Tanztheaterkritik „Wonderful World“: Instabil und wundervoll
Der neue Ballettdirektor an der Semperoper Kinsun Chan inszeniert am Kleinen Haus zur Premiere ein Tanztheaterstück, das es in sich hat.
Das Stück „Wonderful World“, das nur knapp über eine Stunde lang ist, wird zunächst von einer überraschend sympathischen Hexengestalt eröffnet, die direkt dem Grimm’schen Märchenbuch entsprungen sein könnte. Das ist auch insofern seltsam, als doch die Interpretationen der gut 20 Tänzerinnen und Tänzer mindestens eines gemeinsam haben: Sie sind zeitgemäß, und das, obwohl sie sich an verschiedenen Rollentypen abarbeiten. Die Hexe eröffnet den Reigen aber nicht nur für das Publikum, sondern auch für die Kompagnie selbst, indem sie als Türsteherin eines Clubs fungiert, in der sich die Tänzerinnen und Tänzer in der folgenden Ouvertüre überzeugend austoben. Da ist viel Hedonismus dabei, der allerdings verschwindet, sobald die Stützen der Bühne mit einem großen Hammer weggeschlagen werden. Ab sofort dominiert eine Plattform das Bühnenbild, die von den Protagonistinnen und Protagonisten ausbalanciert wird. Hier wird wohl auf unsere schwankende Gesellschaft angespielt, zu der man sich verhalten und die man nach und nach erobern muss. Wie das geschieht, ist ein echtes Fest für die Sinne, nicht nur durch die hervorragende und vielseitige Tanzperfomance, sondern auch durch den treibenden House aus den Boxen, der irgendwann waberndem Ambient weicht. Das gefällt trotz der Vorzeichen unbedingt allen Theaterbesuchern, egal welchen Alters, und sollte nicht verpasst werden.
Wonderful World
Das Semperoper Ballett im Kleinen Haus des Staatsschauspiels Dresden: Tanztheater von Kinsun Chan und Martin Zimmermann, eine Produktion von MZ Atelier und Theater St. Gallen
