Ein Haus für alle Dresdner: Interview mit dem neuen Semperoper-Intendanten Peter Theiler

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Bevor am 29. September 2018 mit Arnold Schönbergs „Moses und Aron“ die erste Premiere unter seiner Ägide ansteht, durften wir Peter Theiler, den neue Intendanten der Semperoper, zum Willkommensinterview befragen. Wir erwischten den 61-jährigen Schweizer im Büro am Staatstheater Nürnberg, dass er noch bis Sommer 2018 führt.

Auch wenn es schon einige Jahre her ist: Wie lange mussten Sie überlegen, als die Anfrage kam? Und welche Faktoren moderierten ihre Entscheidung?

Natürlich hat mich die Anfrage sehr gefreut. Aber trotzdem bin ich erst mal in mich gegangen, zumal ich in Nürnberg gut aufgestellt war. Ich muss mich ja glücklicherweise nicht vorzeitig vom Staatstheater Nürnberg trennen und kann meinen Vertrag erfüllen. Das hat mir die Entscheidung schon einfacher gemacht. Von größter Bedeutung war aber die Tatsache, dass es sich bei der Semperoper um eines der Top-Häuser in Europa handelt. Dann gibt es ein Orchester, das für mich zu den zehn besten der Welt zählt. Da kann man  kaum  widerstehen.

Welches Verhältnis hatten sie bisher zu Dresden?

Ich kannte Dresden bisher nur von kurzen Aufenthalten. Aber die Neugier auf die Kulturstadt Dresden war schon immer da. Die Stadt hat ja eine breite historische Vergangenheit in allen Facetten, mit hellen, aber auch dunklen Seiten. Deshalb haben meine Frau und ich nicht lange überlegen müssen.

Wie gestaltet sich für Sie der Übergang von Nürnberg nach Dresden?

Natürlich bin ich momentan emotional noch mit den Projekten in Nürnberg beschäftigt. Gleichzeitig sind wir in Dresden auch bereits in der Umsetzungsphase. Vor einem Jahr noch wurde konzipiert, jetzt wird es bereits ernst. Das allererste Projekt geht aktuell schon in die Proben. Georg Schmiedleitner, mit dem ich in Nürnberg den „Ring“ gemacht habe, inszeniert in Salzburg die Kammeroper „Satyricon“ als Koproduktion mit der Semperoper. Das ist im Prinzip mein erstes großes „Dresdner“ Projekt. Im Herbst sehen wir das Stück dann in der Semperoper. Ich gleite also gewissermaßen gerade in die operative Arbeit über.

Mit welchen Zielen treten Sie in Dresden an?

Es ist immer vermessen zu behaupten, dass man das Rad neu erfindet. Auch wenn jetzt eine sechsjährige Interimszeit endet, so kann ich an eine sehr gute Vorarbeit anknüpfen, die der Kollege Wolfgang Rothe in seiner Doppelfunktion als kommissarischer Intendant und kaufmännischer Geschäftsführer leistete. Das Haus ist wirklich hervorragend aufgestellt. Das will ich natürlich aufgreifen und  mit neuen Perspektiven ergänzen. Wir haben das unter dem Motto „Lebendiges Gedächtnis und vitale Gegenwärtigkeit“ subsummiert.

Was verstehen Sie unter dem Begriffspaar?

Peter Theiler: Das sind für mich die beiden  Pole, zwischen denen sich unsere Arbeit vollziehen soll, die aber auch wechselseitig aufeinander wirken. Unser Musiktheater soll gegenwartsbezogen sein. Wir bringen Werke auf die Bühne, die eine gesellschaftliche Relevanz im Heute haben. Selbst wenn die Werke jahrhundertealt sind, werden darin Themen verhandelt, die etwas mit unserem Leben zu tun haben.

 

Was sind das konkret für Themen bei den Premieren der nächsten Spielzeit?

