Junge Stimmen, lebendiges Erbe

Mitglieder des Thomanerchors Leip­zig / © Tom Thiele
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Thomanerchor, Kreuzchor und Kapellknaben – drei Knabenchöre, eine große Tradition: In Leipzig und Dresden prägen junge Sänger seit Jahrhunderten das kulturelle Leben. Ihr Klang begeistert weltweit, ihre Ausbildung formt Persön­lichkeiten. Was macht das sächsi­sche Stimmenwunder so einzigartig – und warum ist es heute wichtiger denn je?

Es gibt Momente, in denen Musik nicht nur erklingt, sondern den Raum mit einer beinahe greifbaren Magie erfüllt. In Sachsen sind es gleich drei Knabenchöre, die dieses Erlebnis immer wieder aufs Neue schenken: der Thomanerchor Leipzig, der Dresdner Kreuzchor und die Dresdner Kapell­knaben. Sie sind nicht nur musikalische Institutionen, sondern lebendige Zeugen einer jahrhundertealten Kultur, die weit über die Grenzen Deutschlands hinausstrahlt. Ihre Wurzeln reichen tief in die Geschichte zurück – bis ins Mittelalter, als Musik vor allem im Dienst der Liturgie stand und die Stimmen junger Sänger die Gewölbe der Kirchen erfüllten. Über Generationen hinweg haben diese Chöre das musikalische Erbe Sachsens geprägt, es bewahrt und weiterentwickelt.

Dass diese Tradition nicht nur lebendig geblieben, sondern auch als schützenswertes Kulturgut anerkannt ist, beweist die Aufnahme der drei Chöre in das bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes der UNESCO im Jahr 2014. Unter dem Sammelbegriff „Sächsische Knabenchöre“ würdigt die UNESCO damit nicht nur die musikalische Exzellenz, sondern auch die gesellschaftliche und identitätsstiftende Bedeutung dieser einzigartigen Institutionen. Hier verschmelzen Ver­gan­genheit und Gegenwart, Glaube und Kunst, Disziplin und Lei­den­schaft zu einem Klang, der Generationen verbindet und Herzen berührt.

Thomanerchor / © Tom Thiele
Thomanerchor Leipzig – Ein musikalisches Vermächtnis

Wer den Namen Thomanerchor Leipzig hört, denkt unweigerlich an eine Institution, die wie kaum eine andere für die Verbindung von Tradition und musikalischer Exzellenz steht. Seit über 800 Jahren prägt der Chor das kulturelle Leben der Stadt. Gegründet 1212, war der Chor von Beginn an eng mit der Ausbildung junger Sänger und der liturgischen Gestaltung der Gottesdienste verbunden. Besonders prägend war die Ära von Johann Sebastian Bach, der 1723 das Amt des Thomaskantors übernahm. Unter seiner Leitung wurde der Chor zum Zentrum der „Musica Sacra“, jener geistlichen Musik, die bis heute das Herzstück des Repertoires bildet.

Doch die Thomaner sind keineswegs im Barock stehengeblieben: Von der Gregorianik bis zur Moderne reicht das musikalische Spektrum, das in wöchentlichen Motetten, festlichen Gottesdiensten und auf internationalen Konzertreisen immer wieder neu interpretiert wird.

Die jungen Sänger leben und lernen im Thomas-Alumnat, besuchen die traditionsreiche Thomasschule oder spezielle Grund­schulen auf dem Campus forum thomanum. Hier entwickeln sie nicht nur ihre musikalischen Fähigkeiten, sondern erleben auch ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl – getragen von einem Geist, der Disziplin, Freude und künstlerische Neugier vereint.
Seit 2021 steht der Chor unter der Leitung von Andreas Reize, dem 18. Nachfolger Bachs, der mit frischem Elan und großem Respekt vor der Geschichte neue Akzente setzt.

