„Theater schafft Identität“

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Im Gespräch mit Joachim Klement, Intendant des Staatsschauspiels Dresden

Dresdner Schauspielfreunde hoffen, dass einem Anfang tatsächlich immer ein Zauber innewohnt. Die Intendanz von Joachim Klement am Staatschauspiel hat zwar offiziell gerade erst begonnen, doch die Spielzeit wurde natürlich schon lange im Vorhinein geplant. Nun sind die ersten Stücke über die Bühne gegangen, die ersten Premierengläser geleert, die ersten Kritiken geschrieben. Schon vor dem offiziellen Amtsantritt sprach das Top Magazin Dresden mit dem geborenen Düsseldorfer über die erste Spielzeit, lokale Zustände, den Auftrag des Theaters und Mitbringsel von seiner vorherigen Station als Generalintendant am Staatstheater Braunschweig.

Herzlich willkommen in Dresden. Wie fühlen Sie sich in der Stadt?
Joachim Klement: Dresden ist eine sehr lebenswerte Stadt, die natürlich über einen großen kulturellen Reichtum verfügt. Als gebürtigem Düsseldorfer sagt mir auch die Prägung Dresdens als Flusslandschaft ausgesprochen zu. Außerdem gefällt mir, dass in der Region Wein wächst. Zumal in diesen Gegenden in der Regel auch gut gekocht wird, was im Falle Dresden ebenfalls zutrifft. Zudem mag ich die Ambivalenz der Stadt mit dem barocken Innenstadtkern und dem Kreativzentrum auf der anderen Elbseite. Wenn sich dieses Verhältnis nicht als Gegen­satz, sondern als etwas Gemeinsames begreifen lässt, birgt das ein großes Potenzial.

Kann das Staatsschauspiel zu diesem Gemeinsam­keits­gefühl beitragen?
Absolut. Schon deshalb, weil wir in der se­gens­reichen Lage sind, ein Haus hier und eines auf der anderen Elbseite bespielen zu können.

Kann die Dresdner Mentalität des Bürgerstolzes diesem Vorhaben entgegenstehen. Sie steht ja in dem Ruf, neuen Ein­flüssen gegenüber eher skeptisch zu sein?
Man muss schon sagen, dass sich das Selbstbewusstsein dieser Stadt stark auf die Historie zu beziehen scheint. Wer allerdings nicht nach vorn blickt, hat keine Zukunft. Städte als pure Museen werden nicht überleben. Attraktivität schafft man nicht, durch bloße Anreicherung von Kultur in Städten, sondern durch die Lebendigkeit, mit der diese Kultur ins Heute übersetzt wird.

Die Spielzeiteröffnung fiel in diesem Jahr auf ein Wo­chen­ende mit der Bundestagswahl zusammen, ein Ereignis, das mit dem Format „Die Wahlokratie: Fin de Partie“ vom andcompany&Co.-Kollektiv direkt referenziert wurde. Darin traten Bürger, die wählen dürfen, aber ihr Wahlrecht nicht ausüben, mit Personen in Kontakt, die gerne wählen wollen, aber nicht dürfen. Diese Bezugnahme ist sicher kein reiner Zufall?
Tatsächlich wussten wir nicht, wann die Wahl stattfinden würde, als wir anfingen, den Spielplan zu entwerfen. Aber natürlich gibt es einen sehr deutlichen inhaltlichen Bezug. Nicht umsonst fand das Stück in der Drei­königs­kirche statt, in der die Verfassung des Freistaates Sachsen vor 25 Jahren verabschiedet wurde. Das hat durchaus Symbol­charakter, der nicht einfach nur herbeizitiert, sondern sehr ernst genommen wird. Dass das Thema die Menschen bewegt, hat man ja zuletzt an der Diskussion um die „VoteBuddy“-Kampagne gesehen, die auf ähnliche Mechanismen wie unsere „Wahlokratie“ setzte und von andcompany&Co. zusammen mit PENG! aus Berlin im Vorfeld unserer Aufführung auf den Weg gebracht wurde. In erster Linie ist das Projekt ja ein spielerisches Format, um diesen Austausch in Gang zu bringen.