Die Verletzbarkeit und Ausgrenzung der Menschen steht im Mittelpunkt der französischen Barockoper „Platée“ von Jean Philippe Rameau (Regie: Rolando Villazón). Das ist eine Erscheinung, die unsere gesellschaftlichen Verhältnisse durchaus kennzeichnet. Und bei „Die Hugenotten“ (Regie: Peter Konwitschny) geht es um Fanatismus und religiöse Konflikte. Phänomene, die wir heute auch kennen, und die uns daran hindern, zueinanderzufinden. Aber auch ein Schlüsselwerk wie Schönbergs „Moses und Aron“  unter der musikalischen Leitung von  Alan Gilbert und der Regie von Calixto Bieito steht in dieser Tradition, thematisiert es doch unter anderem auch Populismus und Verblendung. Die Übertragbarkeit auf gesellschaftliche und politische Probleme unserer Zeit sind für mich Punkte, die relevant sind, wenn der Spielplan zusammengestellt wird. Diese Auseinandersetzungen werden wir suchen.

Foto: Matthias Creutziger

Der Topos „Lebendiges Gedächtnis“ bezieht sich aber sicher auch auf die musikalische Tradition des Hauses?

Auf jeden Fall. Die musikalische Tradition des Hauses geht ja von Weber über Wagner bis hin zurück den barocken Hofkomponisten. Das Haus war in den zwanziger Jahren bis 1933 aber auch eine Plattform für die musikalische Moderne. Man denke beispielsweise an Busonis „Dr. Faust“, der 1925 in Dresden uraufgeführt wurde und der im vergangenen Jahr in der Inszenierung von Keith Warner hier wieder Premiere feierte.  Der großen Tradition der Werke von Richard Strauss an der Semperoper trägt wiederum die Aufführung der „Ariadne auf Naxos“ unter Chefdirigent Christian Thielemann Rechnung, unsere zweite Premiere in der neuen Spielzeit. Auch der Umstand, dass wir die „Hugenotten“ des deutschen Juden Giacomo Meyerbeer an einer Wagner-Bühne zeigen, ist eine Entscheidung mit Nachdruck. Das ist natürlich durchaus als eine kritische Auseinandersetzung zu lesen.

In Nürnberg hat die Theaterpädagogik eine wichtige Rolle gespielt? Wie wollen Sie in diesem Bereich in Dresden wirken?

Für mich hat das Thema eine große Bedeutung, so dass ich auch bereits eine zusätzliche Stelle in der Theaterpädagogik geschaffen habe. Im Grunde genommen nimmt die ästhetische Bildung bei allen Kulturinstitutionen, auch bei den Museen, eine immer wichtigere Rolle ein. Je mehr der Musik- und Kunstunterricht an den Schulen verflacht, desto wichtiger ist unsere Verantwortung. Dafür nutzen wir natürlich auch unsere weitere Bühne Semper Zwei, die als Experimentalplattform für zeitgenössische Theaterformen neue Anknüpfungspunkte schafft. Wir müssen investieren in das Publikum nicht nur von morgen, sondern auch von übermorgen. Gleichzeitig müssen wir uns in einer älter werdenden Gesellschaft auch um die Senioren kümmern, weshalb auch hier theaterpädagogische Maßnahmen getroffen werden müssen. In Nürnberg haben wir zudem auch entsprechende Projekte mit Geflüchteten und Migranten initiiert. Das würden wir in  Dresden gerne fortsetzen. Dahinter steht die unbedingte Absicht, dass wir zur Humanisierung unserer Gesellschaft beitragen wollen. Das ist für mich die Hauptaufgabe von Kunst und Kultur.

Ist die Semperoper ein Theater für die Dresdner oder eine Bühne für die Welt?

Beides. Natürlich kennt man die Semperoper in der Welt auch als touristisches Ziel, das überregional über eine große Ausstrahlungskraft verfügt. Dieses Haus ist aber auch ein Haus für die Dresdner, die uns die Treue mit ihren Abonnements halten. Wir wollen dabei niemanden ausschließen, sondern zeigen, dass wir „ein Dresden“ sind. Die Aktion des Berliner Fotografen Andreas Mühe, der 1.000 Ultras von Dynamo Dresden in der Semperoper fotografierte, ist genau vor diesem Hintergrund zu lesen. Trotzdem wollen wir natürlich auch den internationalen Kontext und das Renommee der Semperoper nicht vernachlässigen. Deshalb kommen in der neuen Spielzeit natürlich auch große Regisseure wie Peter Konwitschny und Calixto Bieito, aber auch großartige Sängerinnen und Sänger nach Dresden.

Interview: Philipp Demankowski

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