Ein Leben für die Kunst

Christo mit Linda und Guy Pieters / Foto: © Guy Pieters Gallery
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Im Gespräch mit dem internationalen Kunsthändler Guy Pieters geht es um seine Kunstleiden­schaft, die Arbeit als Galerist, die lange enge Freundschaft zu Christo und Jeanne-Claude sowie das letzte Werk des wohl berühmtesten Künstlerehepaars des 20. Jahrhunderts – die Verhüllung des Pariser Triumphbogens im Herbst 2021. Auch Charity ist Guy Pieters eine Herzens­an­gelegen­heit. Wenn es die Zeit erlaubt, wäre er gerne 2022 bei einer HOPE Cape Town Soiree dabei.

An Guy Pieters Wiege im ländlichen belgisch-flämischen Sint-Martens-Latem standen wohl die vielen Künstler des außergewöhnlichen Malerdorfes. Top Magazin traf den bekannten Kunsthändler in seiner riesigen roten Backsteinfactory, die romantisch unter alten Bäumen mitten im weitläufigen Latem thront. Das Dorf liegt nur wenige Kilometer von Gent entfernt. Hier beherbergt das Ehepaar Pieters unzählige Schätze berühmter moderner Künstler sowie die seit Jahrzehnten selbst verlegten Kunst­bücher. Guy und Linda Pieters haben ihr Leben der Kunst verschrieben. Selbst einige Fantasiegemälde der letztlich vom belgischen Königs­haus anerkannten Prinzessin Delphine de Saxe-Co­bourg (von Sachsen-Coburg) befinden sich in der Factory. Sie erinnern an verstreute, bunte Bonbons auf weißem Un­tergrund.

Nach einem fast dreistündigen, lehrreichen Rundgang durch die umfunktionierten gewaltigen Fabrikhallen, wo wir u.a. Werke von Niki de St. Phalle, Yves Klein, César, Jean-Michel Folon, Tinguely, Arman und vieler berühmter Pop-Art-Künst­ler entdeckten, waren wir völlig überwältigt und erschöpft.

Somit vereinbarten wir mit Guy und Linda Pieters ein weiteres Treffen auf der Pariser Avenue des Champs-Elysées am Tag der feierlichen Eröffnung des letzten großen Christo Triumphes: Dem verhüllten Triumph­bogen am Sternenplatz der französischen Hauptstadt. Das aufsehenerregende Kunst­ereignis mach­te im letzten Herbst, als Schwerpunkt aller verhüllten Christo Werke, auch nach seinem und Jeanne-Claudes Tod rund um die Welt Schlagzeilen.

Foto: © laurencesoulez – stock.adobe.com

Leider konnte das Künst­ler­ehepaar sein letztes Werk nicht miterleben. Jeanne-Claude starb 2009 nach mehr als 50-jährigem, gemeinsamen Schaffen, Christo elf Jahre später in seinem letzten Zuhause in New York. Eigentlich hatte Christo die Verhüllung des Triumph­bogens für das Jahr 2020 geplant. Doch die Corona-Pandemie verhinderte dies. Laut Christo sollte dieses Verpackungs­kunst­werk sein Letztes sein. Bereits lange zuvor hatte das berühmte Ehepaar internationales Aufsehen erregt, u.a. 1963 mit der Venus in der Römervilla Borghèse, 1985 mit der Pariser Brücke Pont Neuf über der Seine, 1995 mit dem Berliner Reichstag – der Christo besonders am Herzen lag, da sich da im Nach­kriegsweltkonflikt Ost und West die Hand reichten ­– und 1999 mit der Mauer „The Wall–13,000 Oil Barrels” im Gasometer Oberhausen. In Paris, welches Jeanne-Claude so liebte, wollte Chrsto ihren Wunsch realisieren. Denn noch zu Lebzeiten plante Jeanne-Claude, den Triumphbogen, das Herzstück von Paris, von wo aus sternenförmig alle großen Avenues auslaufen, zu verhüllen. Das letzte, große Christo-Kunstwerk sollte eine Hommage an seine Frau sein.

Da standen wir im brodelnden Pariser Stadtverkehr, vor uns der für die kommenden Tage verhüllte Arc de Triomphe, neben uns Guy Pieters, der all die Jahre mit Christo und Jeanne-Claude geschäftlich und privat freundschaftlich verbunden war.