Mitglieder des Dresdner Kreuzchors / Foto: © Grit Dörre
Dresdner Kreuzchor – Von der Vesper bis zur Weltbühne

Auch der Dresdner Kreuzchor zählt zu den ältesten und re­nom­miertesten Knabenchören der Welt. Die „Kruzianer“ prägen seit dem 13. Jahrhundert das musikalische Leben Dres­dens und tragen ihren unverwechselbaren Chorklang weit über die Stadtgrenzen hinaus.

Mit einem Repertoire, das von der Renaissance bis zu zeitgenössischen Uraufführungen reicht, und in Zusammenarbeit mit namhaften Orchestern wie der Dresdner Philharmonie und der Sächsischen Staatskapelle Dresden, hat sich der Chor einen festen Platz auf den internationalen Konzertbühnen erobert. Konzertreisen führen die Kruzianer regelmäßig über die Grenzen Europas hinaus – nach Israel, Kanada, Japan, Südamerika, Korea, China und in die USA. Dabei sind sie nicht nur musikalische Botschafter Dresdens, sondern auch lebendige Zeugen einer christlich-humanistischen Prägung, die in jedem Ton spürbar wird.

Auftritt des Dresdner Kreuzchors / Foto: © Grit Dörre

Die Ausbildung ist anspruchsvoll: Neben dem Besuch des traditionsreichen Kreuzgymnasiums erhalten die Jungen individuellen Gesangs- und Instrumentalunterricht, proben täglich und finden im Alumnat ein zweites Zuhause, in dem Freundschaften fürs Leben entstehen.

Seit 2022 steht der Chor unter der Leitung von Martin Lehmann, der als 29. Kreuzkantor die Balance zwischen Be­wahrung und Erneuerung mit sicherer Hand meistert.

Dresdner Kapellknaben – Hofmusik und junge Stimmen

Die Dresdner Kapellknaben sind ein klingendes Bindeglied zwischen höfischer Tradition und moderner Chorkultur. Seit ihrer Gründung im Jahr 1709 haben sie sich als musikalische Botschafter Sachsens etabliert. Ihr Repertoire umfasst Werke berühmter Dresdner Hofmusiker wie Heinrich Schütz, Johann Adolph Hasse und Carl Maria von Weber, aber auch große Werke der europäischen Chorliteratur.
Die Ausbildung ist intensiv: Neben täglichen Chorproben stehen Einzelstimmbildung und Instrumentalunterricht auf dem Programm.

Im Kapellknabeninstitut, das auch ein Internat beherbergt, entsteht ein enges Miteinander, in dem Jungen aus Dresden und ganz Sachsen musikalisch und persönlich reifen.

Unter der Leitung von Domkapellmeister Christian Bonath werden sie nicht nur zu exzellenten Sängern, sondern auch zu Botschaftern einer Tradition, die Vergangenheit und Zukunft miteinander verbindet.

Auftritt der Dresdner Kapellknaben / © Dresdner Kapellknaben
Wegbereiter für die Zukunft der Chormusik

Was die drei sächsischen Knabenchöre eint, ist weit mehr als ihre musikalische Exzellenz. Es ist der Geist einer Gemein­schaft, die Disziplin, Hingabe und Freude an der Musik miteinander verbindet. In ihren Probenräumen und auf den Büh­nen der Welt wachsen junge Menschen über sich hinaus, lernen Ver­antwortung, Teamgeist und die Kraft des gemeinsamen Klangs.

Die Aufnahme in das Verzeichnis des Immateriellen Kul­tur­erbes der UNESCO ist nicht nur eine Auszeichnung, sondern auch ein Auftrag: Die Tradition lebendig zu halten, sie weiterzugeben und immer wieder neu zu interpretieren. So bleiben die Thomaner, Kruzianer und Kapellknaben nicht nur Be­wah­rer eines reichen Erbes, sondern auch Wegbereiter für die Zukunft der Chormusik – in Sachsen, in Deutschland und weit darüber hinaus.

Redaktion: Jörg Fehlisch

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