Filmkritik „Parasite“: Parasitäres Verhalten bei sozialer Ungleichheit
Der südkoreanische Film ist ein cineastisches Ereignis. Regisseur Bong Joon-ho überzeugt in seinem siebten Langfilm nicht nur mit visueller Eleganz, sondern auch durch bestechende Analysen sozialer Ungleichheit.
Wenn in der ersten Szene des Films trocknende Socken vor einem Kellerfenster gezeigt werden und sich der Keller nach einem Schwenk als ärmliche Behausung für eine vierköpfige Familie entpuppt, wird das an der Oberfläche liegende Motiv des Films schnell klar. Hier wird soziale Ungleichheit verhandelt. Auch in Südkorea geht die Schere zwischen denjenigen Menschen, die am wirtschaftlichen Fortschritt teilhaben, und denjenigen, die das nicht können, immer weiter auseinander. Je größer die Armut, desto größer das Ungerechtigkeitsempfinden und desto stärker der Neid. Auch bei Familie Kim, die sich mit Gelegenheitsjobs mehr schlecht als recht über Wasser hält. Als ein alter Schulfreund des Sohnes Giu den Job eines Nachhilfelehrers für Englisch bei einer wohlhabenden Familie vermittelt, schmeckt die Familie nach und nach den Geschmack des sozialen Aufstiegs. Parasitäres Verhalten wird losgetreten.
Ein Haus als Star
Wie der Regisseur Wohl und Wehe von Familie Kim einfängt, ist von einer derartigen Eleganz, dass es dem Zuschauer mitunter die Sprache verschlägt. Bong Joon-ho arbeitet mit Kameraschwenks, die das Geschehen in der Szene ruhig, aber umfassend abbilden. Dadurch bekommt nicht nur jeder der Protagonisten gleichberechtige Bildschirmzeit. Sie erhalten im Kontext des Films auch genügend Zeit für eine ausführliche Charakterisierung. Star des Films ist das Haus der reichen Familie in seiner akkuraten Sterilität. Jederzeit wird durch rigide Schloss- und Videotechnik deutlich, dass man sich vor dem Pöbel auf den Straßen draußen gefälligst abschottet und höchstens für das Hauspersonal eine Ausnahme macht.
Spannung trotz Humor
Doch nicht nur auf der gesellschaftspolitischen und filmhandwerklichen Ebene funktioniert der Film hervorragend. Auch in Sachen Spannung wird „Parasite“ 2019 wenig Konkurrenz befürchten. Die Handlungs-Wendungen kommen. Und sie kommen überraschend. Dadurch hält sich der Regisseur die Wirkung des Films bis zum Schluss offen. Es gibt keine Gelegenheit für ein vorschnelles Urteil. Das liegt auch am Humor, der zwar sehr eigen ist und gängigen Filmklischees entsagt, gleichzeitig aber auch sehr in der Gegenwart verhaftet. Das wird gleich am Anfang deutlich, wenn die Kim-Kinder auf der Suche nach fremden WLAN schließlich auf dem Toilettensitz fündig werden und von dort auch nicht mehr abrücken. Ein Gesamtpaket wird mit dem Film also geschnürt, das schon die Jury in Cannes überzeugt hat. „Parasite“ räumte die Goldene Palme beim 72. Filmfestival ab und hat auch bei den Oscars 2020 gute Chancen im Rennen um den Preis in der Kategorie Bester internationaler Film.
Text: Philipp Demankowski
Parasite
Regisseur: Bong Joon-ho
Filmstart: 17. Oktober 2019