Inwieweit stehen die ersten Premieren der Spielzeit unter der Prämisse, aktuelle gesellschaftliche Zustände zu spiegeln?
Bei „Professor Bernhardi“ geht es um einen vermeintlichen Skandal, der als Kriminal- genauso funktioniert wie als großartiges Gesellschaftsstück. „Der Weg ins Leben“ zeigt, wie sich gesellschaftliche Utopien in ihr Gegenteil verkehren, während „Hexenjagd“ die interessengeleitete Ins­tru­mentalisie­rung von Religion thematisiert. Die Gegen­stände, die in diesen ersten Premieren verhandelt werden, lassen sich durchaus in die Gegenwart übersetzen. Insofern gibt es Bezüge ins Jetzt. Die Themen werden von uns gewissermaßen versinnbildlicht.

Das Theater hat also immer den Auftrag, Beiträge für gesellschaftliche Debatten zu liefern?
Ich sehe uns immer noch in der Tradition der Aufklärung. Das ist schließlich das geistige Rüstzeug, mit dem die Bürger die Repräsentationsräume adeliger Herkunft erobert haben. Damit kann von Märkten unabhängige Kunst produziert werden, mit der ein Reflex auf gesellschaftliche Zu­stände erzeugt wird. In Theatern wird Identität gebildet, oft auch dadurch, dass diese zunächst in Frage gestellt wird.

Welche Rolle spielt Vielfalt der Theatergattungen an Ihrem Haus?
Das sieht man ja schon, wenn man sich den Spielplan anschaut. Die Bandbreite reicht von großen Gesell­schaftsstücken mit großem Ensemble über eine Komödie oder eine Goethe-Adaption der Bürgerbühne bis hin zu experimentellen Formaten wie die „Wahlokratie“. Ich finde, dass ein Haus in dieser Größenordnung eine große ästhetische Vielfalt mit entschiedenen Handschriften anbieten muss. Damit die Zuschauer das Gefühl haben, über Zugang zu allen Formen zeitgenössischen Theaters zu verfügen.

Sie haben sich ganz deutlich für den Erhalt der Bürgerbühne ausgesprochen.
Ja, das ist eine tolle Tradition, die wir weiterentwickeln werden. Ich freue mich sehr auf die Zusammen­arbeit mit der Leiterin Miriam Tscholl, weil ich finde, dass sich die Bürgerbühne beispielhaft entwickelt hat. Da arbeiten Laien unter professionellen Bedingungen, wobei auch immer die Frage im Raum steht, was für Ergebnisse erzielt werden. Wird das Theater zum soziokulturellen Raum? Entstehen ästhetische Ergebnisse, die man in kulturellen Zusammenhängen auch wertschätzen kann? Ich denke, es ist beides der Fall. Mein Vorgänger Wilfried Schulz hat das ja mal als „warmen Strom aus der Stadt ins Theater“ bezeichnet. Die Menschen nutzen das Angebot, ihre eigene Bühne in Beschlag zu nehmen.

Was bringen Sie aus Braunschweig mit nach Dresden?
Konzeptionell wollen wir in Dresden wie in meinen Braunschweiger Jahren verstärkt auf Vermittlung setzen. Wir wollen den Menschen, den Zugang zum Theater erleichtern. Dazu streben wir eine personelle Verstärkung in der Theaterpädagogik an. Dann führen wir mit „Minna von Barnhelm“ und „Judas“ zwei erfolgreiche Braunschweiger Inszenierungen erstmals in Dresden auf. Froh bin ich auch darüber, dass „Fast Forward“, das europäische Festival für junge Regie, im nun siebten Jahr nach Dresden kommt. Das ist sicher auch im Rahmen der Kulturhauptstadtbewerbung ein starkes Signal. Immerhin wird die Stadt dann für einige Tage zum Mittelpunkt der jungen Theaterkunst in Europa.

Spielplan, Karten etc. unter www.staatsschauspiel-dresden.de

Interview: Philipp Demankowski

 

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