Vom Leben im Zelt

Von der scharfzüngigen Ulknudel der RTL-Abendunterhaltung zum Erklärbär der öffentlich rechtlichen TV-Anstalten. Wigald Boning hat es wie kein anderer geschafft, sein Talent in Sachen Witz und Humor in den Dienst seiner eigenen Neugier zu stellen. Im Fernsehen scheint er mittlerweile einer der letzten zu sein, die sich selbst einer Art Bildungsauftrag verschrieben haben. Dabei bewegt sich der gebürtige Niedersachse offenbar mühelos auf schmalem Grat zwischen Seriösität und völligem Klamauk. Sein jüngstes Abenteuer erlebte der Mann in der Enge eines Einmannzeltes. Und weil es so schön war, hat er gleich noch ein Buch darüber geschrieben.

TOP: Es hat den Anschein, Sie suchen das Absurde am Rande des normalen Lebens, was immer das auch sein mag. Oder wie muss man Ihr neuestes Werk verstehen, Herr Boning?

Wigald Boning: Man darf das verstehen, man muss nicht.

TOP: Was hat Sie bewogen, mit dem Zelt loszuziehen?

Wigald Boning: Es begann eigentlich ganz harmlos. Ich wollte an einem heißen Sommertag der Hitze meiner Wohnung entfliehen. Also nahm ich mir einen Schlafsack und suchte an der Isar (Boning lebt in München, die Red.) meine kleine Insel. Ich fand sie, ganz in Kies, etwa drei mal zehn Meter. Herrlich! Wer träumt nicht von seiner eigenen Insel. Da schlief ich dann für ein paar Nächte und fand Gefallen daran. Ich fragte mich, wie weit kann man das treiben, wie lange hält man das aus? Ein Jahr?

TOP: Und?

Wigald Boning: Ab irgendeinem Punkt kommt das Wetter ins Spiel, da dachte ich, ein Zelt muss her. Also besorgte ich mir eines dieser Luxus-Einmannzelte, wobei der Luxus darin besteht, dass es sich nicht nur leicht aufbauen lässt, sondern auch schnell in einem Rucksack zu verstauen ist.»

TOP:  Sie lebten damals mehr oder weniger auf der Straße?

Wigald Boning: Ja, klar, eher mehr, in Parks, unter Brücken, aber auch schon mal auf einem Camping-Platz. Ich hätte nicht gedacht, wie schnell man das als Alltag empfindet.

TOP: Und das ging so leicht?

Wigald Boning: Na ja, die ersten drei Monate waren schon sehr aufregend. Das mit dem ruhigeren Schlaf war dann gerade anfangs doch nicht immer so einfach. Das ging mir ganz schön an die Nerven ­– herrlich – im Nachhinein!

TOP: Wie war das so als Prominenter, in diesem engen Kontakt?

Wigald Boning: Na so eng hab ich den gar nicht gesucht. Man muss sich ja nicht auf die erstbeste Parkbank legen zum Schla­fen, man kann sich ja etwas zurückziehen. Und was heißt schon Prominenz. In Köln haben mich ein paar Männer mal nicht mit unter der Mühlheimer Brücke schlafen lassen, weil sie mich eben nicht kannten. Da war ich eher der Außenseiter. In der regnerischen Nacht musste ich mir dann einen anderen Ort suchen. Das komplette Gegenteil hab ich auf einem Camping­platz erlebt. Da sagte mal einer aus Dortmund zu mir: „Muss furchtbar sein, wenn man früher ein TV-Star war, und sich jetzt auf dem Camping-Platz begaffen lassen muss.“

TOP: War es so furchtbar?

Wigald Boning: Nö, gar nicht.

TOP: Und wie war es?

Wigald Boning: Eine herrliche Erfahrung. Ich probiere ja gern immer mal was Neues aus. Wobei ich ja so normal weitergelebt habe, wie möglich.

TOP: Es war also keine Auszeit zur Selbstfindung, oder so?

Wigald Boning: Nein, gar nicht. Eher eine sportliche Erfah­rung mit viele Lernwert. Und plötzlich lernt man Dinge  zu lieben, die man sonst gar nicht bemerkt im Leben. Viele Geräu­sche der Natur kann man viel intensiver wahrnehmen, etwa der Regen auf dem Zelt­ – das hat etwas herrlich Beruhigendes. Oder auch die Reduzierung des Lebens auf das Wesentliche.

TOP: Wie erledigt man dann all die Dinge, die so zum Alltag gehören? Hygiene und dergleichen.

Wigald Boning: Da gibt es eigentlich genug und einige unerwartete Orte. Katasterämter etwa, die gute alte Bahn, Friedhöfe und dergleichen. Da lernt man Plätze und Menschen kennen, die man sonst nie trifft.

TOP: Wie haben Ihre Auftraggeber reagiert? Oder haben Sie zumindest eine berufliche Auszeit genommen?

Wigald Boning: Nein, gar nicht. Wenn ich unterwegs war, hab ich mir statt eines Hotelzimmers einen Campingplatz oder einen Ort zum Aufstellen des Zeltes buchen lassen. Das ging super.

TOP: Warum nun das Buch darüber?

Wigald Boning: Warum nicht? Schreiben ist ja eine Leiden­schaft von mir, beinahe meine erste. Es ist ja auch nicht mein erstes Buch. Meine Lektorin vom Rowohlt-Verlag meinte, das könnte doch ein spannendes Thema sein, zumal ich ja gern das Humorige mit dem Lernenwollen verbinde.

TOP: An wen richtet sich das Buch?

Wigald Boning: Es ist ein Buch für Menschen, die Freude am Selbstversuch haben. Ein Selbstexperiment, oder wie Reinhold Messner sagen würde, etwas für Grenzgänger.

TOP: Was war Ihre größte Lektion aus der Erfahrung?

Wigald Boning: Zum einen, wie schnell man sich an vieles gewöhnt. Ich habe gelernt, wie wenig ich wirklich brauche. Alles musste in einen großen Rucksack passen ­– ich gebe zu, in den größten, den ich auftreiben konnte. Eigentlich wollte ich auch eine Querflöte mitnehmen, weil Musik ja alles schöner macht, doch die passte nicht rein. Aber die eigene Stimme passt immer, und das ist ein Instrument, dass jeder bei sich hat. Außerdem lernt man auszusortieren. Und bis zu einem gewissen Grad habe ich gelernt, Ordnung zu halten, was mich aber nicht davon abhielt, regelmäßig mit der Stirnlampe den Rucksack nach einer Kleinigkeit zu durchsuchen.

TOP: Der alltägliche Wahnsinn im Ruck­sack sozusagen?

Wigald Boning: So ungefähr.

TOP: Und wann hatten Sie genug?

Wigald Boning: Nach 204 Nächten, um genau zu sein. Ich war für einen Auftrag in Tschernobyl und zwar in der Kernzone, da durfte und wollte ich einfach nicht zelten. Danach war der Zauber verflogen. Ich hab mich dann irgendwie auch wieder auf mein Bett gefreut. Aber es war ganz anders, als gedacht. Der Weg zurück war ähnlich aufregend. Ich brauchte fast vier Wochen, um mich wieder im eigenen Bett wohl zu fühlen.

TOP: Na dann Gute Nacht und vielen Dank für das Gespräch!

JR n

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