Guy Pieters / Foto: © Guy Pieters Gallery

Herr Pieters, bitte verraten Sie uns, wann das Kunst­interesse Sie packte?
Bereits als kleiner Junge faszinierten mich Ge­mälde. Und davon gab es im Malerdorf Latem, wo ich geboren wurde, reichlich. 1875 griff der damalige Bürger­meis­ter Albijn Van den Abeele zu Pinsel und Farben, um die romantische Landschaft auf Leinwand zu bannen. Dank seiner gelungenen Gemälde machte er andere Maler auf sein Dorf aufmerksam. Die Schönheit der Natur, die den Ort umgibt, der von Schilf eingerahmte kleine Fluss, der sich durch Latem schlägelt und bei Mondschein silbern glitzert, sowie das außergewöhnliche Licht über der flachen Landschaft faszinierten die Maler. Nach und nach siedelte sich einer nach dem anderen dort an. Somit wurde Latem, wie auch das französische Barbizon zum Malerdorf. Aus der benachbarten, florierenden Handelsstadt Gent kamen solvente Käufer.

Wir verließen das Getöse der Pariser Prachtstraße, um das Interview in den Büros von „EstWest films” bei Wolfram Hissen fortzusetzen, wo einige Filme über Christo und Jeanne-Claude für den TV-Kanal Arte entstanden.

Guy Pieters: Mein Vater war in Latem ein viel beschäftigter Fassadenanstreicher. Meine Mutter besaß im Dorf einen Krä­mer­laden. Als kleiner Bub richtete ich mir in einer Ladenecke meine erste Minigalerie ein, wo ich dann auch ein kleines Bild nach dem anderen vorstellte. Ohne dass ich es zu dieser Zeit ahnte, war es der Startschuss zu meiner künftigen Karriere. Heute besitze ich im belgischen Seebad Knokke zwei Galerien und eine weitere in St. Tropez am berühmten Place des Lices, wo die Ein­hei­mi­schen gern Boule spielen und die typischen Cafés und Bistros rundherum unzählige Feriengäste anlocken. Dort haben wir auch unsere Fondation Linda und Guy Pieters gegründet.

Von April bis Juli 2021, noch vor dem Start der Verhüllung des Triumphbogens, zeigten wir in St. Tropez die Ausstellung „Christo und Jeanne-Claude. L’Arc de Triomphe. Wrapped (Project for Paris) Place de l’Etoile-Charles de Gaulle”.

In unserem privaten Park im Côte d’Azur-Fischerdorf stehen u.a. Skulpturen von César (Le Pouce – der Daumen), Folon (l’Envol – der Höhenflug), Robert Indiana (Love), oder auch von Jim Dine (Die Venus).

Skulptur „Le Pouce” (Der Daumen) von César Baldaccini (1921-1998) im privaten Park von Guy Pieters in Saint Tropez. / Foto: © Guy Pieters Gallery
Skulptur „Die Venus” von Jim Dine (geb. am 16. Juni 1935) im privaten Park von Guy Pieters in Saint Tropez. / Foto: © Guy Pieters Gallery

Wie Sie erwähnten, arbeitet Ihre Frau mit Ihnen gemeinsam im Kunsthandel.
Linda und ich ergänzen uns perfekt. Wir beide lieben die Kunst. Gemeinsam entdecken wir neue Talente. Auch Linda hat einen ausgeprägten Spürsinn für Newcomer. Dies ist nicht jedem gegeben.

Meine Frau wurde in Waarschoot, unweit von Latem geboren. 1978 lernten wir uns bei einem Tennismatch in meinem Dorf kennen. Bis heute hat unsere Liebe nichts an Zauber verloren. Wir sind so glücklich wie am ersten Tag. 1994 haben wir dann im Malerdorf geheiratet. Ein Leben ohne Linda ist für mich unvorstellbar.

Unsere Orte der Zweisamkeit sind Latem, Knokke und St. Tro­pez. Selbstverständlich sind alle drei Plätze auch wichtig für un­seren Kunsthandel. Bevor wir uns in St.Tropez niederließen, besaßen wir eine Galerie im südfranzösischen Promidorf St. Paul de Vence. Damals waren wir auch dabei, die berühmte Pariser Galeriestraße Matignon aus dem Dorn­rös­chen­schlaf zu wecken. 22 Monate stellten wir auf der Avenue aktuelle Künstler vor. Dadurch fand die Straße ihre Bestim­mung wieder.

Haben Sie Kinder?
Natalie ist unsere älteste Tochter. Danach kamen Sylvie und Gilles zur Welt. Zu unserem großen unüberwindbarem Leid verloren wir unseren 18-jährigen Sohn Gilles bei einem Autounfall. Bis heute sind wir darüber nicht hinweg.

