Filmkritik „Shoplifters“: Tokioter Enge

Fotos: © WILD BUNCH GERMANY 2018
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Mit „Shoplifters – Familienbande“ beweist der japanische Regisseur Hirokazu Koreeda, dass Familie viele Formen hat.

Nicht selten muss man sich die Haare raufen, wenn anderssprachige Filmtitel ins Deutsche übersetzt werden. Bei „Shoplifters – Familienbande“ ist der Zusatz Familienbande im Titel aber durchaus gut gewählt. Denn um Ladendiebe geht es im Film des japanischen Regisseurs Hirokazu Koreeda zwar auch, die kriminellen Talente der Protagonisten sind aber eher von sekundärer Bedeutung. Vielmehr geht es um die familiären Bindungen, die auch ohne Blutsverwandtschaft entstehen können. Im Mittelpunkt steht eine kleine Gemeinschaft aus Lebenskünstlern um Großmutter Hatsue (Kirin Kiki), die mit ihrer kleinen Rente so etwas wie die Basissicherung übernimmt. Der Rest wird aus vielerlei Quellen zusammengesammelt, auch durch die regelmäßigen Diebestouren, die Osamu Shibata (Lily Franky) und der vorpubertäre Shota (Jyo Kairi) unternehmen. Dazu kommt das minimale Gehalt verschiedener Jobs aller Familienmitglieder. Osamu arbeitet auf einer Baustelle, Aki (Mayu Matsuoka) in einer merkwürdigen Peepshow und Nobuyo (Sakura Andô) in einer Wäscherei.

Ohne Kitsch

Obwohl Andeutungen gemacht werden, ist lange nicht klar, in welchem Verhältnis die Mitglieder der Gemeinschaft aus Lebenskünstlern zueinanderstehen. Erst nach und nach offenbaren sich die Beziehungen. Als jüngstes Mitglied kommt gleich am Anfang des Films das kleine Mädchen Yuri (Miyu Sasaki) hinzu, das von seinen Eltern offenbar vernachlässigt wird. Nach kurzer Diskussion darüber, dass es ja keine Entführung ist, wenn man kein Lösegeld verlangt, beschließt die Fünferbande kurzerhand, Yuri als neue Tochter zu behalten. Fortan leben sechs Personen in der Enge der versteckten Behausung inmitten einer Tokioter Wohnsiedlung. Der Film entwickelt eine Warmherzigkeit, die völlig ohne Kitsch auskommt und allein schon durch die Dialoge eine enorme emotionale Kraft entfacht. Gespräche werden geführt, die direkt aus dem Leben kommen. Nebenbei wird der Alltag in den armen Stadtviertel Tokios gezeichnet.

Fotos: © WILD BUNCH GERMANY 2018

Ausgezeichnet in Cannes

Die unterschiedlichen Konstruktionen von Familie sind ein Lieblingsthema von Hirokazu Koreeda, der schon mit seinem ersten Spielfilm „Maborosi“ 1995 die internationale Filmkritik begeistern konnte. Seitdem sind über zehn Filme dazu gekommen, die immer nah an den Protagonisten sind. Sie sind sozialrealistisch im Sinne des britischen Filmregisseurs Ken Loach. Koreeda liebt seine Figuren, die oft aus schweren Verhältnissen das Beste machen. Natürlich wird auch die kleine Idylle, die sich die Familie in „Shoplifters“ aufgebaut hat, irgendwann vor eine harte Bewährungsprobe gestellt. Dass der Film ein Meisterstück ist, hat auch die Jury der Internationalen Filmfestspiele von Cannes erkannt, die „Shoplifters“ in diesem Jahr die Goldene Palme verliehen hat. Durch die Bank weg erlebt man als Zuschauer hervorragende Schauspiel leistungen. Am meisten unter die Haut geht das Spiel von Sakura Andô, aber auch Kirin Kiki, die hier leider in ihrem letzten Film zu sehen ist. Sie starb im September 2018 an den Folgen einer Krebserkrankung.

Shoplifters – Familienbande

Regisseur: Hirokazu Koreeda
Kinostart: 27. Dezember 2018

Text: Philipp Demankowski

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