PROFESSOR BERNHARDI am Staatsschauspiel Dresden

Arthur Schnitzlers Drama Professor Bernhardi in einer Inszenierung von Daniela Löffner am Staatsschauspiel Dresden.
Was bleibt von der Wahrheit?
Das 1912 in Berlin uraufgeführte systemkritische Drama Professor Bernhardi des Wiener Arztes, Erzählers und Dramatikers Arthur Schnitzler (* 15. Mai 1862 in Wien, Kaisertum Österreich; † 21. Oktober 1931 in Wien, Republik Österreich) hat nichts von seiner Aktualität verloren.
Philomena Bejer, aufgrund einer unsachgemäß durchgeführten Abtreibung im Endstadium einer tödlichen Blutvergiftung, glaubt aufgrund der starken Medikamente im Delirium der letzten Stunden ihres Lebens, völlig geheilt zu sein. Dem von einer Krankenschwester herbeigerufenen katholischen Pfarrer verweigert der Internist und Klinikleiter Professor Bernhardi den Zutritt zum Zimmer der Sterbenden, um die Illusion der Frau nicht zu zerstören. Bernhardi hält es für seine ärztlich-humanistische Pflicht, der jungen Frau ein „glückliches Sterben” zu ermöglichen. Der Pfarrer hingegen besteht auf seinem religiösem Auftrag als Seelsorger. Während des Streits auf dem Flur verstirbt die Patientin.
Die Demontage beginnt
Der bis dahin geschätzte jüdischstämmige Mediziner sieht sich nach diesem unglücklichem Vorfall Vorwürfen und Anfeindungen – auch aus dem Kollegenkreis – ausgesetzt. Ein bewusster Angriff auf die Gefühle von Christen wird ihm unterstellt. Es wird ein Skandal heraufbeschworen, der Stiftungsrat der Privatklinik tritt zurück, der Fortbestand des Spitals Elisabethinum gerät in Gefahr. Karrieristen bringen sich in Stellung, um die Posten von Bernhardi und einiger zu ihm haltender Kollegen zu übernehmen.

v.l.: Raiko Küster (Professor Bernhardi),
Dominik Maringer (Dr. Ebenwald) / Foto: © Sebastian Hoppe
Einen ihm zur Rettung seiner Position zugetragenen Handel um die Besetzung einer Stelle im Institut zugunsten eines deutschnationalen Mediziners anstatt eines besser qualifizierten jüdischen Arztes schlägt er entrüstet aus. Bernhardi, sich nach dem Vorfall mit dem Pfarrer keiner Schuld bewusst und nicht bereit, sich förmlich zu entschuldigen, nur um Schaden von der Klinik abzuwenden, wird zum Rücktritt von der Krankenhausleitung gezwungen.
In der Folge wird von rechten Populisten im Parlament ein Strafverfahren gegen den Klinikgründer in Gang gebracht. Religion wird dabei von den Nationalisten systematisch für die eigenen Machtbestrebungen instrumentalisiert. Im Prozess behauptet eine Krankenschwester, Bernhardi hätte den Pfarrer körperlich angegriffen. Die Aussagen beteiligter Kollegen bleiben wegen angeblicher jüdischer Solidarität ohne eine positive Wirkung. Die Gesundheitsministerin, eine Jugendfreundin Bernhardis, fällt dem Angeklagten in den Rücken, um ihre eigene Position nicht zu gefährden. Bernhardi wird die Ausübung seines Berufes verboten, er wird wegen Religionsstörung zu zwei Monaten Kerker verurteilt.

v.l: Philipp Grimm (Dr. Oskar Bernhardi, Sohn des Klinikleiters), Raiko Küster (Dr. Bernhardi), Philipp Lux (Pfarrer Franz Reder) / Foto: © Sebastian Hoppe
Nach dem Prozess besucht Pfarrer Reder den Verurteilten, doch auch nach dem Versuch eines klärenden Gesprächs stehen sich beide aufgrund ihrer Differenzen unversöhnlich gegenüber.
Nach der Freilassung Bernhardis aus dem Gefängnis versuchen linke Sympathisanten, den Arzt für sich zu gewinnen und seine Geschichte für ihre Zwecke auszuschlachten.
Der ernüchterte Bernhardi verzichtet bewusst auf einen öffentlichen Kampf um Gerechtigkeit und seine Rehabilitierung. In einem Gespräch mit der Gesundheitsministerin Dr. Flint konfrontiert er sie mit ihren ausschließlich der eigenen Laufbahn dienenden Entscheidungen.
Einblick von zwei Seiten
Die Regisseurin Danila Löffner gliedert den Saal des Schauspielhauses in ungewohnter Weise. Das Publikum sitzt neben den bekannten Plätzen auch im Bereich der Hinterbühne. Auf einem eng bemessenem Bereich dazwischen spielt sich das Geschehen ab. Das Bühnenbild (Matthias Werner) ist zurückhaltend, lediglich Wasser- und Desinfektionsmittelspender sowie eine spärliche Möblierung unter dem kalten Licht von Neonröhren schaffen die Klinikatmosphäre. Die interessante Zuschauerplatzierung schafft auch im bildlichen Sinne verschiedene Einblicke in die vielschichtige Handlung voller Freund- und Feindschaften, Konkurrenz, Ressentiments, Missgunst und Antisemitismus.
Die Darsteller überzeugen. Raiko Küster als Professor Bernhardi ist ein selbstsicherer Mediziner, aus der Sicht seines Sohnes manchmal an der Grenze zur Sturheit, der nicht bereit ist, sich auf die Winkelzüge der verschiedenen Interessengruppen einzustellen. Großartig ist das gesamte Ensemble in der Szene des völlig enthemmten Frühlingsfestes, wüst verkleidet feiernd und alle Konventionen hinter sich lassend. Besonders Philipp Lux zeichnet sich dort als großartig komischer Tänzer aus. Auch sonst ist Lux als Pfarrer Franz Reder eine der wichtigen Säulen dieser Inszenierung. Sehenswert ist Christine Hoppe in der Rolle der schwer durchschaubaren Dr. Adler. Dominik Maringer zeigt glaubhaft Dr. Ebenwald, den Gegenspieler Bernhardis, als Karrieristen mit dem unbedingten Ziel der Übernahme der Klinikleitung.
Die über drei Stunden dauernde Inszenierung (zuzüglich einer Pause) hat gelegentlich ihre Längen – ein Besuch ist trotzdem unbedingt empfehlenswert. So empfand es auch das Premierenpublikum, welches sehr ausdauernd applaudierte.
Nächste Termine: So., 24.09.2017, 19.00 Uhr / Sa., 30.09.2017, 19.30 Uhr / Di. 03.10.2017, 19.30 Uhr / Fr. 06.10.2017, 19.30 Uhr / Fr., 20.10.2017, 19.30 Uhr / Do., 26.10.2017, 19.30 Uhr / Di., 28.11.2017, 19.30 Uhr / Mo., 11.12.2017, 19.30 Uhr
Spielplan und Karten unter www.staatsschauspiel-dresden.de