Kommt es auch vor, dass Sie Künstler vorstellen, die von Ihren Schwerpunkten, dem Neuen Realismus und der Pop Art, abweichen?
Selten, aber es kann passieren. Zum Beispiel legte uns vor über zehn Jahren I.K.H.Prinzessin Léa von Belgien die Landschaftsaquarelle I.K.H. des Grafen von Paris ans Herz, die wir dann auch in unserer Galerie in Knokke einem breiten Publikum vorstellten. Zur Vernissage war selbstverständlich der Graf von Paris mit seiner Frau, der Herzogin Michaela von Frankreich, anwesend. Die Ausstellung war ein voller Erfolg. Bernard und Nicole Ricard aus der Pernod-Ricard-Dynastie kauften zwei der schönsten Aquarelle. Imsonsten gilt unser Interesse den Nachkriegs- und Pop-Art-Künstlern, wie zum Beispiel Pavlos und seinen Skulptures en Peinture (Skulpturen als Malerei), Bernar Venets Spiralenskulpturen, dem intensiven, makellosem Blau von Yves Klein, den fabelhaften, bunten, pummeligen Figuren von Niki de St. Phalle oder den Me­tall-Kompressionen des berühmten César, der auch den nach ihm benannten französischen Filmpreis als Gegenstück zur Hollywood-Trophäe Oscar schuf.

Skulptur „Love” von Robert Indiana (1928-2018) im privaten Park von Guy Pieters in Saint Tropez. / Foto: © Guy Pieters Gallery

Nicht zu vergessen Christo und Jeanne-Claude, die mit ihren spektakulären Verhüllungskunstwerken, den Entwürfen und Fragmenten dazu, das wohl berühmteste Künstlerehepaar des 20. Jahrhundert sind.
Das stimmt. Mit dem Ehepaar verband uns nicht nur das Kunstgeschäft, sondern auch eine aufrichtige Freund­schaft. Wir lernten Christo und seine Frau 1986 in ihrem New Yorker Atelier kennen. 1987 organisierten wir dann die erste Ausstellung mit Werken beider in unserer Galerie in Knokke.

Beide ließen sich ihr Leben lang nur mit ihren Vornamen anreden.
Guy Pieters: PR-strategisch genial, da leicht zu merken. Christos voller Name war Christo Wladimirow Jawaschew und Jeanne-Claudes Mädchenname de Guillebon.

Woher stammen sie und wie haben sie sich kennen gelernt? Was war ihr erstes gemeinsame Werk?
Christo und Jeanne-Claudes Erfolgsgeschichte ist lang. Ich werde versuchen, mich möglichst kurz zu fassen. Christo kam am 13. Juni 1935 in der bulgarischen Provinzstadt Gabrowo zur Welt. Sein Vater besaß eine gut gehende Textil­fabrik. 1944 wurde die Fabrik verstaatlicht und der Vater verhaftet. 1956 reiste Christo nach Prag, um Verwandte zu besuchen. Dort wurde er zum ersten Mal mit Werken von Picasso und Miro konfrontiert. Im Januar 1957 glückte ihm, versteckt in einem Güterwagen, die Flucht in den Westen nach Wien. Der eiserne Vorhang lag hinter ihm. Ebenfalls am 13. Juni 1935 wurde Jeanne-Claude als Tochter einer Militärsfamilie in Casablanca geboren. 1958 kam Christo nach Paris, wo er sich seinen Lebens­unter­halt mit Porträtmalerei verdiente. Jeanne-Claudes Vater, Gene­ral de Guillebon, beauftragte Christo, seine Frau zu porträtieren. Dabei lernte der Künstler Jeanne-Claude kennen und lieben. Die Hochzeit folgte. Zu der Zeit verkehrte Christo in Paris mit den „Nouveaux Réalistes”(Neue Rea­listen). Am 11. Mai 1960 kam dann ihr Sohn Cyril zur Welt. Ein Jahr später erregte das Künstlerehepaar mit dem gemeinsamen Werk „Stocked Oil Barreis and Dockside Package” im Hafen von Köln internationales Aufsehen. 1964 zeigte die New Yorker Galerie Leo Castelli beider „Green Store Front”. Im gleichen Jahr verließen Christo, Jeanne-Claude und Cyril Paris und siedelten sich im Stadteil Soho in New York an, wo sie bis zu Jeanne-Claudes und Christos Lebensende blieben. Durch ihre weltweiten Verhüllungsprojekte wurde das Paar auch zu Globetrottern.

v.l.: Linda Pieters, Christo, Jeanne-Claude und Guy Pieters / Foto: © Guy Pieters Gallery

Sind Linda und Sie auch häufig auf Reisen?
Unser Beruf verpflichtet uns, beweglich zu sein. Oft sind wir in Amerika. Auch Asien, Indien, die Emirate und Afrika haben wir bereist. An vielen Orten waren wir aus Ge­schäftsgründen, an anderen aus privatem Interesse. Ruhe ge­nießen wir dann bei uns zu Hause.

