Künstler mit Weitblick

Nun also unter Wasser. Nachdem Yadegar Asisi die Leipziger Betrachter seiner Panoramabilder in den Himalaya, ins antike Rom, an den Amazonas, in die Wirren der Leipziger Völkerschlacht und ins Great Barrier Reef entführte, steht nun die Titanic im Mittelpunkt. Im Maßstab 1:1 führt das Rundbild auf etwa 3.500 Quadratmetern zum gesunkenen Wrack des ikonischen Passagierschiffes in 3.800 Metern Meerestiefe im Nordatlantik. Eine begleitende Ausstellung, die die Ingenieurskünste der Industrialisierung verdeutlicht, führt in die Thematik ein. Außerdem haben die Leipziger anderem die Möglichkeit eine 1:1-Rekonstruktion des riesigen Titanic-Bugs zu sehen.

Auch in Dresden gibt es mit im Panometer seit 2006 eine Spielwiese für Yadegar Asisi’s bildgewaltige Projekte. Aktuell wird das Bild „Dresden 1945“ gezeigt, das die Zerstörung Dresdens vom Rathausturm aus zeigt. Um auch die Innenstadt-Touristen mit der Attraktion vertraut zu machen, gibt es seit einem halben Jahr direkt am Neumarkt einen Infopoint. Leider übersehen viele Besucher der Stadt das Panometer noch, zumal der Standort in Dresden-Reick nicht gerade zentral liegt. In Wittenberg wiederum steht seit letztem Jahr das Rundbild „Luther 1517“, das Yadegar Asisi für das Reformationsjubiläum angefertigt wurde. Genug Themen für ein ausführliches Gespräch also. Top Magazin traf sich mit dem geborenen Wiener, um über die emotionale Kraft der Panoramabilder und über seine Motivwahl zu sprechen.

Top: Warum haben Sie sich für die Titanic als Thema für eines der nächsten Panoramen entschieden?

Yadegar Asisi: Die Titanic ist fest in unserem kollektiven Gedächtnis verankert, was in einem gewissen Sinne eigentümlich ist, denn es gibt ja keine Zeitzeugen mehr. Aber durch die unzähligen Verfilmungen und Buchadaptionen ist die Titanic fast schon zu einem geschichtlichen Mythos geworden. Ich konnte also voraussetzen, dass die Besucher wissen, was passiert ist. Sie sind vertraut mit den Geschehnissen. Ich musste es also nicht mehr erzählen. Deswegen habe ich in Leipzig versucht, die Menschen auf einer anderen Ebene anzusprechen, sie emotional zu berühren. Betrachtet man die Reaktionen, die wir bisher erhalten haben, scheint uns das gelungen zu sein.

Top: Was muss ein Projekt generell mitbringen, damit es sie für Sie interessant ist.

Yadegar Asisi: Es ist nicht so, dass ich konkret nach Themen für die Panoramen suche. Man kann auch nicht alles konzeptionell machen. Es sind eher Motive, die mich interessieren und die immer wieder in meinem Kopf herumschwirren. Ich habe mich vor vielen Jahren in Klausur begeben. Dabei habe ich festgestellt, dass bei mir so etwas wie eine innere Linie existiert, die von verschiedenen Themen gestreift wird. Dabei wurde deutlich, dass es zwischen den Projekten durchaus Berührungspunkte gibt. Auf den ersten Blick hat beispielsweise Luther wenig mit der Titanic gemein. Doch betrachtet man das Verhältnis der Euphorie, die bei beiden Phänomenen vorherrschte, und die Lehren, die daraus gezogen wurden – gerade auch aus heutiger Sicht – entdeckt man durchaus Gemeinsamkeiten.

Top: Wie meinen Sie das?

Yadegar Asisi: In diesem Zusammenhang gewinnt ein Begriff an Bedeutung, mit dem ich mich auch in meiner Arbeit als Architekt immer wieder beschäftige: die Moderne. Die Moderne ist fast immer positiv besetzt, denn nicht nur unterschwellig wird der Begriff mit Fortschritt assoziiert. Dabei muss jeder Schritt, den wir tun, mit großer Aufmerksamkeit gegangen werden. Wenn man etwas schafft, sollte man kurz innehalten und trotzgrenzenloser Euphorie nicht nur das Positive betrachten, sondern auch eventuelle negative Seiten reflektieren. Doch diese Kapazitäten haben wir meist nicht. Wir lassen uns von unserer Euphorie anstecken, wachen aber irgendwann auf und fragen uns, was wir denn getan haben. Blinde Zukunftsfreudigkeit kann schlimme Folgen haben. Für diesen Mangel an Reflektion ist die Titanic ein gutes Beispiel. Aber wir finden ihn genauso in Erscheinungsformen unserer heutigen Zeit wieder. Ich bin froh über die Erleichterungen, die mir das Smartphone bietet, bewahre mir aber die Skepsis im Umgang damit.

