Filmkritik „Zombi Child“: Die Verkörperung des Unrechts
Bertrand Bonellos „Zombi Child“ transferiert die Grundidee des magischen Realismus in eine eigentümliche Mischung aus Coming-Of-Age-Drama und Zombiefilm.
Man ist schnell bei der Hand mit der Annahme, dass das Phänomen Zombies in der Popkultur zuletzt ausreichend behandelt wurde. Eine schier unermessliche Anzahl an Medienprodukten beschäftigt sich mit den untoten Wiedergängern, von Computerspielen über Comics bis hin zu den großen Filmklassikern des Regisseurs George A. Romero. Auch wenn die Fanschar nach wie vor so groß ist, dass Paraden von verkleideten Zombies („Zombie Walks“) durch die Städte taumeln, sind Ermüdungserscheinungen nicht von der Hand zu weisen. Als bekannt wurde, dass der neue Film des französischen Ausnahmeregisseurs Bertrand Bonello zumindest teilweise einmal mehr das Phänomen behandeln würde, war Skepsis zumindest angebracht. Doch „Zombi Child“ ist ein Beitrag, der sich nicht in der immergleichen Mär des gefährlichen Zombies ergeht, sondern die Untoten als überdeutliche Konsequenz von Unrecht begreift. Es ist im Prinzip ein magischer Realismus, den Bertrand Bonello betreibt, während er seine Geschichte an zwei wesentlichen Standorten und Zeitpunkten entwickelt und diese nur ganz langsam miteinander verknüpft.
Der echte Zombie
Der Film beginnt im Jahre 1962 auf Haiti und erzählt zunächst die Geschichte von Clairvius Narcisse, der tatsächlich gelebt hat. Der 40-Jährige wird durch ein mit Kugelfisch versetztes Pulver gelähmt und irrtümlich begraben. Gerettet wird er von einem Voodoo-Priester, der ihn jedoch in einen Zombie verwandelt und mit anderen Schicksalsgenossen zur Feldarbeit schickt. Mélissa, die Enkelin von Clairvius Narcisse, hingegen lernt heute am renommierten Internat der Légion d’Honneur in Saint-Denis am Stadtrand von Paris. Sie musste die Insel mit ihrer Tante verlassen, nachdem beim Erdbeben 2010 ihre Eltern umkamen. Mit beneidenswerter Leichtigkeit und völlig ohne Effekthascherei wird das Voodoo-Erbe mit dem alltäglichen Begehren und den Sorgen von Mélissa und ihren Freundinnen verbunden. Die Schülerinnen in dem streng katholischen Internat, das einst Napoleon gründete, hören Trap, reden über die Musik und gehen miteinander mit viel Einfühlungsvermögen um. Die Voodoo-Elemente wirken dabei nie als Fremdkörper, sondern sind im Sinne des magischen Realismus natürlich in die Handlung integriert.
Hierarchie des Unglücks
Anknüpfungspunkte für Diskussionen bringt der Film reichlich mit. So kreuzt der Regisseur die Geschichte der afrikanischen Diaspora mit dem Menschheitsverbrechen Sklaverei und dem Wertekanon französischer Teenager. Es ist eine Mischung, die eine eigentümliche Faszination ausstrahlt. Dass die Zombies auf dem Zuckerrohrfeld genauso wirken wie die Arbeiter auf den Plantagen der Kolonialherren, verdeutlicht nur, wie weit die Sklaven jenseits aller Zumutbarkeitsgrenzen gelebt haben. Spannend ist schließlich auch die zum Ende hin gestellte Frage, ob es eine Hierarchie des Unglücks gibt. Wie viel Leid muss man erfahren, um Ansprüche zu stellen? Dass eine weiße Protagonistin die Leidenserfahrung und schließlich sogar das Erbe der Voodoo-Kultur auch gegen Wider – stände für sich einfordert, ist letztlich nur eine weitere Episode der Ausbeutung. Das Ergebnis dieser Szene, die als Filmhöhepunkt in einer wundervollen Parallelmontage dargestellt wird, spricht Bände. Filmisch ist „Zombi Child“ ohnehin ein Genuss. Wer die andere Filme des Regisseurs wie „Haus der Sünde“ oder „Nocturama“ kennt, weiß um dessen Talent, einprägsame Bilder mittels träumerischer und leicht schwermütiger Szenerien zu entwickeln. Ein Bravourstück, das ihm auch mit „Zombi Child“ durchweg gelungen ist.