Christo und Jeanne-Claudes letztes gemeinsames Werk war „The Gates, Central Park” 2005 in New York City. Welches Kunstprojekt setzte Christo danach allein um?
Die schwimmende Promenade „The Floating Piers” 2016 in Italien auf dem See von Iseo, wo die Besucher drei Kilometer auf einer schwimmenden Wasser­straße spazieren gehen konnten.

Noch etwas möchten wir über Christo wissen: Gab es in seinem Leben nach der Flucht weiterhin eine Beziehung zu seinem Heimatland Bulgarien?
Nein, für ihn war sein Heimatland nie wieder ein Thema. Jedoch war sein Schaffen von dem geistigen Gepäck, was er 1957 in den Westen mitbrachte, geprägt.

L’Arc de Triomphe, Wrapped war eine temporäre Kunstinstallation der Künstler Christo und Jeanne-Claude, bei der der Arc de Triomphe in Paris vom 18. September bis 3. Oktober 2021 in einen silberblauen Stoff gehüllt war. / Foto: © Sven Taubert – stock.adobe.com

Der verhüllte Triumphbogen sah im Abendlicht grandios aus. Die Installation, welche die Champs-Elysées zum modernen Museum umfunktionierte, war einmalig. Weitere Fragen drängten sich auf. Woher kam das Material? Wer setzte die aufwändige Verkleidung um? Und was geschah nach Ende des Ereignisses mit der riesigen Menge Stoff? Während Guy Pieters sich mit Wolfram Hissen geschäftlich unterhielt, machten wir uns zu all unseren Fragen im Estwest Filmbüro schlau. In Dokumenten konnten wir nachlesen, dass Robert Meyknechts Lübecker Firma „geo-Die Luftwerker” das Projekt realisierte, bei dem sich Stoff wie eine zweite Haut an das Verhüllungsobjekt anschmiegt. Insgesamt waren für den Triumphbogen 25.000 Quadratmeter Stoff nötig. Der einzelne Quadratmeter wiegt 615 Gramm. Die größten Bahnen sind 52 Meter lang und 18 Meter breit. Das Lübecker Unternehmen hat für die Arbeiten extra eine Halle in Mecklenburg-Vorpommern angemietet. Was die Vorbereitungen für die Verkleidung be­traf, so hatte man in Dünkirchen mit einigen Höhen­arbeitern in einer alten Raffinerie trainiert. Schließ­lich mussten sie ein Gefühl für Material und Gewicht bekommen, denn die große Bahn mit Papprolle wiegt ungefähr eine Tonne. Schwierig war es auch, den Stoff in 40 Meter Höhe am mittleren Torbogen entlang zu spannen. Auf die Frage, was hinterher mit dem Stoff passiert, erfuhren wir, dass aus ihm 800.000 kleine Quadrate als Geschenke gefertigt werden. Der Rest wird ge­schred­dert und als Bodenbelag für Sportplätze re-cycelt. Die Verhüllung des Triumphbogens wurde ausschließlich aus dem Christo-Fonds finanziert. Sie kostete Paris keinen Cent.

Bevor wir das Büro verließen, wollten wir noch eine für uns wichtige Frage an Guy Pieters stellen:

Guy Pieters und Lord Michael Anders Cavendish beim Interview auf der Avenue des Champs Elysées, dahinter der verpackte Arc de Triomphe / Foto: © Nik Konietzny

Letzten August unterstützten Sie mit einigen Bildern, die Sie dann auch selbst versteigerten, die Tombola der Sommer­spenden-Soirée zugunsten der Frühentdeckung von Diabetes im privaten Golfclub der belgischen Königsfamilie. Wir wären Ihnen sehr dankbar, könnten Sie auch unserem Charityprojekt „HOPE Cape Town” zugunsten Kindern, die von an Aids er­krankten Eltern in Südafrika geboren wurden, mit Ihrer Anwesenheit und vielleicht einem Bild unterstützen?
Gewiss. Sicher gibt es 2022 eine Gelegenheit, bei einer „HOPE Cape Town”-Benefizsoirée dabei zu sein. Dann würden wir uns freuen, Ihr Magazin näher kennen zu lernen. Bis dahin für Sie und die Redaktion eine schöne, erfolgreiche Zeit.

Text und Interview: Michel Anders-Cavendish

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