikern. Ich kenne Musiker, die mussten ihre Instrumente für die Miete verkaufen. Und das sind ja ihre Einkommensquellen.

Bemerken Sie bereits Anzeichen einer Branchenflucht?

Die gibt es bereits, aber ich glaube, dass da noch eine große Welle auf uns zukommen wird. Dann werden wir auch Probleme bekommen, die entsprechenden Fachkräfte für die Bühnenarbeiten und für die Technik beschäftigen zu können.

Sie sprachen aber auch von positiven Signalen seitens der Politik…

Wir haben das Glück, dass sich der Bundes­verband der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft und dessen Präsident Jens Michow unglaublich für die Branche einsetzen. Das findet nun zum Teil Gehör, nachdem lange und auch mit der nötigen Vehemenz nachgehakt wurde. Da sind zumindest ein paar Steine ins Rollen gekommen.

Woran liegt diese scheinbar geringe Anerkennung für die Kulturbranche, die ja immerhin eine große Wirtschaftskraft mit sich bringt?

Wir sind die fünftgrößte Wirtschaftsbranche in Deutschland. Und trotzdem kenne ich nur wenige Politiker, die wirklich für Kultur stehen. Rock’n’Roll ist immer noch an­stößig. Für viele Politiker hört der Kulturbegriff bei Bayreuth auf. Sobald es um etwas anderes geht, gehen die Scheu­klappen zu. Mein Kol­lege Fritz Rau hat mal gesagt ‚Wir sind als Rock’n’Roller die Schmuddelkinder.‘ Und daran hat sich nichts geändert.

Zum Zeitpunkt des Interviews wurde der Lockdown noch einmal verschärft. Mit welchen Gedanken schauen Sie denn jetzt auf diesen Sommer?

Ich glaube nicht, dass wir im Sommer schon wieder große Konzerte machen können. Frühestens rechne ich da­mit Ende des Jahres, denn die Zuschauer müssen sich auch erst einmal wieder auf das Erlebnis Konzertbesuch einstellen. Ihnen muss die Angst genommen werden, mit anderen Men­schen in einer Gruppe zusammenzustehen. Es wird sicher die eine oder andere ganz limitierte Veranstaltung stattfinden. Das führt dann zum Beispiel dazu, dass in der Jungen Garde vielleicht 600 Leute eingelassen werden. Das rechnet sich nicht.

Rechnen Sie auch damit, dass sich die Atmosphäre auf Konzerten ändert?

Davon gehe ich aus. Es fühlt sich schon anders an, wenn das Publikum in einer großen Location wie der Jun­gen Garde nur aus 600 Zuschauern besteht und alle dabei Masken tragen. Wobei ich davon überzeugt bin, dass die Leute danach lech­zen, wieder Konzerte zu erleben. Das merkt man überall. Einige Ausstellungen, die schon wieder öffnen konnten, verzeichnen hohe Besuchszahlen. Allerdings haben wir das Pro­blem, dass wir im Gegensatz zu Ausstellungen den Zu­schauer­strom nur schwerlich kontrollieren können.

Was halten Sie von sogenannten Picknick-Konzerten, also Konzerten, die man im weiten Abstand voneinander auf Picknickdecken verfolgt?

Obwohl ich kein großer Freund von dem Kon­zept in der Theorie bin, wären die Picknick-Konzerte immer­hin eine Alternative. Man gibt den Menschen einen kleinen Ersatz, aber diese Veranstaltungen können das normale Kon­zerter­lebnis natürlich nicht ersetzen. Sie sind auch immer noch besser als Streaming-Konzerte, obwohl ich da prinzipiell auch nichts dagegen habe. Alles, was den Leuten hilft, eine gute Zeit zu haben oder sich zu erholen, ist gut.

Womit können Sie sich in Ihrem Alltag denn aktuell überhaupt befassen? Wie sieht Ihre tägliche Arbeit aus?

Wir planen natürlich nach wie vor Tourneen. Aktuell beschäftigen wir uns gemeinsam mit unserem Partner Raoul Schoregge vor allem mit einer großen Tournee, die wir selber produziert haben: „China Girl“, eine neue akrobatische Theatershow zusammen mit dem Chinesischen National­circus, die auf den Liedern von David Bowie basiert. Das Thema ist angelehnt an das „Romeo und Julia“-Motiv. Eigentlich war die Premiere bereits im Frühjahr 2020 in Prag mit zwei Shows ge­plant, die beide ausverkauft waren. Die Nachfrage ist wirklich unglaublich groß, auch aus anderen Ländern. Aktuell liegt die Show aber auf Eis, was natürlich vor allem für die Künstler verheerend ist.

Szene aus der Theatershow „China Girl” / Foto: © Bernd Schaller
Wo soll „China Girl“ überall Station machen?

Das ist eine europaweite Tournee, wobei wir so­gar Anfragen vom Broadway haben. Das Schöne ist, dass „China Girl“ mit der Musik von David Bowie über Landes­grenzen hinweg funktioniert. Mein Traum ist es, dass wir mit der Produk­tion sogar in China auftreten können.

„China Girl“ – eine neue akrobatische Theatershow zusammen mit dem Chinesischen National­circus, basierend auf den Liedern von David Bowie / Foto: © Bernd Schaller
Welche Lehren nehmen Sie mit aus der Pandemiezeit? Gibt es eventuell positive Lerneffekte?

Grundsätzlich gibt es eine enorme Solidarität auf Seiten des Publikums. Viele Zuschauer geben ihre bereits gekauften Tickets nicht zurück. Das sind Effekte, die wir ja im Alltag an vielen Stellen sehen. Zum Beispiel, dass man in der Qua­rantäne für den Nachbarn einkauft. Da gibt es schon Mo­mente, die zeigen, dass unsere Gesellschaft gar nicht so unsolidarisch ist, wie immer behauptet wird. Andererseits wirken diese Erklärungen oft auch herbeigeschrieben, damit man der Corona-Pandemie wenigstens noch irgendwas Gutes abgewinnen kann.

Interview: Philipp Demankowski

Sie interessieren Sich möglichweise auch für:

X