Erbe im Fokus

Slave to the rhythm, Foto: © Rolf Arnold
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Nichts wiederholt sich, aber alles war schon einmal da. Wie mit dem Erbe in der Kunst umgegangen wird, zeigt das neue Festival „Erbstücke“ in Hellerau.

Der Titelzusatz „Festival zu Erbe und Tradition in der zeitgenössischen Kunst“ macht es schon deutlich. Es geht den Festivalmachern nicht um den Vorgang oder gar den Profiteur einer Erbschaft, sondern vielmehr um die Hinterlassen schaften, die Künstler aus der Vergangenheit den zeitgenössischen künstlerischen Akteuren mit auf den Weg geben. Gerade in Hellerau setzte man gegenwärtige Veranstaltungen immer wieder in Beziehung zu den Gründermüttern und -vätern. Es waren wegweisende Figuren wie der Musikpädagoge Émile Jaques-Dalcroze, dessen enge Mitarbeiterin Nina Gorter, die Schweizer Tänzerin Suzanne Perrottet oder auch der Bühnenbildner Adolphe Appia, die dazu betrugen, dass das Fest spiel – haus Hellerau bis heute einen ausgezeichneten Ruf genießt. Künstler, die heute in oder für Hellerau arbeiten, sind mit diesem Erbe konfrontiert, arbeiten sich an ihm ab oder interpretieren dessen Ideen neu.

Tradition und Impulse

Gleichzeitig vereinnahmen rechtsnationale Kräfte den Begriff Erbe heute wieder verstärkt für sich, indem fadenscheinig mit drohender Überfremdung argumentiert wird, als ob sich Überlieferungen und Einflüsse ausschließen würden. Solche Behauptungen sind noch viel widersprüchlicher, wenn man sich vergegenwärtigt, dass auch die Tradition der europäischen Moderne selbst, zu der das Festspielhaus Hellerau ab den 1910er Jahren gezählt wurde, wichtige Impulse aus fernöstlichen und afrikanischen Ländern oder aber aus archaischen Kulturen zog. An Relevanz mangelt es dem Begriff Erbe also nicht. Da ist es nur folgerichtig, dass der Themenkomplex und die Reflektion darüber bei „Erbstücke – Festival zu Erbe und Tradition in der zeitgenössischen Kunst“ sogar im Fokus steht.

Facettenreiches Programm

Die künstlerischen Entwürfe, die den entsprechenden Fragen nachgehen, sind ganz unterschiedlicher Natur, wobei es einen Schwerpunkt an tänzerischen Formaten gibt. Die Ansätze je – doch sind vielgestaltig. Die spanische Choreografin Rocío Molina erforscht in ihrer Inszenierung „Caída Del Cielo“ etwa die lange Geschichte des Flamencos als eine Geschichte der Befreiung (vor allem des weiblichen Körpers), während die Choreografin Eszter Salamon in „The Valeska Gert Monument“ in eine intime und fast schmerzlich intensive Zwiesprache mit einer nahezu vergessenen Zeitgenossin Mary Wigmans eintaucht. Die britische Künstlergruppe Forced Entertainment identifiziert in ihrem sechsstündigen Klassiker „And on the 1000th night“ im Geschichtenerzählen die Wurzel allen Erbes. Der Berliner Choreograf Hermann Heisig hingegen legt die absurden, manchmal auch totalitären Wurzeln von Jaques-Dalcrozes rhythmischen Übungen bloß. Und die Schweizer Performancekünstlerin Alexandra Bachzetsis hinterfragt die Ursprünge der „orientalischen“ Rebetiko-Lieder in Griechenland und ihre Bedeutung für die heutige urbane Gesellschaft.

Erbstücke – Festival zu Erbe und Tradition in der zeitgenössischen Kunst

26. April bis 5. Mai 2019
HELLERAU – Europäisches Zentrum der Künste
Karl-Liebknecht-Str. 56, 01109 Dresden

www.hellerau.org

Text: Philipp Demankowski

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