Rauschhafte Rachefantasie
Regisseur Simon Solberg inszeniert „Der Graf von Monte Christo“ nach dem Roman von Alexandre Dumas am Dresdner Schauspielhaus als stürmischen Parforceritt.
Dass Rache entweder süß oder gar Blutwurst ist, kann man nach der Lektüre des Grafen von Monte Christo nicht unbedingt behaupten. Denn Vergeltungen haben auch in der Inszenierung von Regisseur Simon Solberg immer Konsequenzen. Hier sogar mit aller Wucht. Leider läuft der Zuschauer Gefahr, diese Einsicht zu verpassen, angesichts einer alles mit sich reißenden Bilderflut. Dabei geht die Aufführung zunächst recht verhalten los. Titelheld Edmond Dantès sitzt in einem Container, umringt von den zunächst mit überdimensionierten Puppenköpfen ausgestatteten Ensemble. Als die derart dargestellte „Pharao“, das Schiff des Reeders Morrel, schließlich in Marseille anlegt, beginnt eine Achterbahnfahrt, die Alexandre Dumas‘ Abenteuerroman zwischen dem Jetzt und dem Gestern pendeln lässt. Alle haben wahnsinnig viel zu tun in diesem Stück, hetzen von einem Ende der Bühne zum anderen. Ständig werden Kulissen verschoben, werden neue Stilmittel eingeführt. Mal wird eine Kamera im Schiffscontainer bemüht, dann wieder ein Megaphon.
Irrwitziges Tempo
An den Bühnenrändern darf ein zusätzliches visuelles Element bestaunt werden. Portraits, Zeitungsausschnitte und auf die Handlung abgestimmte Fotos werden projiziert. Auch diese werden ständig gewechselt. Viele Zuschauer bemerken bestimmt gar nicht, dass da Adolf Hitler in einer Reihe mit Edward Snowden auftaucht. Am emsigsten auf der Bühne ist wohl Musiker Sven Kaiser, der sich am rechten Rand mit Synthesizer und Piano munter durch die Popgeschichte zitiert. Da darf beispielsweise auch das Intro des Achtziger-Jahre-Straßenfegers „A-Team“ nicht fehlen. Momente der Reflektion gibt es dagegen nur vereinzelt. Diese sind zwar gut inszeniert, verfehlen ihre Wirkung aber durch das Flackern, das sie umrahmt. Das Ensemble gibt sein Bestes, um mit dem teils irrwitzigen Tempo der Inszenierung Schritt zu halten. Herausragend ist dabei Torsten Ranft in der Titelrolle, der die Zerrissenheit seiner Figur jederzeit spürbar hält. Da die anderen Schauspieler allerdings durchweg mehrere Rollen besetzen, sind sie ständig von neuem darum bemüht, ihren Charakteren Präsenz zu verleihen.
Rückkehr des Zorns
Den Roman von Alexandre Dumas auf die Bühne zu bringen, ist natürlich ein kolossaler Auftrag und aller Ehren wert. Für zwei Stunden Theater bringt er enorm viel Handlung mit sich. Auch dadurch kommt die Rauschhaftigkeit der Inszenierung zustande. Dass das Stück aber mit den Bezügen zeitgenössischer Probleme um sich wirft, nur um im nächsten Moment wieder ins 19. Jahrhundert zurückzukehren, erschwert allerdings die Absicht, den Rachegedanken bloßzustellen. Simon Solberg versucht, Peter Sloterdijks Überlegungen zur Rückkehr des Zorns zurechtzurücken. Und tatsächlich zieht der Philosoph den Grafen von Monte Christo zu Rate, um seine Gedanken zu illustrieren. Doch sind die Bezüge oft zu zahlreich, und an manchen Stellen schlichtweg plump, um eine nachhallende Wirkung zu erzielen. Das ist Theater, das Spaß macht, obwohl dies vielleicht gar nicht beabsichtigt war. Es ist aber auch Theater, das den Grad zwischen Effekthascherei und effektiver Inszenierung mitunter überschreitet. Beim Zuschauer kann das dann durchaus Überforderung bewirken.