ESMC: Europas Chip-Offensive

Wie Dresden die Halbleiterindustrie stärkt: Dr. Christian Koitzsch, Präsident und Geschäftsführer der European Semiconductor Manufacturing Company (ESMC), im Gespräch mit Frank Kebbekus, Präsident des Marketing Club Dresden.
Der Bau der neuen Halbleiterfabrik von ESMC (European Semiconductor Manufacturing Company) in Dresden – ein Joint Venture von TSMC, Bosch, Infineon und NXP Semiconductors – stößt in ganz Deutschland auf großes Interesse. Das Großprojekt ist in Bezug auf die Errichtung der technischen und öffentlichen Infrastruktur als auch die Rekrutierung von Fachkräften ambitioniert. Zugleich stärkt ESMC mit der hochmodernen Produktionsanlage maßgeblich die Position Dresdens als eines der bedeutendsten Halbleiterzentren Europas. Welche Chancen eröffnen sich dadurch für die Dresdner Wirtschaft? Diese und weitere Fragen wurden auf dem Netzwerkevent Dresdner WEITSICHT im Gespräch zwischen Dr. Christian Koitzsch und Frank Kebbekus erörtert.
Frank Kebbekus: Sie haben in vielen Regionen der Welt gelebt. Wie fühlt es sich an, jetzt in Dresden zu sein? Ist das schon Ihr Zuhause geworden?
Dr. Christian Koitzsch: Ich würde mich als echten Wandervogel bezeichnen. Geboren in Brandenburg, aufgewachsen in Thüringen, habe ich lange in den USA, der Schweiz und Indien gelebt. Seit 2021 bin ich nun in Dresden und ich muss sagen, ich fühle mich hier sehr wohl, genauso wie meine Familie.
Frank Kebbekus: Die Chip-Fabrik in Dresden soll Europa im Bereich der Halbleiterfertigung unabhängiger machen. Wie ist ESMC entstanden und wie sehen die Partnerschaften aus?
Dr. Christian Koitzsch: Als ich im Januar 2024 als erster Mitarbeiter bei ESMC begonnen habe, musste ich meinen Kindern – damals 12 und 14 Jahre alt – erklären, wo Papa jetzt arbeitet. Heute wissen deutlich mehr Menschen, dass ESMC für „European Semiconductor Manufacturing Company“ steht und wir ein Joint Venture aus TSMC, Bosch, Infineon und NXP sind. Diese Partnerschaft vereint europäisches Know-how mit globaler Expertise.
Frank Kebbekus: Was macht das Projekt so einzigartig?
Dr. Christian Koitzsch: Ein guter Ausgangspunkt ist tatsächlich unser Logo. Das kleine Viereck steht symbolisch für den Chip, der üblicherweise diese Form hat. Die rote Farbe hebt unseren besonderen Anspruch hervor. Denn unsere Chips basieren auf modernster Technologie. Die kleinsten Strukturen in einem Chip sind nur zwölf Nanometer groß – das entspricht nur wenigen Atomlagen. Diese winzigen Strukturen sind entscheidend, um Chips kosteneffizient und stromsparend zu machen. Gleichzeitig ist ihre Herstellung extrem aufwendig und teuer. Die Europäische Union hat ESMC im Rahmen des European Chips Act als strategisches Projekt eingestuft und fördert uns gemeinsam mit der Bundesrepublik. Das Besondere daran ist, dass ESMC die erste „Open Foundry“ in Europa ist – eine Auftragsfertigung, die vielen europäischen Firmen im Bereich Chip-Design offensteht. Unser Ziel ist es, Chips in Europa für Europa zu fertigen. Der Einfluss reicht also weit über Dresden hinaus und hat eine zentrale Bedeutung für die gesamte europäische Halbleiterindustrie.

Frank Kebbekus: Können Sie uns einen Einblick in den aktuellen Stand des Projekts geben?
Dr. Christian Koitzsch: Die Dimension dieses 10-Mrd.-Euro-Projekts zeigt sich schon in der Bauphase. Im August 2024 fand der Spatenstich statt. Vor Ort waren EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, der damalige Bundeskanzler Olaf Scholz und Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer. Seitdem hat sich viel getan: Die Erdarbeiten haben wir im ersten Quartal abgeschlossen. Danach haben wir planmäßig mit dem Gießen des Betons der Fundamentplatten begonnen. Die eigentliche Herausforderung kommt jedoch mit der technischen Gebäudeausstattung, die etwa ein Jahr in Anspruch nehmen wird.