Top: Ist das auch eine Generationenfrage?

Yadegar Asisi: In gewisser Hinsicht schon. Als junger Mensch sprüht man vor Enthusiasmus, steckt voller Ideen. Was verständlich ist und bis zu einem gewissen Grad auch mitreißend. Die Welt steht einem offen. Doch vergisst man vor lauter Eifer schon mal die Sorgsamkeit. Dabei tut es uns allen gut, ein wenig Demut zu zeigen. Verwechselte ich den Begriff früher noch mit Hörigkeit, interpretier ich ihn heute viel eher als Dankbarkeit.

Top: Auf welches Quellenmaterial haben sie für die Titanic zurückgegriffen?

Yadegar Asisi: Wir waren in der glücklichen Lage, dass sehr viel Quellenmaterial vorliegt. Das Wrack der Titanic ist in allen erdenklichen Lagen vermessen und dokumentiert wurden. Ich selber konnte sogar mal einen Tauchgang zum Wrack machen und mir ein Bild machen. Für die Recherche und die Realisierung eines 3D-Modells haben wir uns Unterstützung von Spezialist Dominik Tezyk geholt, der sich wiederum von verschiedenen Titanic-Experten beraten ließ. Günter Bäbler vom Titanic-Verein Schweiz etwa gab wichtige Hinweise und stellte uns sogar ein originales Dokument von einem Passagier der Titanic zur Verfügung.

Top: Wie schätzen Sie die Bedeutung des Mediums Panoramabild heute ein?

Yadegar Asisi: Meiner Meinung hat das Medium Panoramabild im 20. Jahrhundert zu Unrecht an Bedeutung verloren. Sicherlich: Im 19. Jahrhundert, als das Medium besonders populär war, dominierten historische Ereignisse, die von externen Auftraggebern bestellt wurden. Oft waren es Schlachtengemälde, bei deren Gestaltung der Künstler kein Mitspracherecht hat. Heute bin ich dagegen in der glücklichen Position selber zu bestimmen, was ich darstellen will. Dabei möchte ich im Idealfall, dass die Menschen mit einer emotionalen Erfahrung eine Idee von der Wirklichkeit gewinnen. In jedem Fall würde man einen Fehler begehen, wenn man die Wirkung, die vom Panoramabild ausgeht, unterschätzt. Es ist definitiv ein Medium unserer Zeit, das über eine große emotionale Kraft verfügt. Wir sehen das ja ständig bei unseren Panoramen. Die Besucher sind quer durch alle Altersschichten hinweg tief bewegt. Mitunter fließen sogar Tränen.

Top: Welche Rolle spielt die Position des Betrachters?

Yadegar Asisi: Die emotionale Tiefe wird auch durch die Ruhe, die beim Betrachten vorherrscht, ermöglicht. In unseren hektischen Zeiten, braucht es die Möglichkeit der Entschleunigung. Wir können Informationen ja teilweise gar nicht mehr verarbeiten. Das Medium hat außerdem den Vorteil, dass der Betrachter selber entscheiden kann, aus welchen Details er seine Aufmerksamkeit lenkt. Durch diese Freiheit des Sehens ist er sein eigener Regisseur.

Top: Mit welchen Projekten beschäftigen Sie sich als nächstes?

Yadegar Asisi: Insgesamt sind es vier Projekte, die mehr oder weniger parallel laufen und die ähnlich wie bei der Titanic alle in unserem kollektiven Gedächtnis verwurzelt sind. Da wäre zum einen ein Projekt zum 11. September. Dabei geht es mir um das Verbindende, das die Attacke ausgelöst hat. Jeder weiß, was er an dem Tag getan und wo er sich aufgehalten hat. Auch wenn es paradox scheint, eint uns dieses schreckliche Ereignis. Dann gibt es ein sehr persönliches Projekt, das wir in Referenz zu einer verstorbenen Mitarbeiterin und Freundin von mir entwickelt haben. Bei „Ein Paradies auf Erden. Carola’s Garten“ steht das Wunder der Natur im Vordergrund. Ein großes Thema ist auch die Antarktis, wo ich im letzten Jahr drei Wochen zur Recherche verbracht habe. Das vierte Projekt schließlich ist etwas freier in der Konzeption und beschäftigt sich mit dem Impressionismus. Es gibt also viel zu tun. Zum Glück habe ich ein sehr verlässliches Team, das Recherche- und Vorarbeiten betreibt und inzwischen auch schon über 20 Mitarbeiter umfasst.

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