Theaterkritik „Früchte des Zorn“: Überall Staub

Foto: Sebastian Hoppe
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Im Kleinen Haus entscheidet sich Regisseurin Mina Salehpour bei ihrer Inszenierung von John Steinbecks „Früchte des Zorns“ bewusst gegen eine moderne Adaption.

Seit der Spielzeit 2017/2018 ist Mina Salehpour nun schon als Hausregisseurin am Staatsschauspiel Dresden aktiv. Seit – dem hat sie sich vor allem mit stilsicheren Roman inszenierungen hervorgetan. Auf Jaroslav Rudiš „Nationalstraße“ folgte Alexander Jodorowskys „Wo ein Vogel am schönsten singt“. In der aktuellen Spielzeit brachte sie „Sophie im Schloss des Zauberers“ nach dem Roman von Diane Wynne Jones auf die Bühne. Nun also „Früchte des Zorns“: Der Ein stieg ist so stimmig wie bedrohlich. Hans-Werner Leupelt rezitiert eine lange Solopassage und verdeutlicht anhand extrem anschaulicher Beschreibungen von Wind- und Wettereffekten die Atmosphäre des Romans. Das ist brutal schöne Literatur. Naturalismus nennen das die Literaturkritiker. Nicht umsonst wurde „Früchte des Zorns“ mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet und gilt bis heute als eines der größten Werke des 20. Jahrhunderts. John Steinbeck bekam 1962 den Nobelpreis.

„Früchte des Zorns” – v.l.: Oliver Simon, Anna-Katharina Muck, Hans-Werner Leupelt,
Simon Werdelis, Paul Wilms, Philipp Grimm, Foto: Sebastian Hoppe
Trügerische Versprechen

Der Star in der Inszenierung ist das Bühnenbild, obwohl es eigentlich recht schlicht ausgestaltet ist. Ein gigantischer Ascheberg ist auf der Bühne aufgetürmt. Äußerst plastisch versinnbildlicht er den Dust Bowl, die Bezeichnung für jene Ebenen in den USA, die in den 1930er Jahren von verheerenden Staubstürmen betroffen waren. Fatale Dürren und Hungerkatastrophen waren die Folge. Auch die Farmerfamilie Joad aus Oklahoma sieht sich gezwungen gen Westen zu reisen. Nach Kalifornien, das Land mit den unendlichen Arbeitsmöglichkeiten und den Pfirsichen im Überfluss. Das zumindest versprechen die leuchtend-bunten Reklamezettel, die überall in Oklahoma verteilt werden. Auf dem Weg ins vermeintlich gelobte Land nehmen die Joads immer mehr Kümmernisse in Kauf. Die Großeltern verkraften den Verlust der Heimat nicht und sterben. Immer wieder muss sich die Großfamilie gegen gigantische, von Ventilatoren angetriebene Staubwände durchsetzen. Das ist so hervorragend inszeniert, dass man den Staub auch im Kleinen Haus fast schon zu schmecken scheint.

„Früchte des Zorns” – v.l.: Oliver Simon, Anna-Katharina Muck, Hans-Werner Leupelt,
Simon Werdelis, Paul Wilms, Philipp Grimm, Foto: Sebastian Hoppe
Sozialkritik und Flucht

Für ihre Inszenierung hat sich Mina Salehpour gegen eine moderne Adaption entschieden, fast schon eine Besonderheit im heutigen Theaterbetrieb. Entsprechend sind Kostüme und Text ganz in den 1930er Jahren verhaftet. Das macht es manchmal schwer, die Motive auf die Jetztzeit zu übertragen. War „Früchte des Zorns“ ursprünglich vor allem Sozialkritik und dabei durchaus als Triebfeder für die Einführung des Sozialstaats im Rahmen von Roosevelts „New Deal“ zu lesen, ist der Roman aus heutiger mitteleuropäischer Sicht eher eine Fluchtgeschichte. Es steht zu vermuten, dass Geflüchtete in Deutschland mit ähnlichen Vorbehalten und Hindernissen zu kämpfen haben wie die Joads in Kalifornien. Die wachsende Verzweiflung aufgrund der desaströsen Umstände nimmt man der siebenköpfigen Besetzung jederzeit ab. In Erinnerung bleibt aber vor allem das Spiel von Lisa Natalie Arnold, die die schwierige Rolle der schwangeren Rose Joad in allen Facetten meistert.

Früchte des Zorns

nach dem Roman von John Steinbeck, Regie: Mina Salehpour Kleines Haus Glacisstraße 28, 01099 Dresden
Termine, Karten etc. unter www.staatsschauspiel-dresden.de

Text: Philipp Demankowski

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