Frank Kebbekus: Welche Märkte sehen Sie für die in Dresden produzierten Chips als besonders wichtig an?
Dr. Christian Koitzsch: Die beiden größten Zielmärkte sind die Automobilindustrie, in der Europa traditionell sehr stark ist, sowie die Industrieelektronik. Besonders alles, was für die Energiewende und die Dekarbonisierung benötigt wird, steht im Fokus. Unser Ziel ist es, die Wertschöpfungsketten widerstandsfähiger zu machen und Innovation voranzutreiben.
Frank Kebbekus: Ab 2027 ist der Produktionsstart geplant. Was bedeutet diese Entwicklung für die Region und die Menschen, die daran beteiligt sind?
Dr. Christian Koitzsch: Die Produktion in Dresden wird ein Meilenstein sein, nicht nur für ESMC, sondern für die gesamte Region. Wertschätzung ist die Basis für Wertschöpfung und genau das spiegelt sich in diesem Projekt wider. Es wird ein Ort entstehen, der Menschen zusammenbringt und Innovation vorantreibt – ein echter Zukunftsmagnet. Für die Region ist das ein bedeutender Schritt und ein starkes Signal für die Zukunft.
Frank Kebbekus: Wie viele Menschen werden schrittweise an diesem Projekt beteiligt sein, sowohl in der Bauphase als auch später im Betrieb?
Dr. Christian Koitzsch: Die Baustelle selbst ist beeindruckend groß. In der Spitze werden dort über 5.000 Menschen arbeiten, um die Anlage zu errichten. Sobald die Fabrik steht und in Betrieb genommen wird, werden wir sie mit rund 2.000 Mitarbeitenden betreiben. Das ist allerdings nur der direkte Betrieb. Hinzu kommt eine Vielzahl an Arbeitsplätzen in der Zulieferindustrie rund um die Fabrik, sodass insgesamt noch deutlich mehr Menschen von diesem Projekt profitieren werden.

Frank Kebbekus: Damit verbunden ist sicher auch das Thema Fachkräfte. Wie gelingt es Ihnen, Talente aus ganz Europa für Dresden und Ihr Unternehmen zu gewinnen?
Dr. Christian Koitzsch: Die Strahlkraft von ESMC ist bereits enorm. Das zeigen zum Beispiel die vielen Nachrichten von Menschen aus ganz Europa, die mich online erreichen. ESMC ist ein europäisches Projekt und das spiegelt sich auch in unserem Recruiting wider. Wir suchen nicht nur Mitarbeitende aus Dresden oder Sachsen, sondern Talente aus ganz Europa. Die Vielfalt und das Know-how, das diese Menschen mitbringen, sind ein entscheidender Erfolgsfaktor für unser Projekt. Wir legen großen Wert darauf, ein attraktives Arbeitsumfeld zu schaffen. Sei es durch internationale Netzwerke, Weiterbildungsmöglichkeiten oder die Unterstützung für Familien. So gewinnen und binden wir die besten Köpfe langfristig.
Frank Kebbekus: Nachhaltigkeit ist ein zentraler Bestandteil moderner Industrie. Wie gelingt es Ihnen, Nachhaltigkeit in einem so großen Industriebetrieb wie ESMC zu integrieren?
Dr. Christian Koitzsch: Nachhaltigkeit ist für uns ein entscheidendes Thema und wir profitieren dabei enorm vom Know-how unseres Partners TSMC. Taiwan hat in der Mikroelektronik eine weltweite Führungsrolle. Die Chipfertigung macht dort einen erheblichen Anteil des Bruttoinlandsprodukts aus. Ressourcensparendes Arbeiten – sei es beim Energie- oder Wasserverbrauch – hat deshalb höchste Priorität. Dieses Wissen und die Erfahrungen aus den 23 bestehenden Fabriken von TSMC fließen direkt in unser Projekt ein. Das ist auch für die gesamte Industrie hier in Europa von großem Interesse.
Frank Kebbekus: Wie setzen Sie dieses Know-how konkret in Ihrem Werk in Dresden um?
Dr. Christian Koitzsch: Wir setzen bei ESMC auf innovative und nachhaltige Lösungen direkt vor Ort. Ein Beispiel ist die ausgeglichene Massenbilanz: Die 500.000 Kubikmeter Erde, die beim Bau bewegt werden, landen zum Großteil nicht auf einer Deponie, sondern bleiben auf dem Gelände und werden für die Gestaltung der Außenanlagen genutzt. Ein weiteres Highlight ist unsere 200 Meter lange und 35 Meter hohe Grünfassade. Diese setzt nicht nur ein ökologisches Statement, sondern ist auch ein beeindruckendes architektonisches Element. Gemeinsam mit der TU Dresden arbeiten wir an weiteren innovativen Lösungen zur Landschaftsbegrünung und Bewässerung. Wir planen, die Fabrik technologisch und ökologisch zukunftsweisend zu gestalten und investieren dafür in die technische Infrastruktur. So wird die Energieversorgung über eine eigene Anbindung an die zukünftige 380 kV-Leitung mit den Partnern 50Hertz und SachsenEnergie bereitgestellt. Ebenso wird eine separate Wasserversorgung speziell ausgelegt für die Chipindustrie entstehen, um das Trinkwasser nicht zu beanspruchen.

Frank Kebbekus: Wie gut ist Dresden Ihrer Meinung nach auf die Herausforderungen vorbereitet, die mit diesem Wachstum einhergehen?
Dr. Christian Koitzsch: Die Infrastruktur muss mit der Industrie mitwachsen und wir haben gute Hoffnung, dass alle Partner gemeinsam die gesteckten Ziele erreichen. Wir spüren viel Rückenwind und jeder scheint zu wissen, worum es geht. Unser guter Projektfortschritt ist beispielsweise zu einem großen Teil das Ergebnis der erfolgreichen Zusammenarbeit mit unseren Auftragnehmern, Nachunternehmern und den lokalen Behörden (z. B. der Stadt Dresden). Aber natürlich ist ein Projekt dieser Größenordnung immer eine Herausforderung, denn es hängt von vielen kleinen Puzzleteilen ab. Jedes einzelne davon hat das Potenzial, Verzögerungen zu verursachen, wenn es nicht rechtzeitig umgesetzt wird. Deshalb ist es wichtig, dass alle Beteiligten eng zusammenarbeiten. Im Moment läuft alles nach Plan und wir sind optimistisch, dass die Infrastruktur rechtzeitig bereit sein wird, um die Anforderungen für den Produktionsstart zu erfüllen.
Frank Kebbekus: Gibt es darüber hinaus weitere Aspekte, in denen die Region von diesem Projekt profitiert?
Dr. Christian Koitzsch: Neben der technologischen und ökologischen Verantwortung hat das Projekt auch große Vorteile für Wissenschaft und Bildung. Wir arbeiten eng mit der TU Dresden zusammen und ermöglichen sächsischen Studierenden Praktika in Taiwan. Die Internationale Schule in Dresden wird ausgebaut, um zusätzliche Plätze für die Kinder unserer internationalen Mitarbeitenden zu schaffen. Außerdem haben wir einen sächsisch-taiwanesischen Freundschaftsverein gegründet, um den kulturellen Austausch zu fördern.
Frank Kebbekus: Was sind Ihre ersten Eindrücke, wenn Menschen aus Taiwan auf Deutsche und speziell auf Sachsen treffen?
Dr. Christian Koitzsch: Ein Erlebnis dazu ist mir besonders im Gedächtnis geblieben: Als ich von Baden-Württemberg nach Dresden gezogen bin, haben mir Kollegen gesagt: „Christian, hüte dich vor dem Mettigel, den gibts bei jeder Geburtstagsfeier im Büro.“ Zu meiner Überraschung waren gerade meine taiwanesischen Kollegen große Fans davon. Solche Momente prägen den kulturellen Austausch und bringen eine besondere Dynamik in die Zusammenarbeit. Es sind diese kleinen, humorvollen Begebenheiten, die den Alltag auflockern und das Miteinander besonders machen.
Frank Kebbekus: Taiwan ist für seine sportliche Kultur bekannt. Inwiefern kann das auch ein Anknüpfungspunkt für den kulturellen Austausch sein?
Dr. Christian Koitzsch: Sport hat in Taiwan eine große Bedeutung. Besonders der Nationalsport Baseball wird von unseren taiwanesischen Kollegen mit Begeisterung verfolgt. Auch Badminton ist sehr beliebt. Ich selbst habe als Läufer am TSMC-Sports-Day teilgenommen. Ich könnte mir gut vorstellen, dass wir hier in Dresden einmal ein kulturelles Sportfest veranstalten. Solche Begegnungen fördern den kulturellen Austausch und stärken gleichzeitig die Zusammenarbeit auf eine lockere und dynamische Weise.